Eine WG im Stuttgarter Osten, ganz in der Nähe des Ostendplatzes, sorgt immer wieder für Irritationen – denn die Bewohner Benjamin Weiblen, Tim Rüstig und Carolin Redmer wohnen in einer umgebauten Bäckerei.

S-Ost - Eine WG im Stuttgarter Osten, ganz in der Nähe des Ostendplatzes, sorgt immer wieder für Irritationen. Erst neulich klingelte ein junger Herr an der Tür. Ob er hier seinen Cityroller reparieren lassen könne, fragte er. Und selbst ein Hund aus der Nachbarschaft kommt mit der Umnutzung der Räumlichkeiten nicht ganz zurecht: Er streunt ab und zu vorbei, um das Leckerli zu bekommen, das es im Laden immer gegeben hat.

 

Benjamin Weiblen, Tim Rüstig und Carolin Redmer wohnen in einer umgebauten Bäckerei. Jahrzehntelang gingen hier Brote und Brötchen über die Ladentheke, nach der Schließung war dort kurze Zeit ein Lottogeschäft – dann ist Weiblen mit zwei Freunden eingezogen. Mit ungewöhnlichen Wohnformen kennt sich der 24-Jährige aus: Zuvor hat er in Heslach in einer umgebauten Metzgerei gewohnt. Gleich überzeugt war er von der neuen Wohnung im Osten aber nicht. Obwohl – oder gerade weil – er Bauingenieurwesen studiert, konnte er sich das Wohnen in den außergewöhnlichen Räumen nicht recht vorstellen. „Unten war anfangs alles noch eine einzige Baustelle und oben stand immer noch die Ladentheke“, sagt er, als er sich an die erste Besichtigung erinnert. Schließlich hat er sich von seinen Mitstreitern überreden lassen. Das war vor gut zweieinhalb Jahren; bereut hat er die Entscheidung seither nicht. Auch wenn er der einzige der Gründungsväter ist, der noch dort wohnt. Die 22-jährige Carolin Redmer ist vor drei Wochen eingezogen. Tim Rüstig wohnt zur Zwischenmiete in der WG, bis er für sein Studium nach Essen zieht.

Freunde nennen die Bleibe nur noch das „Bäcks“

Die Bleibe der drei ist schnell zu einem Treffpunkt geworden. Freunde nennen die Wohnung nur noch das „Bäcks“ – eine Wortschöpfung aus dem Wort Bäckerei und der Biermarke Becks. Im Schaufenster hängt ein Schild in Windowcolor mit der Aufschrift „Bäcks“.

Überhaupt, das Schaufenster: das wird von den Bewohnern immer wieder neu gestaltet, mit Pappaufstellern oder Skateboards beispielsweise. Zuletzt waren dort kleine Comicfiguren aufgestellt, dann aber musste umdekoriert werden, nachdem eines Nachts das Fenster eingeschlagen worden war. Jetzt sind im Schaufenster Bretter angebracht, den Boden bedecken unzählige Kronkorken, die stetig nachgefüllt werden, eine Pflanze steht darin – und über allem hängt das besagte Schild.

Hinter dem Schaufenster ist direkt das Wohnzimmer der Mitbewohner. Sie sitzen auf braunen Ledersofas, der Couchtisch ist ein Brett, das auf Wulle-Bierkisten liegt, die Wände sind mit Postern und Skateboards dekoriert. Anderes wiederum erinnert an alte Zeiten: Der Spiegel, der früher über der Ladentheke hing, ist immer noch da, im alten Brotregal lagern inzwischen Schuhe. Von dort aus gelangt man über ein paar Stufen in Benjamin Weiblens Zimmer . „Hier wurden früher die Mehltüten gelagert“, sagt er. Carolin Redmer und Tim Rüstig wohnen im Untergeschoss, in der ehemaligen Backstube. Dort ist auch das kleine Bad und die Küche. Die Wände schmücken Malereien und Gekritzel, etwa ein Motiv des Streetart-Künstlers Banksy, im Treppenhaus haben sich Partygäste mit Sprüchen verewigt.

Die Gäste verewigen sich auf der Wand im Treppenhaus

Eine richtige Terrasse haben die drei zwar nicht, dafür aber einen ganzen Platz, direkt vor der Haustür. Bei schönem Wetter stellen sie einfach eines der Sofas raus und frühstücken dort. Auch gegrillt wird auf dem kleinen Platz. „Unsere Grillsaison endet im Dezember und beginnt im Januar“, sagt der 20-jährige Tim Rüstig und lacht. Die Passanten und Nachbarn freuen sich über die Umnutzung, sind sich die drei einig. „Die Reaktionen auf uns sind fast durchweg positiv“, sagt Rüstig, „viele finden das cool und sagen, wir peppen den Bezirk auf.“ Manchmal kommen auch Alteingesessene vorbei, die den Laden von früher kennen. „Einmal war eine Frau hier, die mehr als 20 Jahre lang in der Bäckerei gearbeitet hatte“, erzählt Benjamin Weiblen.

Schwieriger wird es mit der Nachbarschaft, wenn im Bäcks Partys gefeiert werden; bei schönem Wetter ist dann der Platz vor dem Haus gerne mal voll, und es wird lauter. „Da müssen wir schon aufpassen“, sagt Benjamin Weiblen. Trotzdem: die Partys und ungewöhnlichen Räumlichkeiten haben sich herumgesprochen. Eine Singer-/Songwriterin hat im Bäcks ein Wohnzimmer-Konzert gegeben, und Rapper Cro hat gleich ein ganzes Filmteam angeschleppt, um in der WG ein paar Szenen für einen Beitrag auf ZDF-Neo zu drehen. Wie viele andere Partygäste hat auch er sich auf der Wand im Treppenhaus verewigt.