Freiwilliges Engagement ist alles andere als selbstverständlich. Diejenigen, die sich dazu bereit finden, sollten stärker wertgeschätzt werden, findet Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Es ist nicht leicht, einen angemessenen Begriff für diejenigen zu finden, die sich in ihrer Freizeit unentgeltlich und oft auch unermüdlich für andere oder für das Gemeinwohl einsetzen: „Ehrenamtliche“ ist die gängige Bezeichnung. Man nennt sie auch „Stützen der Gesellschaft“. Oder „Freiwillige Helfer“. Oder etwas poetischer: „Stille Helden“. Trifft es das?

 

Man könnte noch viele andere Bezeichnungen wählen: „Gute Geister“, „Mutmacher“, „Kümmerer“. Ein Begriff, den wir als Redaktion ausgewählt haben, lautet „Stuttgarter und Stuttgarterinnen des Jahres“. Damit ist eine Auszeichnung verbunden. Sie geht auf eine Initiative der beiden Stuttgarter Zeitungen und der Volksbank Stuttgart zurück und gilt eben jenen Menschen, die sich im Einsatz für andere hervortun. Dabei vertrauen wir auf die Erfahrungen der Leserinnen und Leser, die nach der Vorauswahl durch unsere Jury von heute an online ihre Favoriten wählen können, ehe am 15. März die Preisträger gekürt werden.

Solche Würdigungen sind wichtig

Ziel dieses Preises ist es nicht, einzelne Menschen in den Himmel zu heben. Schon deshalb nicht, weil diejenigen, um die es hier geht, häufig mit beiden Beinen auf der Erde stehen. Ein bisschen herausgehoben sollen sie bei aller Bodenhaftung aber schon werden – und damit immer auch das Projekt, das sich mit ihrem Namen verbindet und das Umfeld, in dem sie häufig gemeinsam mit anderen etwas bewirken. Als Stuttgarter und Stuttgarterinnen des Jahres stehen sie zugleich stellvertretend für viele andere engagierten Menschen in der Landeshauptstadt, die Zeit und Energie für ihr soziales Umfeld aufbringen.

Solche Würdigungen – etwa auch in Form des Bürgerpreises der Bürgerstiftung – sind wichtig, weil eine uneigennützige Haltung alles andere als selbstverständlich ist. Eine Gesellschaft ohne Ehrenamt ist wie ein Ball ohne Luft, stellt einer der Nominierten für den Stuttgarter des Jahres zutreffend fest. Die Versuchung ist allerdings groß, freiwilliges Engagement als etwas Gesetztes anzusehen, auf das man jederzeit zurückgreifen kann. In der Tat könnten viele Angebote und Einrichtungen könnten ohne freiwillige Helferinnen und Helfer nicht bestehen, und sie werden in Zukunft nur bestehen können, wenn sie an ehrlicher Wertschätzung für diese Mitarbeit nicht sparen.

Jüngere haben ein anderes Verständnis von nachhaltigem Engagement

Denn auch das Ehrenamt ist im Wandel begriffen. Das beginnt, wie oben erwähnt, schon mit der Sprache. Wenn man’s genau betrachtet, dann geht es heute immer weniger um Ehre und immer mehr um Sinn. Junge Menschen sind daran höchstinteressiert und sehr wohl bereit, sich für andere zu engagieren, aber nicht in Erwartung einer goldenen Ehrennadel nach 50-jähriger Vereinszugehörigkeit. Langjähriges, treues Engagement soll damit in keiner Weise geschmälert werden; viele Vereine zehren bis heute davon, und einige der Kandidaten für den Stuttgarter und die Stuttgarterin des Jahres verkörpern genau das: lange Zugehörigkeit.

Junge Leute haben zunehmend ein anderes Verständnis von nachhaltigem Engagement. Es ist sehr viel projektbezogener und damit auch kurzfristiger. Man kommt zusammen, bewegt etwas – und packt morgen bei etwas ganz anderem mit an. Darauf müssen sich Organisationen und Vereine einstellen. Das alte Modell – zehn Jahre Beisitzer, 20 Jahre Vorstand – ist nicht mehr verlockend. Viele Vereine können froh sein, überhaupt noch einen Vorsitzenden zu finden. Es wird deshalb darauf ankommen, sich neu aufzustellen und den Faktor Mobilität stärker zu berücksichtigen, um attraktiv auch für Jüngere zu sein.

Leute, die andere so wichtig nehmen wie sich selbst

Im Kern jedoch ist die Mitwirkungsbereitschaft stabil. Es gibt sie – erfreulicherweise – wie eh und je: Leute, die andere so wichtig nehmen wie sich selbst oder annähernd so sehr. Und die für eine gute Sache brennen. Ohne sie geht es in der Stadtgesellschaft auch in Zukunft nicht. Wie soll man sie nennen? Der schönste Ausdruck lautet vielleicht: Herzensmenschen!