Beim Stuttgarter Weindorf treffen alle Gesellschaftsschichten aufeinander – jung und alt, Alteingesessene und Hinzugezogene. So mancher reist sogar aus den USA an. Was macht den Reiz des Weindorfs aus?
Vereinzelt leuchten schon Lichterketten, hunderte Menschen schieben sich durch die Gassen des Stuttgarter Weindorfs. Ein Saxofonist spielt die ersten Töne von „Der rosarote Panther“. Sofort bleiben einige Leute stehen, wippen im Takt, klatschen mit. Eine ältere Dame nimmt ihren Enkelsohn an die Hand und tanzt mit ihm lachend zur Musik.
Multikulturell und einladend
Auch nachdem sie die Tanzversuche mit ihrem Enkel aufgegeben hat, klatscht Gloria weiter mit. Sie besucht momentan ihre Familie in Stuttgart und ist zum ersten Mal auf dem Stuttgarter Weindorf. Sie selbst wohnt in Bayern. „Sehr multikulti ist das hier, da kommen alle Generationen zusammen“, schildert sie ihren ersten Eindruck von der Veranstaltung. Sie fühle sich sehr wohl und sei beeindruckt vom vielfältigen Angebot auf dem Fest.
Damit benennt die Besucherin aus Bayern trotz sehr geringer Weindorferfahrung zielsicher ein Phänomen, das es in Stuttgart so nur auf dem Weindorf zu geben scheint. Nirgends sonst kommt ein so auffallend buntes Publikum zusammen, um gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Warum gelingt das hier so gut? Zeit, für eine Spurensuche.
„Am Marktplatz sitzen die Schönen und Reichen“
Am hinteren Rand des Schillerplatzes, abseits des Trubels, sitzen Heidrun und Otto Günther mit ihrer Tochter Susanne entspannt in einer der Lauben und beobachten das Gewusel auf dem Platz vor ihnen. Das 81-jährige Ehepaar lebt in Möhringen und nutzt das Weindorf als Gelegenheit, mal wieder in die Innenstadt zu gehen. Alle drei nennen Geselligkeit als großen Anzugspunkt des Fests. „Und wir unterstützen die lokalen Gastwirte gern“, betont Susanne.
Das tut auch eine Gruppe junger Erwachsener, die gemeinsam durch die Gassen schlendert. „Ohne Wein kein Weindorf“, fasst Phillip Schöller den Reiz der Veranstaltung zusammen und lacht. Theresa Keller hat eine andere Theorie: „Am Marktplatz sitzen die Schönen und Reichen.“ In der Kirchstraße und auf dem Schillerplatz gehe es stattdessen etwas entspannter zu, was man auch an den Preisen merke. Ein wichtiger Erfolgsfaktor des Weindorfs scheint also, neben gutem Wein ein breites Angebot für alle Budgets zu sein. Das kann Ruth, die in einer der Lauben als Kellnerin arbeitet, bestätigen. Sie glaubt außerdem, dass die Menschen nach der Pandemie froh seien, wieder gemeinsam feiern zu können. Zudem kämen auch immer mehr Touristinnen und Touristen auf das Fest. „Wir hatten noch nie so viele englischsprachige Gäste wie in diesem Jahr“, sagt sie und fügt hinzu: „Die Amerikaner lieben den Wein!“
Das lässt sich bei einem Rundgang über das Weindorf leicht bestätigen. Immer wieder dringen englischsprachige Gesprächsfetzen durch den Lärm. Eine Gruppe junger Frauen mit Weingläsern in den Händen und einem Snackboard vor sich, ist aus den USA angereist. Und das nicht zum ersten Mal. Was gefällt ihnen am Weindorf so sehr? „Es gibt immer etwas Neues zu probieren und eine große Auswahl an Wein“, sagt Lexy. Außerdem betont sie, wie sicher sie sich hier fühle. Sie könne hier Alkohol trinken, ohne sich Sorgen machen zu müssen.
Für die Stuttgarterinnen und Stuttgarter geht es beim Weindorf wiederum darum, Kontakte zu pflegen. Oliver und Cornelia Schmidt sind aus Stuttgart und kommen fast jedes Jahr hierher. „Das ist ja auch ein Sehen und Gesehen werden hier“, sagt Cornelia Schmidt und lacht. Die beiden schlendern am liebsten gemütlich über das Festgelände, holen sich eine Kleinigkeit zu essen auf die Hand und plaudern mit Bekannten, denen sie über den Weg laufen. Friederike, die mit einer Freundin gekommen ist, geht es ähnlich: „Ich treffe hier immer alle möglichen Leute, ohne mich verabreden zu müssen.“ Für das Ehepaar Witz ist das Weindorf ein fester Termin im Kalender: „Das gehört einfach dazu, wenn man hier wohnt“, sagt die 77-jährige Gisela Witz.
Guter Wein, Geselligkeit, ein breites Angebot – das scheinen die Komponenten für die weitverbreitete Beliebtheit des Stuttgarter Weindorfs zu sein. Aber auch eine Geheimzutat gibt es augenscheinlich, die keiner so richtig in Worte fassen kann. Fast alle Befragten zucken an diesem Abend mit den Achseln und sagen Sätze wie: „Es ist eben einfach schön hier!“ Das scheint so offensichtlich, dass alle es sofort spüren – egal ob Alteingesessene Laubenhocker oder Erstbesucher.