Der Künstler und Koch Mario Ohno hat die erste Kochbuchbibliothek Stuttgarts eröffnet. Wie alles in den Reinsburghallen, folgt auch diese ihren eigenen Gesetzen.

Stuttgart - Eigentlich ist Theo Sommer nur als Gast gekommen. Jetzt steht er am Herd, während Mario Ohno zwischen den Gästen hin und her flitzt. Vor Sommer stehen Schüsseln mit geschälten Zwiebeln, Kräuter in Blumentöpfen und klein geschnittener Salat in Töpfen. Wie der Abend ablaufen soll, wollen die Gäste wissen. Das weiß Mario Ohno, der Herr des Hauses an der Reinsburgstraße 86A im Stuttgarter Westen, selbst nicht so genau.

 

Normalerweise serviert Ohno in den Reinsburghallen bei seiner berühmten Einzimmertafel St. Amour erlesene Menüs. Dank der Romane des Stuttgarter Autors Wolfgang Schorlau sind diese inzwischen so beliebt, dass die Warteliste lang ist. An diesem Abend feiert Ohno etwas, das er „die konsequente Weiterentwicklung“ seines kulinarischen Konzepts nennt: die Eröffnung der ersten Stuttgarter Kochbuchbibliothek. Anlässlich dessen stehen nicht nur er selbst und – unverhofft – Theo Sommer am Herd, sondern auch Frank Oehler von der Speisemeisterei. Was die beiden verbindet ist selbstverständlich die Liebe zum Kochen, doch lange nicht mehr nur das. Oehler ist inzwischen immerhin auch der Patenonkel von Ohnos Sohn Max.

Das Menü für den Eröffnungsabend haben die beiden gemeinsam ausgewählt. Drei Gänge gehen auf Oehlers Konto, drei auf Ohnos. „Das sieht man doch gleich, was von wem kommt“, sagt Ohno. Der gebratene Salat sei natürlich vom Sternekoch: „Haben sie schon mal gebratenen Salat gesehen? Also ich nicht.“ Gemeinsam ist allen Gängen, dass Zwiebeln zu den Hauptakteuren der Speisen gehören.

Kochen ist Kunst

Während sich die Gäste einfinden, wird in der offenen Wohnküche geschnippelt, gebraten und gekocht. Die Gäste statten sich derweil mit einem passenden Wein aus („Ohno: „Ich brauche jetzt aber erst einmal ein Bier.“). Die Weine kommen vom Weingut Heid, serviert wird unter anderem ein gekühlter Trollinger. Mit dem Glas in der Hand wird in den Regalen gestöbert und in den Werken, um die es an diesem Abend gehen soll. In den vergangenen Jahrzehnten hat Ohno zahllose Kochbücher angesammelt. Jede Woche ein neues Kochbuch – lange Zeit war das ein Muss. Außerdem: „Wenn Leute wissen, dass man gerne kocht, bekommt man natürlich ständig neue geschenkt“, sagt er.

Inzwischen stapeln sich die Bücher in mehreren Regalen in der gesamten Wohnung bis unter die Decke. Und damit auch dazugehörige Geschichten. Das erste etwa, das er bekommen hat, ist ein Weihnachtsgeschenk von 1993. In „Der große Pellaprat“ steht noch die Widmung seiner Mutter geschrieben. Die sonstige Auswahl in den Regalen variiert von „150 nützliche Rezepte“ und „Ein kulinarisches Rendezvous mit Schwaben“ bis hin zu „Die neue pazifische Küche“ und „Die Kochkunst des Mittelalters“. Dabei versteht Koch und Künstler Ohno ein Rezept lange nicht als Handlungsanleitung für ein perfektes Gericht, sondern vielmehr als Ideensammlung, die es zu analysieren gilt.

Für Ohno ist Kochen auch eine Philosophie

Kochen ist für Ohno viel mehr als die Zubereitung von Gerichten. Wenn er vom Kochen spricht, dann geht es nicht um Tomaten, Hackfleisch oder Garzeiten, dann geht es um Beuys, um Existenzialismus und Haltung. Kochen ist für ihn schlicht Kunst: „Nur nennen wir es nicht so. Ich schon.“ Besonders deutlich ist ihm das vor allem, seit er als Student in einer Großküche als Tellerwäscher gearbeitet hat. „Alles folgt einer klaren Choreografie“, sagt er.

Da Ohno kein gewöhnlicher Koch ist, erübrigt sich die Bemerkung, dass auch die Bibliothek eigenen Gesetzen folgt. Ausgeliehen wird nicht, fotokopiert erst recht nicht. Die Rezepte werden handschriftlich notiert, an Veranstaltungsabenden außerdem analysiert und gemeinsam gekocht.

An diesem Eröffnungsabend mitzuwirken, war für Oehler keine Frage: „Ein Kochbuch ist eines der ältesten Kulturgüter der Menschheit“, sagt der Sternekoch. Rezepte lassen sich analysieren und in die Zeitgeschichte einordnen, oder wie es Ohno ausdrückt: „Am Zustand der Lebensmittel erkennen wir den Zustand der Menschheit.“