Die Entwicklung der Integrationspolitik in Stuttgart ist eng mit dem Namen Gari Pavkovic verbunden. 24 Jahre lang war er Integrationsbeauftragter. Trotz schwieriger Verhältnisse und polarisierter Debatte glaubt er nicht an einen strengen Kurswechsel der Politik.

Familie/Bildung/Soziales: Mathias Bury (ury)

Fast zweieinhalb Jahrzehnte hat Gari Pavkovic die Integrationspolitik der Landeshauptstadt mitgeprägt. Nun geht er in den Ruhestand. Obwohl die Integrationsdebatten härter geworden sind und es viele Herausforderungen gibt, glaubt Pavkovic nicht an einen grundlegenden Wechsel in der Integrationspolitik. Die Alternativen hätten fatale Folgen.

 

Herr Pavkovic, Sie waren 24 Jahre lang in der Stuttgarter Integrationsarbeit tätig. Waren es gute Jahre?

Es waren gute Jahre, wir sind in diesen Jahren eine weltoffenere Stadtgesellschaft geworden.

Heute sind die Zeiten schwieriger. Erleben wir eine Wende in der Integrationspolitik?

Ich haben in den 24 Jahren immer wieder Wenden erlebt. Als ich 2001 angefangen habe, hatten wir einen Runden Tisch für friedliches Zusammenleben und Sicherheit, es gab schwere Konflikte zwischen türkischen und kurdischen Gruppen. Mit dem 11. September kam der islamistische Terrorismus auf die Tagesordnung. Um 2010 lief die Diskussion über Thilo Sarrazin und die Frage, ob Multikulti gescheitert ist. Es gab solche Krisen auch früher. Erschwerend kommt jetzt hinzu, dass wir eine schlechtere finanzielle Perspektive haben.

Stuttgart war über Jahrzehnte eine Vorzeigestadt in der Integration. Was hat die Stadt anders gemacht als andere Städte?

Wir hatten als eine der ersten Städte überhaupt so etwas wie ein Integrationskonzept entwickelt. Dabei ging es nicht nur um Sprachförderung und sozialpolitische Maßnahmen. Unser Ansatz war: Eine Stadt ist nur zukunftsfähig, wenn sie die Talente ihrer internationalen Bevölkerung anerkennt und nutzt. Wolfgang Schuster hat gesagt, die Alternative sei, dass die Leute aus aller Welt nicht kommen und die Städte große Altersheime und unattraktiv werden. Gelingende Integration ist eine Voraussetzung für Wirtschaftsaufschwung – dieses Denken war hier stark ausgeprägt.

Die Stimmungslage hat sich verändert. Selbst in Stuttgart ist der Konsens in der Integrationspolitik dahin.

Wir haben auf der Bundesebene das Problem der staatlich schlecht gesteuerten Fluchtzuwanderung, wodurch das Thema der Migration generell problematisiert wird. Aber kein einziger Asylsuchender aus Afghanistan wird wegen dieser Debatte weniger kommen, aber viele qualifizierte Fachkräfte aus Indien oder anderen Teilen der Welt überlegen sich, wegen der schwindenden Willkommenskultur nicht nach Deutschland zu gehen. Wir werden unattraktiv für Fachkräfte, nicht für Geflüchtete. Ich denke, auch die neue Regierung wird dafür sorgen, dass wir ein attraktives Einwanderungsland bleiben. Die Alternative dazu wäre ein Wirtschaftsabschwung.

Wie sind die Integrationsquoten?

Knapp die Hälfte der Syrer ist berufstätig, davon zu 80 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt, manche aber noch als Aufstocker beim Jobcenter. Bei Frauen sieht es noch schlecht aus bei der Arbeitsmarktintegration. Auch bei den Ukrainern, das sind überwiegend Frauen mit Kindern, die brauchen einen Kitaplatz, wenn sie einen Vollzeit-Sprachkurs machen wollen. Das ist objektiv schwierig.

Ist die Arbeitsquote syrischer Männer als Erfolg zu werten?

Längerfristig betrachtet ist das ein Erfolg. Viele arbeiten in Engpassberufen. In meiner alten Heimat Kroatien werde ich wegen meines Jobs immer bemitleidet, die vielen Flüchtlinge seien doch schrecklich, sagen sie. Aber Kroatien muss jetzt für die Gastronomie Menschen von den Philippinen anwerben. Das heißt: Die, die zu uns gekommen sind, haben erst einmal die Jobs gemacht, die keiner mehr machen wollte. Ein Erfolg ist auch, dass die größte Gruppe der Eingebürgerten heute die Syrer sind.

Worauf sind Sie im Rückblick besonders stolz?

Ein Highlight war sicher, dass es in der Zeit von OB Fritz Kuhn mit dem Gemeinderat in relativ kurzer Zeit gelungen ist, ein Welcome-Center einzurichten, also eine Servicestelle für Neuzugewanderte.

Was sind die Herausforderungen der kommenden Jahre?

Bei allem Erfolg: Bei den Migranten in Stuttgart, die bei Wahlen das Recht haben, politisch mitzubestimmen und das auch tun, ist noch viel Luft nach oben. Wir haben einen guten Lokalpatriotismus auch bei Migranten. Aber das selbstbewusste Mitgestaltenwollen in der Politik fehlt noch. Eine liberale Demokratie lebt vom Mitmachen und nicht vom Klagen über Benachteiligung, auch wenn es die gibt. Dass es auf Bundesebene wie in der Kommunalpolitik künftig keinen Konsens mehr gibt für eine proaktive Integrationspolitik, davor habe ich keine Angst. Das Problem ist aber die nicht geregelt Fluchtmigration. Das ist auch ein Behördenproblem. Man braucht mehr Leute beim Bundesamt und bei den Gerichten, die die Entscheidungen treffen, wer bleiben darf und wer nicht. Das geht zu langsam, wir sind zu bürokratisch.

Es sieht so aus, dass der Bund die Mittel für die Sprachförderung kürzen will.

Wenn der Bund bei der vorläufigen Entscheidung bleibt und die Mittel für die Sprachförderung drastisch reduziert, verzögert sich alles noch mehr. Die Akzeptanz gegenüber Geflüchteten ist größer, wenn sie Leistungserbringer sind, wenn sie schaffen. Anerkennung geht über Arbeit. Diesen Prozess dürfen wir nicht durch eine unzureichende Deutschförderung verzögern.

Trotz der polarisierenden und eher negativen Debatte über Migration ist die Gesellschaft dafür doch deutlich offener geworden.

Auf jeden Fall. So werden wir auch von außen gesehen. Es ist eine Erfolgsgeschichte, auch wenn sich die Politik immer wieder eher widerwillig damit beschäftigt hat. Aber das Normale, das Erfolgreiche ist keine Nachricht, die Nachricht ist immer die Ausnahme von der Regel. Es leben etwa drei Millionen Geflüchtete in Deutschland. Zehn, zwölf von diesen begehen schreckliche Taten, die drei Millionen anderen führen hier ein friedliches Leben.

Was sagen Sie denen, die sehr viel weniger Zuwanderung fordern?

Ohne Zuwanderung werden noch mehr kleine Läden zumachen, weil sie keine Arbeitskräfte finden, zum Beispiel Bäckereien. Wer einen Handwerker braucht, wo sehr viele Beschäftigte eine Migrationsgeschichte haben, wird keinen mehr finden. Im Gesundheitssektor und in der Pflege ist es nicht anders, auch bei den Busfahrern und den Kassierinnen im Supermarkt. Und bei den Begräbnissen: 100 Prozent der Totengräber auf Stuttgarter Friedhöfen sind migrantisch. Nimmt man die ganze Lebensspanne von der Kita bis zum Friedhof und stellt sich vor, die Migranten wären alle weg, bekämen wir einen Lockdown im Quadrat. Unsere Gesellschaft würde wirtschaftlich und gesundheitlich zusammenbrechen.

Liebe zur deutschen Sprache

Herkunft
Gari Pavkovic kam 1969 als Zehnjähriger mit seinen Eltern aus dem damaligen Jugoslawien nach Deutschland. Sein erstes Schuldiktat schrieb er noch ohne jegliche Deutschkenntnisse. „Dank guter Lehrer und Mitschüler“, wie er sagt, entwickelte er bald eine Liebe zur deutschen Sprache, Literatur und Philosophie. Im Deutschabitur 1979 war er Jahrgangsbester. Danach studierte er Psychologie, widmete sich der interkulturellen Beratung und baute Selbsthilfegruppen für suchtkranke Migranten auf. 1990 kam Gari Pavkovic zur Stadt Stuttgart.

Integrationsbeauftragter
Im Jahr 2001 übernahm Pavkovic die Stabsabteilung für Integrationspolitik bei OB Wolfgang Schuster. In dieser Funktion hat er das Konzept für das „Bündnis für Integration“ entwickelt, das bundesweit als vorbildlich galt. Zahlreiche Projekte wie „Mama lernt Deutsch“, „Startklar“ und die „Stuttgarter Einbürgerungskampagne“ entstanden unter seiner Leitung und wurden vielfach ausgezeichnet. Pavkovic initiierte den bundesweiten Arbeitskreis „Kommunaler Qualitätszirkel zur Integration“. Integrationsbürgermeisterin Alexandra Sußmann sagt: „Gari Pavkovic hat mit seinem unermüdlichen Einsatz und seiner visionären Arbeit die Integrationspolitik Stuttgarts entscheidend geprägt.“ Er habe „Brücken gebaut zwischen Menschen, Kulturen und Institutionen“.