Stuttgarter Volleyball-Wunder Achtstündige Operation rettet die Karriere von Krystal Rivers

Wirkt wie befreit von einer Last: Krystal Rivers Foto: Baumann/Hansjürgen Britsch

Eigentlich wollte Krystal Rivers, geplagt von Infektionen und Schmerzen, im Sommer 2024 bei Volleyball-Meister Allianz MTV Stuttgart aufhören. Wegen eines Arztes aus München kann sie ihre mit erschütternden Diagnosen gespickte Geschichte nun fortschreiben.

Wer die Geschichte von Krystal Rivers (30) erzählen will, kommt um pathetische Worte nicht herum. Weil unglaublich ist, dass eine Frau mit ihrer Krankenakte eine Weltklasse-Volleyballerin sein kann. „Sie ist“, sagt Kim Renkema, die Sportdirektorin von Allianz MTV Stuttgart, „ein Wunder.“

 

Trotzdem hätte der Club seine beste Spielerin beinahe verloren. Es sah lange so aus, als müsse die US-Amerikanerin vor den Schmerzen und ständigen Infektionen kapitulieren, erst eine achtstündige Operation im Mai erlaubte ihr, die Karriere fortzusetzen. Wunder? Gibt es offenbar immer wieder.

Um zu verstehen, wie außergewöhnlich die Lebensleistung von Krystal Rivers ist, muss man vorne beginnen. Bei ihrer Geburt. Sie kam mit dem Tethered-Spinal-Cord-Syndrom zur Welt. Ihre Wirbelsäule war steif und verkürzt, die Bauchdecke offen, die Blase viel zu klein, viele Knochen waren deformiert. Organe wie Nieren und Magen lagen außerhalb des Körpers und funktionierten nicht richtig. Es folgten mehrere Operationen, mit einem Jahr mussten ihr beide Hüftgelenke gebrochen werden. Im Teeniealter hatte Krystal Rivers, die in Birmingham/Alabama aufwuchs, bereits 20 Operationen hinter sich und auch die Diagnose der Ärzte, dass sie niemals würde laufen können. Den Traum, eine Topsportlerin zu werden, erfüllte sie sich trotzdem. Dann kam mit 19 Jahren der Krebs – in fortgeschrittenem Stadium.

Titelsammler dank Krystal Rivers

Lymphknoten in Hals, Brust und Hüfte waren betroffen. Es folgten eine lange Chemotherapie und der Sieg über die nächste tückische Krankheit. Doch damit nicht genug: Anschließend litt Rivers unter heftigen Panikattacken, benötigte Medikamente und psychologische Hilfe. Mit 23 Jahren wechselte die Volleyballerin nach Beziers und erlebte in Frankreich eine weitgehend sorgenfreie Saison, die mit dem Gewinn der Meisterschaft endete. Danach nahm Krystal Rivers das Angebot von Allianz MTV Stuttgart an.

Der Bundesligist war 2018 zum vierten Mal in Folge Vizemeister geworden, die neue Diagonalangreiferin machte aus ihm einen Club, der Titel holt. Acht sind es seither (4x Meister, 2x Pokalsieger, 2x Supercup-Gewinner), weshalb Kim Renkema sagt: „Krystal Rivers war mit ihrer positiven Mentalität, ihrem großen Kämpferherz und unbändigen Siegeswillen das Puzzlestück, das uns gefehlt hat. Sie ist die beste Verpflichtung in der Geschichte von Allianz MTV Stuttgart.“ Trotz großer gesundheitlicher Beschwerden.

„Raubbau“ am eigenen Körper betrieben

Krystal Rivers hat eine Biografie geschrieben, sie trägt den Titel „Die Ärzte sagten: Du wirst niemals laufen können. Also entschied ich mich zu springen“. Mit dem Buch, das Anfang September erschienen ist, will sie ihr bewegtes Leben verarbeiten und anderen Menschen Mut machen. Auch durch Einblicke, die es bisher noch nicht gab. Zum Beispiel über ihre Zeit in Stuttgart.

Beim MTV wurde Krystal Rivers schnell zur prägenden Figur der Bundesliga, doch dafür, erklärt sie, habe sie „Raubbau“ an ihrem Körper betrieben, Grenzen ignoriert. Und die andauernden Schmerzen ebenfalls. Sie kümmert sich zwar jeden Tag zwei Stunden intensiv um ihren Körper, doch ein Problem war nicht in den Griff zu bekommen: Immer wieder litt Krystal Rivers unter Nierenbeckenentzündungen, die zu hohem Fieber führten. Die Ursache war nicht zu finden.

Krystal Rivers spürt eine große Leere

Im April 2021 erwischte es sie mitten in den Play-offs um die Meisterschaft gegen Dresden. Im Krankenhaus musste sie zuschauen, wie ihr Team die Serie nach zwei Siegen mit ihr letztlich ohne sie 2:3 verlor. In der Saison darauf trainierte sie weniger, um sich zu schonen, spürte am Jahresende aber trotzdem eine große Leere. Erstmals spielte sie mit dem Gedanken, ihre Karriere zu beenden. Die Entscheidung, sich fortan auf wichtige Spiele zu konzentrieren, schien ein Ausweg zu sein, allerdings nur vorübergehend.

Krystal Rivers führte ihr Team zwar weiterhin von Erfolg zu Erfolg, sie selbst fühlte sich aber immer öfter wie eine Verliererin. Kraftlos. Total ausgebrannt. Am Ende. Geschlagen von ständigen Infektionen, zu denen auch noch eine Fistel – ein tiefgehendes Geschwür – im Bauchbereich kam. Im Sommer 2023 stand ihr Entschluss fest: „Volleyball ist mein Leben, aber mir geht es so dreckig, dass es nichts mehr bringt. Noch eine Saison, dann höre ich auf.“

Fistel und Zyste bei langer Operation entfernt

Ins Wanken geriet Krystal Rivers, nachdem sie Oliver Muensterer getroffen hatte. Der Leiter der Kinderchirurgie am Uni-Klinikum in München hatte sie schon als Teenager in Alabama behandelt, nun fand er die Ursache für ihre jüngsten Leiden: Der künstliche Ausgang der Blase durch die Bauchdecke, das sogenannte Urostoma, war für die permanenten Nierenbeckenentzündungen verantwortlich, da sich dort Bakterien eingenistet hatten. Gleichzeitig stellte der Mediziner Krystal Rivers eine erträgliche(re) Zukunft in Aussicht – als Volleyballerin!

Nach dem Gewinn des Triples wurde die Diagonalangreiferin Ende Mai 2024 in München acht Stunden lang operiert. Bei dem Eingriff stellte sich heraus, dass sich neben der Fistel auch noch eine große Zyste gebildet hatte. Beide wurden entfernt. Zudem erklärte der Arzt seiner Patientin, den künstlichen Blasenausgang im Sommer 2025 so verlegen zu können, dass sie nicht mehr auf einen Beutel angewiesen sein werde. „Dieser Mann ist unglaublich“, schreibt Krystal Rivers in ihrem Buch, „ein Geschenk des Himmels.“ Und hauptverantwortlich dafür, dass sie auch diese Saison in Stuttgart spielt.

Krystal Rivers macht im Supercup 27 Punkte

Anfang August erschien Krystal Rivers fit und voller Zuversicht zur ersten Einheit der Vorbereitung, beim Sieg am Sonntag im Supercup gegen den SSC Schwerin machte sie 27 Punkte und wurde als beste Spielerin ausgezeichnet. Alles wie immer also? Nicht ganz. „Sie ist ein Vorbild, spielt immer noch auf allerhöchstem Niveau“, sagt Kim Renkema über Krystal Rivers, „aber ich habe sie dabei noch nie so entspannt erlebt.“

Auch wenn’s pathetisch klingt: Das Volleyball-Wunder in Stuttgart geht weiter.

Saisonstart von Allianz MTV Stuttgart

Spiel
Die erste Bundesliga-Partie der neuen Saison findet in der heimischen Scharrena statt: Die Volleyballerinnen von Allianz MTV Stuttgart treffen an diesem Samstag (19 Uhr) auf den Aufsteiger Schwarz-Weiß Erfurt. Es ist der Ex-Club von MTV-Trainer Konstantin Bitter und Neuzugang Antonia Stautz.

 Signierstunde
Ihre Autobiografie „Die Ärzte sagten: Du wirst nie laufen können. Also entschied ich mich zu springen“ ist seit Anfang September erhältlich – nach dem Spiel gegen Schwarz-Weiß Erfurt kommt US-Diagonalangreiferin Krystal Rivers zur Signierstunde in den Fanshop des Vereins im Foyer der Scharrena.

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