Zwischen Breuninger und Karlsplatz ist das Bett des Nesenbachs offengelegt – zum ersten Mal seit langer Zeit. Das alte Gewölbe muss dort gegen eine Betonkonstruktion ersetzt werden. Dabei könnte man den Ort auch anders nutzen.

Stuttgart - Stuttgart und der Nesenbach – das ist eine weithin bekannte Geschichte, die wie ein klassisches Drama von Liebe, Verrat und Trauer handelt. Denn die Stuttgarter lieben ihren Nesenbach, sie sind empört darüber, dass frühere Stadtväter ihn verraten und in einen Abwasserkanal verwandelt haben. Und sie trauern dem einst offenen und längst verschwundenen Bächlein weiter nach, wie diverse Versuche zeigen, den Nesenbach wieder sichtbar zu machen. Kein Wunder also, dass die Baustelle nahe dem Karlsplatz, wo die Firma Breuninger ihr Dorotheenquartier erstellen wird, gerade große Aufmerksamkeit erfährt: Auf etwa 30 Meter Länge ist das Bett des Nesenbachs gerade offengelegt.

 

Das ist notwendig, weil unter der offenen Stelle einmal ein Teil der Tiefgarage des Quartiers gebaut wird. Das Gewölbe des Nesenbachs aus Sandsteinquadern wäre zu fragil gewesen, um die Bauarbeiten zu überstehen, so Christian Witt, der Sprecher von Breuninger. Aus diesem Grund müsse das Gewölbe dort durch eine Stahlbetonkonstruktion ersetzt werden.

Stuttgarter entsorgten einst Fäkalien im Nesenbach

Davor und danach bleibt das alte Gewölbe erhalten, das 100 bis 150 Jahre alt ist und jetzt erstmals seit Jahrzehnten wieder von außen besichtigt werden kann. Um 1850, so kann man es auf alten Karten von Stuttgart sehen, floss der Nesenbach noch weitgehend offen durch die Stadt; er wurde aber damals schon missbraucht, um Fäkalien und Abfall zu entsorgen. Es stank. Im Jahr 1864 begann die Stadt deshalb damit, den Bach zu verdolen und zu überwölben. Die Arbeiten dauerten mehr als 30 Jahre. Seither ist der Nesenbach aus dem Stadtbild verschwunden.

Interessant ist daneben, dass vor dieser Überwölbung des Baches, von 1585 bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhundert hinein, genau an der jetzt offenen Stelle das Stuttgarter Schlachthaus stand, direkt über dem Bach. „Metzig“ sagte man dazu. Man darf vermuten, dass die Schlachtabfälle in den Nesenbach wanderten. In einer Karte von 1816 ist dieses Schlachthaus noch eingezeichnet. Davon ist jetzt aber im Untergrund nichts mehr zu erkennen.

Gewölbe als Gastro-Treff?

In der Baugrube fließt derzeit kein Wasser, was verständlich ist: Die Gerüche wären etwas stark. Es wird im Moment durch ein dickes Metallrohr über die Baustelle geleitet. Dies sei aber nur interimsweise so, teilt Witt mit. Später fließt der Nesenbach wieder offen im neuen Gewölbe. Gut zu erkennen ist das künstliche Bett, in dem sonst das Abwasser nach Mühlhausen läuft.

Der Stuttgarter Historiker Harald Schukraft geht öfter an der Baustelle vorbei. Er bedauert es, dass die alten Quadersteine nicht wenigstens erhalten blieben. Er hätte sich sogar vorstellen können, dass der Nesenbach um einige Meter verlegt und das alte Gewölbe für gastronomische Zwecke genutzt würde: „Zur Metzig“ hätte die ungewöhnliche Location heißen können.

Es muss noch mehrmals am Kanal gearbeitet werden

Schukraft ärgert sich auch darüber, dass solche Ideen keine Chance auf Verwirklichung hätten: „In Stuttgart drückt man die Geschichte weg“, sagt er frustriert. Er sei gerade in Zürich und Hannover gewesen: Dort hingen an den Baustellen immer Infotafeln, auf denen mit die historischen Situationen vorgestellt würden. Christian Witt betont dagegen: Es wäre sehr aufwendig gewesen, das alte Gewölbe zu erhalten; und es hätte die Risiken auf der Baustelle erhöht.

In naher Zukunft wird es noch häufiger Bauarbeiten am Nesenbach geben. Während des Baus des Rosensteintunnels müsse ebenfalls am Kanal gearbeitet werden, sagt Hartmut Klein, der Leiter der Stadtentwässerung Stuttgart. Und im Oktober sollen laut Zeitplan der Bahn die Hauptarbeiten am sogenannten Nesenbach-Düker beginnen: Der Abwasserkanal muss zwischen Königin-Katharina-Stift und Planetarium tiefer gelegt werden, damit der Tiefbahnhof Platz findet. Die Stuttgarter haben also nun einige Gelegenheiten, um ihre zwiespältige Beziehung zum Nesenbach neu zu beleben.

Vom idyllischen Bach zum großen Abwasserkanal

Verlauf
Der Nesenbach ist längst die wichtigste Abwasserader Stuttgarts. Der Hauptsammler, wie der Kanal offiziell heißt, verläuft von Vaihingen durch die City und die Schlossgartenanlagen bis zum Leuze. Hier mündete der frühere Nesenbach in den Neckar. Heute wird das Abwasser weiter bis ins Klärwerk Mühlhausen geleitet; dabei unterquert der Kanal zweimal den Neckar und fließt durch einen Stollen ins Klärwerk.

Funktion
Der Nesenbach-Kanal transportiert nicht nur das Abwasser aus den Häusern, sondern auch Regenwasser. Mehrere Regenüberlaufbecken, so in der Böblinger Straße und beim Schwanenplatz, können das Regenwasser speichern, damit die Kläranlage nicht überlastet wird. Bei starkem Regen wird zudem ein Teil über drei Auslasskanäle in den Neckar geleitet, dort, wo früher die Mündung des Nesenbaches war. Dieses „Entlastungswasser“ enthalte auch einen geringen Teil an Abwasser, so Hartmut Klein von der Stadtentwässerung Stuttgart, was den Fluss aber nicht belaste. Die im Hauptklärwerk Mühlhausen täglich insgesamt ankommende Wassermenge von etwa 220 000 Kubikmetern würde die Mercedes-Benz-Arena einmal auffüllen.

Renaturierung
An der Böblinger Straße ist der Nesenbach Ende der 1990er Jahre auf mehreren hundert Metern renaturiert worden. Das Wasser stammt nicht mehr aus der ursprünglichen Quelle des Nesenbaches in den Vaihinger Honigwiesen, sondern aus den Bächlein der Heslacher Klingen. Möglich, aber teuer wäre es, so Hartmut Klein, dieses Wasser in die City zu leiten, um damit einen neuen Nesenbach zu speisen.

Führungen
Jeden ersten Mittwoch im Monat ist das Informationszentrum der Stadtentwässerung in der Stadtbahnhaltestelle Neckartor, Ausgang Schlossgarten, von 15 bis 18 Uhr, geöffnet. Bei schönem Wetter kann dann auch der Hauptsammler Nesenbach von 15 bis 16.30 Uhr besichtigt werden. Die nächste große Kanalführung findet allerdings erst am 9. September statt. Nähere Auskünfte gibt es unter Telefonnummer der Stuttgarter Stadtentwässerung 2 16 -72 08 oder im Internet unter www.stuttgart-stadtentwaesserung.de.