Angst vor Ansteckung hat VfB-Präsident Claus Vogt nicht. Doch Hände schüttelt er nicht mehr und grüßt mit der Ghetto-Faust. Im Varieté feierte die Show „Tollhouse“ Premiere – zum Tollhaus ist das ganze Land wegen Corona geworden.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Stuttgart hat ausgeküsst. Kreative Menschen nutzen diesen Ausfall, um sich neue Grußformen einfallen zu lassen. Selbst aus Paris wird gemeldet, dass die Zeit der Wangenküsse („faire la bise“) vorbei ist. Dort soll der „Corona-Shake“ umgehen. Und der geht so: Freundschaftlich klopft man sich Ellenbogen an Ellenbogen. Wusch! Grüß dich, Alter! Aber bloß Finger weg! Und wenn mir deine Bussi-Lippen näher kommen, ruf ich Anwalt, Polizei und Notarzt herbei!

 

VfB-Präsident Claus Vogt folgt den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und verzichtet derzeit etwa aufs Händeschütteln. „Ich bin nicht besorgt und habe keine Angst vor Ansteckung“, sagt er am Freitagabend bei der Premiere im Friedrichsbau Varieté und grüßt mit der Ghetto-Faust. Beim VfB stehe man „in enger Abstimmung mit den Behörden und Fußballverbänden, um bestmöglich informiert zu sein“.

„Ein nettes Lächeln ist viel charmanter“

Am besten aber ist: Man berührt sich gar nicht erst. Timo Steinhauer, der Geschäftsführer des Friedrichsbau-Varietés, fürchtet, dass sich in diesen Tagen der Wahnsinn schneller ausbreitet als das Virus. Bei der Premiere seiner neuen Show „Tollhouse“ ermuntert er die Gäste dazu, auf Distanz zu bleiben – und sich anzustrahlen. Lasst die Augen sprechen! „Wer auf körperliche Annäherung verzichtet, mindert die Freude und Höflichkeit keineswegs“, findet der Theaterchef, „ein nettes und ehrliches Lächeln ist ohnehin viel charmanter.“

„I can’t get no Desinfection!“

Sehr charmant, die schwäbischen Ghettofaustgrüße. Xondbleiba isch halt a subber Sach und Küssen gar net meh seggsie. Im Varieté werden nun Türgriffe, die Gäste bisweilen wagemutig berühren, „ständig desinfiziert“, wie Steinhauer ankündigt. Soll keiner hier auf dem Pragsattel den guten alten Stones-Hit singen müssen: „I can’t get no Desinfection!“

Nicht leicht ist es, genügend Desinfektionsspender für alle Gäste zu bekommen. „Trotz Premierenstress sind unsere Mitarbeiter ständig unterwegs, um Nachschub zu besorgen“, sagt der Friedrichsbau-Geschäftsführer. Vor der Premiere ist er nur einmal gefragt worden, ob man die Show nicht absagen sollte. Am Abend aber bleiben doch etliche Plätze frei. Steinhauer ruft in seiner Begrüßungsrede dazu auf, „dass wir das menschlich zusammen durchstehen“.

Gesehen: Unternehmer Dieter Hundt, OB-Kandidatin Veronika Kienzle (Grüne) mit ihrem Mann Michael Kienzle, dem Redenschreiber von Winfried Kretschmann, Ginstr-Chef Alexander „Sandy“ Franke, Moderator Jens Zimmermann, Ballett-Altmeister George Bailey und viele andere. Auch Autorin Heike Ellwanger ist dabei. „Ich hatte in meinem Studium Statistik, damals habe ich das nicht so richtig kapiert“, sagt sie, „und ich glaube, jetzt kapiert das die ganze Welt auch nicht, wie hoch das statistische Ansteckungsrisiko ist.“

Chris Fleischhauer umarmt „alle, die ich kenne, herzlich“

Nicht beirren lässt sich Sebastian Weingarten, der Intendant des Renitenztheaters. „Vorsicht ist gut, aber Panik übertrieben“, findet er. Auch in seinem Theater kämen nur vereinzelt Absagen wegen Corona. „Das waren Vorerkrankte.“ Moderator Chris Fleischhauer, die „Lotto-Fee“, sagt, und es klingt wie eine Drohung: „Ich umarme alle, die ich kenne, herzlich und schüttele Hände – ob sie wollen oder nicht. Ich finde die Hamsterkäufe und die Maskenträger furchtbar. Die meisten von uns werden irgendwann an etwas ganz anderem sterben, aber sicherlich nicht am Coronavirus.“

Die „Tollhouse“-Show wird bis zum 31. Mai gespielt

Der Friedrichsbau – ein toll gewordenes Comedyhaus! Das Premierenpublikum ist begeistert von diesen durchgeknallten Charakteren und einem sehr ruppigen Conférencier. Ausgeflippte und irrwitzige Bühnenmenschen treffen sich mit liebevollen Eigenarten oder auch nur mit einem ganz normalen Schuss im „Tollhouse“, einem Mix aus Gags und Artistik (gespielt wird bis 31. Mai). Dabei handelt es sich laut Programm um zehn Paradiesvögel in Stuttgarts schrägster WG. Als Devise gibt Regisseur Ralph Sun aus: „Fragen Sie nicht, warum, sondern: Warum nicht?“ Fragen Sie, liebe Leserinnen und Leser, also nicht, warum die Menschen verrückt spielen wegen Corona, fragen Sie lieber: warum nicht?

Le baiser, il bacio, der Kuss – no merci, no grazie, bloß nicht! Wer will auch schon jeden küssen? Und wenn uns jemand mit seinem Kussmund kommt, singen wir ganz prinzenhaft laut: „Keiner, der mich je gesehen hat, hätte das geglaubt, küssen ist bei mir nicht erlaubt.“ Und jetzt hauen wir endlich ab, um die Hände zu waschen. Dazu singen wir fünfmal den „Küssen verboten“-Refrain, dann sind genau 20 Sekunden rum. Ist einfach toll, wenn man zuweilen aus dem Haus daheim rauskommt und den Corona-Wahnsinn bei diesem Bühnen-Irrsinn vergisst.