In Mannheim beweist er es: Burkhard C. Kosminski ist ein Menschenfänger und Brückenbauer – und wenn nicht alles täuscht, auch der richtige Mann fürs Stuttgarter Schauspiel, das er 2018 übernehmen soll.

Stuttgart - Mannheim hat ein dankbares Publikum. Wo andernorts, sagen wir: Berlin, Besserwisser mit verschränkten Armen eine Inszenierung mürrisch absitzen und sich schon mal auf ihre Buhs freuen, verfolgen die Zuschauer des Nationaltheaters das Bühnengeschehen mit frischer, lebendiger und hellwacher Aufmerksamkeit. Auf den Stuhlkanten sitzend, quittieren sie überraschende Wendungen mit Ohs und Ahs und knallige Pointen mit befreienden Lachern. Schwer vorstellbar, dass in diesem Haus auch schon heftiges Missfallen geäußert worden wäre, laut und vernehmlich. Das ziemt sich nicht: Die Mannheimer lieben ihr Nationaltheater so sehr, dass sie ihm auch Schwächen nachsehen. Und für diese Milde wiederum bedankt sich auch das Theater und liefert regelmäßig Futter für Herz und Hirn.

 

Burkhard C. Kosminski, der 2018 als Nachfolger von Armin Petras nach Stuttgart kommen soll, hat diese Mannheimer Symbiose bis zur Perfektion weiterentwickelt. Seit 2006, als er die Schauspielsparte des Nationaltheaters übernahm, treibt er die Zuschauerzahlen in Rekordhöhen. Pro Saison kommen mittlerweile zwischen 100 000 und – in Jahren, in denen die Schillertage stattfinden – 130 000 Besucher in sein Sprechtheater, womit er ungefähr gleichauf mit Petras liegt, obwohl er insgesamt weniger Plätze anzubieten hat. Kosminski ist ein Menschenfänger mit enormer Verführungskraft, ob er nun selber inszeniert oder als Intendant inszenieren lässt wie bei den jüngsten Premieren in seinem Haus: Sibylle Bergs „Und jetzt: die Welt!“ in der Regie von Jennifer Regnet, geboren 1989, sowie William Shakespeares „Wie es Euch gefällt“ unter der Leitung von Susanne Lietzow, Jahrgang 1968.

Mit dem Willen zur Unterhaltung

Die beiden Frauen stammen aus unterschiedlichen Generationen, beschäftigen sich mit unterschiedlichen Stoffen und nutzen unterschiedliche Spielweisen – und doch haben sie eines gemein: den spürbaren Willen zur Unterhaltung, wie intellektuell vertrackt die zu verhandelnde Sache auch sei. Das geht mal mehr, mal weniger gut. Während das Berg-Stück, ein beliebig auf Spieler zu verteilender Prosatext über das Lebensgefühl der Mittzwanziger, in einem jugendlichen Aktionismus unterzugehen droht, behauptet sich die Shakespeare-Komödie als solides Entertainment.

Nachvollziehbar entfaltet die Regisseurion die zwischen Fürstenhof und Ardenner Wald angesiedelte, mit Verwicklungen garnierte Handlung von „Wie es Euch gefällt“, worin vier Männer und Frauen zu Paaren getrieben werden, freilich mit den für den elisabethanischen Dramatiker typischen Umwegen. Eine Frau gibt sich als Mann aus und spielt in ihrer vorgetäuschten Männerrolle wieder eine Frau, um dem Mann, den sie begehrt, Lektionen in Liebe zu erteilen: eine vielfache Spiegelung sozialer, biologischer und emotionaler Rollen, die in anderen Inszenierungen zur Steilvorlage für Gender-Seminare würde. Doch was macht Frau Lietzow? Sie verlässt sich auf Shakespeares Witz, verzichtet auf bleiernen Akademismus und beschert der Komödie ein Happy End, dessen Konfettiregen auch ein Musical zieren könnte. Trotzdem biedert sich ihre Inszenierung nicht an. Sie baut Brücken, die leicht begehbar sind, was nicht nur Kosminski gefällt.

Gefallen hat diese zum Prinzip gewordene Publikumsnähe offensichtlich auch der Stuttgarter Findungskommission, die vor drei Wochen eine Empfehlung für den 1961 in Schwenningen geborenen Theatermann abgab. Die Entscheidung über die künftige Leitung des Schauspiels liegt zwar beim Verwaltungsrat des Staatstheaters, aber es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn das am 24. April tagende Gremium den Personalvorschlag ignorieren würde. Die Intendantenwahl dürfte eine reine Formsache sein, allerdings eine, die es vor dem speziellen Stuttgarter Hintergrund in sich hat: Als Brückenbauer und Menschenfänger ist der 55-jährige Kosminski das genaue Gegenbild seines Vorgängers, ein vollendeter Anti-Petras sozusagen, in ästhetischer und in menschlicher Hinsicht. Als nach der jüngsten Shakespeare-Inszenierung das Ensemble gemeinsam mit dem Publikum zur Premierenfeier schritt, war der Mannheimer Theaterchef nicht nur dabei, sondern mittendrin, in Zuschauergespräche verwickelt, greifbar für jeden und allzeit präsent – ein Intendant zum Anfassen, wie es in Stuttgart zuletzt nur Hasko Weber war.

Theater als politischer Ort

Mit Weber, dem 2013 nach Weimar abgewanderten Theaterchef, verbindet Kosminski aber mehr als nur die bodenständig zupackende Art des gestählten Bühnenpragmatikers. Wie sein Vorvorgänger sieht auch er in Schauspielhäusern einen politischen Ort, den es unter allen Umständen zu verteidigen gilt. „Theater sind Streiträume für gelebte Demokratie im Herzen jeder Stadt, sie verhindern Intoleranz und radikale Strömungen. Darüber sollten sich Politiker im Klaren sein, bevor sie das Sparen zur neuen Religion erheben“, sagte er einmal im Gespräch mit dieser Zeitung – eine selbstbewusst kämpferische Haltung, die sich jenseits des erwünschten Entertainments auch kräftig in den Mannheimer Spielplänen niederschlägt. Neben Klassikern finden sich da auffallend viele neue Dramen und Projekte, in denen zeitgenössisch drängende Fragen behandelt werden, zuletzt die europäische Flüchtlingskrise: Unter Kosminskis Führung ist Mannheim zum Uraufführungstheater im deutschsprachigen Raum schlechthin geworden.

Wenn nicht alles täuscht, wird der designierte Intendant dieses Konzept auch mit nach Stuttgart bringen: Erst- und Uraufführungen aktueller Stücke junger Autoren und Autorinnen, die im Übrigen häufig aus den USA kommen. Seit seiner Ausbildung in New York verfügt der Theatermann über exzellente Kontakte in die Staaten, was sich für Mannheim schon öfters ausgezahlt hat. Sein größter Coup: die europäische Erstaufführung von „August: Osage County“, dem wuchtigen Familiendrama von Tracy Letts, das seitdem landauf, landab nachgespielt wird, auch in Stuttgart. Freilich wäre Kosminski schlecht beraten, wenn er sich an seiner neuen Wirkungsstätte nur auf alte Erfolgsrezepte verlassen würde. Das hat zu Beginn der neunziger Jahre schon einmal ein aus Mannheim kommender Intendant versucht, der damit glanzlos scheiterte: Jürgen Bosse. Das sollte Kosminski eine Warnung sein. Stuttgart ist eine Nummer größer als Mannheim – und entsprechend größer sind auch die Erwartungen, die er mit seinem Ensemble im als Leuchtturm fungierenden Staatstheater erfüllen muss.

Vermutlich weiß Kosminski das sehr genau. Schon als er in Pfullingen zur Schule ging, pilgerte er regelmäßig nach Stuttgart ins Theater. Das auf höchstem Niveau stattfindende, sinnlich-politische Schauspiel des Claus Peymann, unzählige Male zum Berliner Theatertreffen eingeladen, hat ihn geprägt. Kosminski gehört zu Peymanns sprichwörtlich gewordenen Kindern – wahrlich nicht die schlechteste Voraussetzung, um das traditionsreiche Schauspiel wieder zu neuen Höhen zu führen.