18 Jahre lang hat Bernhard Weber in den Armenvierteln von Rio Musik gemacht, erlebte Bandenkriminalität und erkrankte an Corona. Jetzt ist der Stuttgarter mit der Familie in die Heimat zurückgekehrt und träumt von einer Musikkarriere mit der Tochter.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - „Kerle, i bin wieder do!“ So meldet sich „Börni“ gerade bei seinen Stuttgarter Freunden zurück. 2002 war Bernhard Weber Rosa, der seit seiner Hochzeit mit einer Afro-Brasilianerin den Doppelnamen trägt, nach Rio gezogen. 2002, das war das Jahr, als Brasilien im WM-Finale in Yokohama‎ Deutschland mit 2:0 besiegte, als der freie Kulturjournalist in einer Latino-Bar im Metropol-Gebäude als einziger Deutscher mit blonden Haaren unweit des Palasts der Republik mit Brasilianern feierte und am Ende das Weltmeistertrikot trug.

 

In dieser historischen Nacht hat er mit einer Brasilianerin geknutscht, wie er in seinem Podcast „Flamingotour“ witzig erzählt. Kumpels aus Feuerbach sahen dies und nannten ihn „Verräter“. Weber aber wusste, dass sein Herz brasilianisch schlägt – auch wenn er 150-prozentiger Fan des deutschen Nationalteams gewesen sei, heute dies vielleicht sogar 200-prozentig ist und dazu noch Fan von VfB und Kickers gleichzeitig.

Die Liebe hielt ihn fest – auf seine erste Ehe folgte die zweite

Jens, Percussionist der Latino-Band, die der Fußballfan bei einem Konzert mit Kumpel Flo Dauner im Zapata kennen gelernt hatte, war nach Brasilien gezogen und lud „Börni“ dorthin für einen Urlaub ein. In der Heimatstadt hatte dieser zwar einen DJ-Wettbewerb gewonnen, trat als DJ Mouse auf, ein Stadtmagazin hatte ihn zum schönsten Stuttgarter gewählt, aber trotzdem lief es nicht ganz rund für ihn. Eine Auszeit in Südamerika würde ihm gut tun. Der Junge aus Feuerbach flog 2002 nach Rio – und blieb 18 Jahre lang. Die Liebe hielt ihn fest. Auf seine erste Ehe folgte die zweite.

Als MC Gringo rappte er in den Armenvierteln von Rio de Janeiro, landete zwei Hits, wohnte ganz oben in einer Favela, erlebte Gewalt und Bandenkriminalität, sah Drogen und Frust genauso wie Lebenslust und Hoffnung. Der Blondschopf wurde zum Medienstar. Deutsche TV-Sender präsentierten ihn, aber auch der „Spiegel“ und andere große Blätter erzählten gern die Geschichte des Stuttgarters, der zum gefragten Favela-Führer für deutsche Touristen wurde, dem im Überlebenskampf das Geld fehlte, um die deutsche Heimat zu besuchen. In Rio erkrankte Weber Rosa – wie seine Frau und seine Kinder – an Corona. „Ich hab’s nur gemerkt, weil ich plötzlich Tomaten essen konnte, die ich noch nie mochte“, erzählt er, „ich hatte Null Geschmackssinn.“

Stadtführer bei Spreefahrten in Berlin

Dem Siegestreffer einer Glückslotterie glich die Zusage einer Berliner Reederei. Weber hatte sich um eine online ausgeschriebene Stelle als Stadtführer bei Spreefahrten beworben – und wurde genommen! „In der Favela hab ich mich geschämt, was ich der Familie zumute“, sagt er. Mit dem 15-jährigen Sohn seiner Frau („er ist wie mein eigenes Kind“) und der gemeinsamem zehnjährigen Tochter zog Weber im vergangenen August nach Berlin. Bis zum Lockdown erklärte er bei drei Schiffsfahrten am Tag den Touristen „mit viel Humor“ Berlin. „Da sind viele Schwaben“, berichtet der 50-Jährige, „die freuen sich, wenn ich schwäbisch schwätz’.“

Im Lockdown bekommt er Kurzarbeitergeld, fährt brasilianisches Essen mit dem Rad aus, das seine Liebste kocht. Frau Daniele ist Afro-Brasilianerin, weshalb sie in Rio heftige Ressentiments gespürt hat. „Brasilien ist ein hochgradig rassistisches Land“, sagt Weber, seit Ewigkeiten der Best Buddy von Kevin Kurányi, „da ist Neukölln, wo wir leben, im Vergleich ein Paradies“.

Mit Tochter Liane macht er Musik von Umbanda

Dass seine Kinder jetzt deutsch sprechen, sorgt beim Vater „für Glücksmomente“. Schon immer wollte er, dass die Kinder seine Heimat kennen lernen. Die zehnjährige Tochter Liane hat wohl sein musikalisches Talent geerbt. Mit ihr macht Gringodejaneiro Musik von Umbanda, einer afrobrasilianischen Naturreligion, deren Rhythmen den Ursprung von Samba gelegt haben. Sobald es Corona erlaubt, wollen Tochter und Vater gemeinsam auftreten. Daneben sammelt „Börni“ Geld für das Fußballprojekt Favelafriends, das Talente in Rio fördert. Außerdem ist sein You Tube-Kanal „Afrogermanico“ gestartet, auf dem er mit seiner Familie deutsch-brasilianische Alltagsgeschichten erzählt.

Seine Stuttgarter Vergangenheit lässt er im Podcast Revue passieren – ein Spaß für alle, die das Bermuda-Dreieck beim Metropol vor 20 Jahren miterlebt haben, die das Zum Zum und die einarmige Pommes-Verkäuferin noch immer verehren! TV-Sender haben bei ihm angeklopft, weil sie seine Rückkehr nach Deutschland und die Probleme damit filmen wollen. Probleme? „Börni“ schüttelt den Kopf. Sein Lebensmut und seine Lebenslust sind immer stärker. Gut so, Kerle!