To Lan Druckmiller lebt und arbeitet dort, wo andere Urlaub machen. Neu ist das für die 35-Jährige nicht: Das gebürtige Nordlicht hat bereits in Boston und Edinburgh gelebt. Für den Beruf zieht es To Lan schließlich 2013 nach Stuttgart. Hier arbeitet sie vier Jahre lang als UX-Konzepterin bei einer Agentur in Festanstellung.
„Bei mir war immer ein ganz großer Wille für Freiheit vorhanden“
Ihre Zeit in Stuttgart war für To Lan etwas ganz Besonderes, wie sie erzählt: „Das Leben in Stuttgart habe ich geliebt und auch sehr gerne in der Agentur gearbeitet.“ Trotzdem muss Veränderung her! An einem kalten Novembertag kommt sie aus dem Urlaub aus dem warmen Süden zurück. Zu dieser Zeit realisiert sie, dass die Zeit reif ist. Ohne große Vorplanung, nur einen Monat später beginnt für sie ein neues Abenteuer – die Selbstständigkeit. "Bei mir war immer ein ganz großer Wille für Freiheit vorhanden", erzählt die junge Frau.
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„Meine Gemütsstimmung ist stark vom Wetter abhängig“
Als frischgebackene Freelancerin kann To Lan zu dieser Zeit ihren Umsatz noch nicht genau einschätzen und entschließt sich dazu Stuttgart zu verlassen. Auch, weil ihr das Leben in Stuttgart vorerst eine Nummer zu teuer ist. Außerdem kann To Lan den deutschen Winter nur schwer ertragen. "Meine Gemütsstimmung ist stark vom Wetter abhängig", erzählt sie lachend.
Digitales Nomadenleben – nein danke!
Zunächst lebt sie wie eine digitale Nomadin und reist durch Kolumbien. Dabei stellt sie fest, dass diese Art von Leben doch sehr anstrengend ist. Ständig neue Unterkünfte suchen, aus dem Koffer leben, die Zeitverschiebung zu ihren deutschen Kund:innen - einfach ist das für To Lan nicht.
Zu dieser Zeit fasst sie Asien als nächstes Ziel ins Auge. Sie ist nun auf der Suche nach einem Land und einer Stadt mit Sonne, Meer, guter Internetverbindung und gerne darf es auch etwas günstiger sein. Sri Lanka und Bali stehen ganz oben auf ihrer Liste. Aufgrund der moderneren und besseren Infrastruktur fällt die Entscheidung auf Bali. Dort möchte sich To Lan zunächst für ein Jahr niederlassen.
„Ich wollte mal ungefähr ein Jahr schauen, wie es dort so läuft. Aber immer mit dem Gedanken, dass ich wieder zurück ins geliebte Stuttgart kommen kann, falls es dort nicht funktioniert.“, erzählt die 35-Jährige. Aus dem einem Jahr werden schließlich fünf.
„Den Begriff 'digitale Nomadin' überlasse ich den coolen Kids“
Für To Lan sind digitale Nomaden Menschen, die sich bewusst für einen Job entscheiden, den sie von der ganzen Welt aus remote ausführen können. Die UI- und UX-Designerin betont jedoch, dass sie diesen Job schon vor ihren Reisen ausgeübt hat und die Remote-Arbeit nur ein zusätzlicher Vorteil ihres Jobs ist. "Den Begriff 'digitale Nomadin' überlasse ich den coolen Kids", sagt To Lan lachend. Da sie einen festen Wohnsitz hat, den sie nach Lust und Laune ändern kann, sieht sie sich eher als digitale Settlerin.
„Für mich ist Stuttgart immer noch eine herrliche Stadt!“
Obwohl To Lan keine gebürtige Schwäbin ist, liebt sie Stuttgart und kommt deswegen regelmäßig zurück in den Kessel. Meistens verbringt sie den Sommer hier, um Freunde und Familie wiederzusehen, aber auch um sich bei Kund:innen in Erinnerung zu bringen und zu netzwerken.
Auch Arztbesuche erledigt sie hier und stattet ihrem Steuerberater einen Besuch ab.
To Lans Kund:innen sitzen hauptsächlich in Stuttgart. Dadurch, dass sie hier ein gutes Netzwerk aufgebaut hat, kann sie noch immer darauf zurückgreifen. Neue Kund:innen finden sie meistens über Weiterempfehlungen.
Reality Check
Im ihrem ersten Bali-Jahr erlebt sie nicht nur Gutes. Es passieren sehr viele und schlimme Unfälle in Indonesien. "Es gibt dort nur mangelnde Sicherheitsvorschriften", so To Lan. "In Deutschland sind Krankenhäuser und Ärzt:innen gut ausgebildet und selbstverständlich." Dass Freund:innen und Bekannte bei Surf- oder Verkehrsunfällen sterben, hat die 35-Jährige vor Bali nicht gekannt.
To Lan überlegt sich mehrmals, ob sie diese schlimmen Situationen auf Dauer aushalten kann und sie wirklich die richtige Entscheidung mit Bali getroffen hat. Doch mit der Freiheit, dem Meer und dem warmen Klima überwiegen die guten Seiten.
Nach der Honeymoon-Phase kommt der Alltag
Strand, Surfen und Cocktails – so romantisch stellen sich Außenstehende das Leben in Indonesien vor. Nachdem die ersten Monate der „Honeymoon-Phase“ vorbei sind, realisiert To Lan, dass Dauerurlaub allein nicht glücklich macht.
An diesem Punkt entscheidet sich, wer seine sieben Sachen wieder zusammenpackt und zurück nach Deutschland geht und wer sich der Realität "im Ausland arbeiten" stellt und sich dadurch ein Leben schafft, das sowohl die süßen Seiten als auch den Alltag einschließt.
To Lan schafft Zweiteres, zieht neue Kund:innen an Land und findet große Zufriedenheit in ihrer remoten Arbeit auf Bali. Selbst die Zeitverschiebung zu ihren Kund:innen ist kein Problem.
„Meinen Schlafrhytmus habe ich den Meeresgezeiten angepasst, um morgens surfen zu gehen“
Doch wie läuft so ein Remote-Arbeitstag auf Bali eigentlich ab? „Ich bin zu deutschen Arbeitszeiten erreichbar. Das ist auf Bali etwa von 15 Uhr bis Mitternacht. In Deutschland ist es derweil zwischen 9 und 18 Uhr.“
To Lan liebt ihren entspannten Morgen auf Bali. Sie steht früh auf um ihrer Leidenschaft, dem Surfen nachzugehen. Mit dem Roller ist sie in nur fünf Minuten am Strand. Den Vormittag verbringt sie am liebsten mit ihrem Hund und einem guten Kaffee. Mittags geht es dann an die Arbeit.
„Ein Vorteil ist, dass ich bei drückender Deadline für den Kunden auch mal vorarbeiten kann, bevor in Deutschland überhaupt der Tag beginnt“, berichtet To Lan von ihrem Arbeitsalltag. Wenn in Stuttgart die ersten morgendlichen Meetings starten, ist To Lan auf Bali bereits seit ein paar Stunden produktiv.
Comeback nach Stuttgart nicht ausgechlossen
Doch ist die 35-Jährige nun angekommen? To Lan ist seit ihrer Kindheit viel umgezogen und hatte nie die eine Freundin, die sie seit dem Kindergarten kennt. Über eine lange Zeit hinweg fragt sie sich, wann und wo sie diesen einen Ort findet, an dem sie bleiben will. Für To Lan ist klar, dass auch Bali langfristig nicht dieser Ort ist.
"Ich richte mich nach dem Herzen und dem Bauchgefühl und bleibe dabei Neuem gegenüber aufgeschlossen", sagt To Lan. Die UX- und UI-Designerin hat sich eine Unabhängigkeit und Freiheit erarbeitet, die sie noch eine Weile länger genießen möchte. Vielleicht strandet sie auch irgendwann wieder in Stuttgart. "Ausschließen möchte ich das nicht!"
StZ Plus-Archiv: Dieser Artikel erschien erstmals am 20.8.2022