StZ-Redakteur Martin Tschepe erzählte im Treffpunkt Rotebühlplatz in der Reihe „Stuttgarter Zeitung Direkt“, wie es war, als er vergangenes Jahr von Lübeck bis nach Hof radelte – eine besondere Erfahrung an der einstigen deutsch-deutschen Grenze.

Stuttgart - Wachtürme aller Art, das Graffiti eines rechtsradikalen Treffs namens „Club 88“, eine Ortstafel mit „Elend“ und ein anderes Schild, auf dem „Hier war Deutschland bis 18. November um 6 Uhr geteilt“ zu lesen ist. Das sind nur wenige der vielen Bilder, die Martin Tschepe, StZ-Redakteur, auf seiner „Grenzerfahrung – Eine Tour am Rande des Todesstreifens“ aufgenommen hat. Unter diesem Motto zeigte er sie nun im Treffpunkt Rotebühlplatz in der Reihe „Stuttgarter Zeitung Direkt“. Im Pressecafé der Volkshochschule berichtete der Journalist, wie es war, als er vergangenes Jahr von Lübeck bis nach Hof radelte – immer an der einstigen deutsch-deutschen Grenze entlang, pro Tag 120 Kilometer mit einem Transport-Elektro-Bike.

 

Am 30. September fuhr er los, zufällig, wie er sagt. Dann wurde ihm bewusst, welch denkwürdiger Tag das war: Just an diesem Tag vor 25 Jahren hatte der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher den in der deutschen Botschaft in Prag ausharrenden DDR-Bürgern verkündet, dass sie ausreisen dürfen. Tschepes Reise sollte aber noch mit vielen weiteren Momenten geschichtlicher Vergegenwärtigung aufwarten. So führte etwa nach Ahrensbök, wo er sein Fahrrad abholte, ein Todesmarsch von KZ-Häftlingen, und mitten durch Mödlareuth, am Ende der Tour, verlief die Mauer. „Little Berlin“ wurde das Dorf nahe der tschechischen Grenze genannt.

Gewinner und Verlierer auf beiden Seiten

Schon in Mecklenburg-Vorpommern, genauer in Boizenburg, hatte er morgens bei der Bäckerin eine Geschichtsstunde erhalten. Sie erklärte ihm, dass die Freiheit trotz der wirtschaftlichen Probleme nach der Wende unbezahlbar sei und dass der Hamburger Elbtunnel Fliesen aus ihrem Ort trage. Heute beschäftigt der einst florierende Fliesenhersteller statt 2000 nur noch 200 Mitarbeiter. Dagegen entpuppte sich etwa der Arendsee als schmuckes Idyll, Ilsenburg als Erfolgsgeschichte. Daher sähen die einen keinen Grund, den Tag der Deutschen Einheit zu begehen, während anderswo ein Dorffest gefeiert wird. „Es kommt darauf an, ob die Menschen Arbeit haben“, so Tschepe, „es gibt Gewinner und Verlierer auf beiden Seiten.“ Entsprechend unterschiedlich sei es auch um die Grenzen in den Köpfen bestellt. „Manche Ostler und Westler wollen noch unter sich bleiben, andere keinesfalls.“ Sein Fazit der Tour: „Es war eine grandiose Reise in die Vergangenheit, die ich nur empfehlen kann.“