Warum laufen die Geschäfte des baden-württembergischen Maschinenbaus eher schleppend? Wo liegen die Wachstumsfelder für die Branche? Der Stuttgarter VDMA-Geschäftsführer Dietrich Birk stellt sich den Fragen.

Stuttgart - Die Industriemesse in der kommenden Woche in Hannover ist ein Schaufenster des hiesigen Maschinen- und Anlagenbaus. Branchengeschäftsführer Dietrich Birk schildert die Lage der Branche und die Herausforderungen.

 
Herr Birk, der Eurokurs fällt, die Rohstoffpreise ebenfalls, die Rahmenbedingungen sind also günstig. Dennoch schwächelt der Maschinenbau im Südwesten.
Das stimmt für das Jahr 2014. Der Maschinenbau in Baden-Württemberg mit einem Gesamtumsatz von circa 70 Milliarden Euro entwickelte sich im vergangenen Jahr bei den Auftragseingängen etwas schwächer als im Vorjahr und im Vergleich zum Bund. Die geopolitischen Spannungen, Stichwort Russland/Ukraine, haben auf das Inlands- und Auslandsgeschäft gedrückt. Auch das Anlagengeschäft ist in Baden-Württemberg etwas schwächer ausgeprägt. Was den Euro-kurs angeht: sicher ist dieser derzeit ein Exportvorteil, aber eine auf Dauer geschwächte Währung geht ganz klar zu Lasten der Produktivität und Effizienz.
Sind die Maschinenbauer gut aufgestellt?
Der baden-württembergische Maschinenbau ist im oberen Marktsegment sehr gut aufgestellt. Doch das internationale Wachstum findet vor allem im mittleren Segment statt. Da müssen wir stärker hineinkommen.
Sind die hiesigen Unternehmen zu teuer?
Wir sind nicht zu teuer. Wenn man das Preis-Leistungs-Verhältnis in Bezug auf Technologie- und Kundenanforderungen über die gesamte Nutzungsdauer von Maschinen anschaut, ist unser Leistungsprogramm weltweit attraktiv. Doch die Schwellenländer bauen zunehmend eigene industrielle Wertschöpfung auf – und sie benötigen dafür neben klassischen Standardmaschinen auch anspruchsvollere Maschinen, jedoch mit weniger Ausstattung und damit weniger Komplexität als in Europa üblich. Es geht für uns darum, qualitativ wertige, flexibel einsetzbare und modular aufgebaute Maschinen mit unterschiedlichen Ausstattungsmerkmalen anzubieten.
Ist das mittlere Marktsegment nicht schon von anderen besetzt?
Insbesondere asiatische Wettbewerber greifen uns im mittleren Marktsegment an und wollen den deutschen Maschinenbau ins „Highend-Segment“ abdrängen. Vor allem chinesische Anbieter haben im eigenen Heimatmarkt und beim Export stark aufgeholt – und zwar nicht nur in die asiatischen Märkte, sondern auch nach Südamerika, nach Afrika und auch in Richtung Europa. Deshalb müssen wir uns der Herausforderung im mittleren Segment stellen.
Können Maschinenbauer dies mit den hiesigen Kostenstrukturen überhaupt leisten? Härterer Wettbewerb drückt auf die Preise.
Es stimmt, die deutschen Hersteller müssen weiter sehr effizient und im internationalen Maßstab produktiv sein, um mit unseren Kostenstrukturen auch im mittleren Marktsegment Wachstum erzielen zu können. Sie produzieren selbst oder durch aufgekaufte Unternehmen in den Schwellenländern. Es gibt deutsche Maschinenbauer, die mit Mehrmarkenstrategien die Mitte und die Spitze abdecken.
Wie viele Firmen produzieren im Ausland?
Es werden von Jahr zu Jahr mehr. Der klassische Mittelstand benötigt nicht nur Handelsvertretungen beziehungsweise Vertriebsniederlassungen in wichtigen ausländischen Wachstumsmärkten wie zum Beispiel in Asien oder Südamerika. Er wird auch zunehmend vor Ort produzieren und montieren, schon aufgrund lokaler Marktvorgaben und Kundenanforderungen. Unternehmen benötigen dafür auch eine Lieferantenstruktur vor Ort. Wichtige Komponenten, Innovationen und Dienstleistungen werden aber weiter aus Deutschland kommen.
Wie steht die Kreditwirtschaft solchen Auslandsinvestitionen gegenüber?
Die Banken haben den Maschinenbau wiederentdeckt. Viele Banken mit Standortbezug Baden-Württemberg sehen die Chancen unseres Mittelstandes auf den Auslandsmärkten. Und unsere Maschinenbauer benötigen für ihre Wachstumsstrategien ins Ausland verstärkt leistungsfähige Banken, die sie mit einem breiten Dienstleistungsportfolio dorthin begleiten können.
Sollte die Politik eine aktivere Rolle spielen?
Das macht sie bereits vielfältig, allerdings benötigen wir am Standort Deutschland mehr Impulse in der Steuer- und Wirtschaftspolitik. Wichtig ist, dass die Politik nachvollziehen kann, warum die Unternehmen nicht nur in Deutschland produzieren und dann exportieren, sondern warum sie auch mit lokaler Wertschöpfung vor Ort sein müssen. Trotz des starken Wachstums im Ausland beschäftigt der Maschinenbau in Baden-Württemberg rund 300 000 Mitarbeiter – so viele wie zu  Beginn der 1990er Jahre. Das starke Auslandswachstum sichert und schafft Arbeitsplätze in Deutschland.
Wie viele Unternehmen produzieren ausschließlich hier und exportieren dann?
Das ist die weit überwiegende Zahl der Maschinenbauer. Aber ich stelle gerade bei Mittelständlern zwischen 100 und 500 Beschäftigten fest, dass diese zunehmend überlegen und auch handeln, neben dem klassischen Vertrieb auch Produktions- und Servicestrukturen in Überseemärkten auf- und auszubauen.
Das Erfolgsmodell Export, dass bisher gut funktionierte, scheint ein Auslaufmodell zu sein. Geht es auch künftig ohne Jobverluste?
Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Sicher trifft es zu, dass der globale Wettbewerb um industrielle Wertschöpfung zunehmen wird. Aber es gibt auch interessante neue Perspektiven für den Produktionsstandort Deutschland, Stichwort: Industrie 4.0. Eine Chance liegt darin, mit der künftigen digitalen Produktionswelt individuelle Kundenwünsche bei hoher Produktqualität besser erfüllen zu können: Das heißt, die hohe Variantenvielfalt zu beherrschen und selbst die Losgröße eins kostengünstig herzustellen. Damit haben wir die Chance, manche Bereiche der Produktion, die lohnkostenbedingt zuvor verlagert wurden, entlang der zunehmenden Kundenindividualisierung mit hoher Produktivität auch hierzulande durchzuführen.
Die Hoffnung heißt also Industrie 4.0?
Nicht nur. Es gibt eine zweite Entwicklung, die uns entgegenkommt. In den asiatischen Ländern steigen die Lohnkosten. Eine Folge davon ist, dass dort die Automatisierung wächst. Damit nehmen auch die Komplexitätsanforderungen an die Produktion in vielen Schwellenländern zu. Auch dafür hat der deutsche Maschinenbau gute Lösungen.
Industrie 4.0 führt zu Umschichtungen innerhalb der Belegschaft. Einfachere Tätigkeiten fallen weg, der Anteil der Ingenieure steigt. Sind die Unternehmen vorbereitet?
Wir benötigen gut ausgebildete Fachkräfte im Maschinenbau, sowohl Facharbeiter wie Ingenieure. Fachkenntnisse im Bereich Elektronik, Mechatronik, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Software werden wichtiger. Durch die Digitalisierung haben wir eine viel stärkere Kommunikation zwischen Maschine und Mensch. Die Vernetzung erfolgt mit modernster Kommunikationstechnik. Die junge Generation wächst wie selbstverständlich mit Smart-Tablets und Smartphones auf. Eine Herausforderung besteht eher für die Generation 40 plus. Wir müssen in der Industrie alle Mitarbeiter für die Digitalisierung gewinnen.
Ist Industrie 4.0 im Mittelstand angekommen, oder ist es eher ein Kongressthema?
Das Interesse an dem Thema ist groß. Was bislang sicherlich noch nicht in der Breite unserer Unternehmen angekommen ist, sind praktische Anwendungen der Technologien in der kompletten Wertschöpfungskette der Betriebe. Dies wird eine wichtige Aufgabe für die Allianz 4.0 sein, die wir vor Kurzem als erstes Bundesland in Baden-Württemberg gegründet haben. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Datensicherheit, sie ist für manche Unternehmen noch ein großer Hemmschuh. Als VDMA sind wir mit weiteren Partnern auf der Bundesebene dabei, eine Referenzarchitektur für das Zusammenwirken mit Zulieferern, Abnehmern und Dienstleistern zu entwickeln, so dass der Datenaustausch auf einer gesicherten Basis stattfinden kann.
Welcher Bereich des Maschinenbaus wird von Industrie 4.0 am stärksten tangiert?
Letztlich wird sich Industrie 4.0 durch alle Bereiche des Maschinenbaus durchziehen. Die Logistik ist bereits in hohem Maße tangiert, die ganze Automatisierungstechnik mit Sensoren auch.
Kommen die Datenleitungen schnell genug?
Da ist die Politik mehr gefordert. Das ist eine Herausforderung vor allem auch für uns in Baden-Württemberg. Wir brauchen den Ausbau europäischer Netze mit leistungsfähigen zukunftsgerichteten Bandbreiten – ohne Brüche. Ziel ist der komplette Datenaustausch in Echtzeit. In Baden-Württemberg, Deutschland und Europa liegt dazu noch ein langer Weg vor uns. Wir benötigen mehr private und öffentliche Investitionen in die Netze. Das geht in die Milliarden.
Welche Position hat Baden-Württemberg als Ausrüster von Industrie 4.0 – also bei Sensoren, Software und IT?
Ich finde, wir haben sehr gute Ausgangsvoraussetzungen auf der Ausrüsterseite, weil wir sowohl Software, IT, die Elektrotechnik, die Elektronik und den Maschinenbau haben. Damit haben wir die wichtigsten Akteure auf dem Gebiet bei uns. Und wir haben exzellente universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen.
Aber sind wir auf der IT-Seite wirklich so stark, wie wir uns gerne einbilden?
Sie spielen auf die amerikanischen Anbieter wie IBM, HP und Google an. Die Amerikaner bringen ihre Plattform für das Internet der Dinge voran, wir arbeiten an deutschen und europäischen Lösungen. Zunächst werden unterschiedliche Lösungen parallel anlaufen. Entscheidend ist, schnell zu starten. Wir müssen Anwendungen für die Produktionswelt entwickeln und präsentieren. Dazu dürfen wir keine Zeit wegen fehlender Standards verlieren, auf diesem Gebiet handeln die Amerikaner pragmatischer. Unsere Chance liegt in der Komplexität des Zusammenspiels zwischen Maschinenbau, IT, Software und der Sensorik. Deutsche Unternehmen wie Siemens und Bosch werden wichtige Partner sein, aber auch IBM und HP, weil wir auf dem Gebiet der IT kein wirklich deutsches Unternehmen mehr haben.