Die private Initiative „Stuttgarts heißer Kessel“ hat beim Gänsebraten-Essen in der Alten Reithalle rund 500 Personen jeden Alters verköstigt – Für viele Besucher bringt die Einladung etwas Abwechslung in ihren oft tristen Alltag.

Stuttgart - Kaum hat Marcus Klein mit seinem Kommando „Und: Türen auf!“ am Samstag um 11.58 Uhr den Startschuss für das Gänsebraten-Essen in der Alten Reithalle gegeben, drängeln die Leute bereits in großer Zahl in den festlich geschmückten Saal. Einige der Gäste, die Marcus Klein und sein Team von der privat und ehrenamtlich organisierten Aktion „Stuttgarts heißer Kessel“ an diesem Tag mit Gänsebraten, Rotkraut sowie Knödeln mit Soße verwöhnen, hatten bereits einige Zeit vor dem Veranstaltungsort darauf gewartet, dass sich die Türen öffnen und ihnen der Duft von frisch gebratenen Gänsen in die Nase steigt.

 

„Das ist ja so schön“

„Oh je, so was habe ich lange nicht gesehen“, fährt einer Seniorin regelrecht der Schreck in die Glieder, als sie in den schön dekorierten Raum tritt. Spontan bleibt sie stehen, hebt sich die Hände vors Gesicht und bekommt vor Freude feuchte Augen. „Das ist ja so schön“, sagt sie mit stockender Stimme. Dem Helfer, der jeden Gast am Eingang mit einem freundlichen „Herzlich willkommen“ begrüßt, erzählt sie, dass ihr Geld „seit mehr als 20 Jahren für so etwas nicht reicht“. Verbunden mit dem Dank für die Einladung ergänzt sie schließlich: „Dass ich da jetzt dabei sein darf, das glaube ich noch gar nicht.“

Hinter ihr hat sich indes längst ein Stau gebildet. Links und rechts drängen Menschen jeden Alters und unterschiedlichster Nationalität an ihr vorbei. Die einen mit dem Rollator, die anderen mit dem Kinderwagen; die einen ihr Hab und Gut in einem Einkaufstrolley hinter sich her ziehend, die anderen für das festliche Mahl sichtlich herausgeputzt. „Denn das ist ja etwas ganz Besonderes“, wie eine ältere Besucherin betont, die bereits vor einem Jahr die Gastfreundschaft von „Stuttgarts heißer Kessel“ genossen hat und „unbedingt wieder dabei sein“ wollte. „Es war so herrlich, ich erinnere mich oft daran“, sagt sie. Für das Mahl hat sie ihre besten Kleider aus dem Schrank geholt.

500 Portionen Essen vorbereitet

Rund 500 Gäste zählen Marcus Klein und seine Helfer. Das sind mehr als im Vorjahr, entspricht aber in etwa der erwarteten Gästezahl, wie nicht zuletzt Alexander Scholz von der Speisemeisterei in Hohenheim verdeutlicht. Seit Anfang der Woche hatten er und sein Team 500 Portionen Essen vorbereitet - „mit 200 Gänsen, 50 Kilo Rotkraut, 500 Knödeln und zehn Liter Soße“, wie er aufzählt. Ehrenamtlich unterstütze er die Aktion, „denn ich kann froh sein, auf der Ausgabeseite des Tisches stehen zu können“, sagt er. Bereits im Jahr zuvor hatte Scholz das Gänsebraten-Essen in gleicher Weise unterstützt. „Es ist schön, wenn man auf diese Weise etwas an die Menschen geben kann, denen es oft nicht so gut geht“, sagt er.

Viele der knapp 60 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sehen diese ebenso. Sie unterstützen die privat von Marcus Klein initiierte Aktion finanziell, ideell und vor allem mit Zeit und Freundlichkeit. Jeder Gast bekommt nicht nur ein wohlschmeckendes Mittagessen, sondern auch mindestens ein Lächeln. Und mit Kaffee, Muffins und Äpfeln auch einen Nachtisch. Wer will erhält zudem Brot zum mit nach Hause nehmen. „Die Lebensmittel bekommen wir dankenswerterweise alle gespendet“, sagt Marcus Klein. Dennoch fallen für die Organisation und Werbung sowie insbesondere die Raumkosten erhebliche Ausgaben an. „Wir rechnen mit rund 20 Euro pro Gast“, sagt Klein. Unterm Strich also knapp 10000 Euro.

Erinnerungen an die Großmutter

Angesichts der durchweg positiven Reaktionen ist es Klein das aber wert. „Wir machen übers Jahr hinweg alle zwei Monate Aktionen, bei denen wir Kleider und Essen ausgeben“, erläutert er das Engagement der Privatinitiative „Stuttgarts heißer Kessel“. Zum Jahresende hin wolle man den Menschen, die in ihrem Alltag oft viel entbehren müssten, aber etwas Besonderes bieten. Daher auch das schöne Ambiente, das die Besucher sehr wohl zu schätzen wissen.

Die schön gedeckten Tische und die gestärkten Servietten erinnerten sie an frühere Zeiten, berichtet denn auch eine Mittfünfzigerin. Sie selbst habe lange „koi Gos mehr gesse“. Die letzte habe sie für ihren Vater zubereitet. Und plötzlich kommen auch Erinnerungen an die Großmutter hoch, die beim Essen von Gänsebraten immer „oin fettverschmierte Mund“ gehabt hätte. In der Erinnerung an die besseren Tage beginnen ihre Augen zu leuchten.

Eine Besucherin, die das Treiben vom Rand betrachtet, zweifelt indes an der Sinnhaftigkeit der Aktion. „Was bringt das einmalige Essen schon?“, fragt sie kritisch. Sie würde sich eher wünschen, wenn bereits vorhandene Hilfsangebote verbessert würden. Und wenn, sich diejenigen, die „hier etwas Konkurrierendes aufbauen“, sich dafür stark machen würden, „dass die Hilfe für Ärmere generell besser würde“, sagt sie. Ihre Sorge: durch das gute Essen würden bei einigen Besuchern möglicherweise auch Wünsche und Lüste nach mehr geweckt – das könnte am Ende auch zu Enttäuschungen führen.

„Das war wieder spitze“

Lust auf Mehr hat zweifellos Michaela Herzberg. Knapp anderthalb Stunden nachdem sich die Türen zur Alten Reithalle geöffnet hatten, steigt sie an der Kopfseite der Halle auf einen Stuhl, bringt kurz und knapp den Dank der Gäste zum Ausdruck und bittet diese um einen „Applaus für die ganzen ehrenamtlichen Helfer“. „Das war wieder spitze“, sagt Herzberg. Keule, Knödel und Kraut hätten sehr lecker geschmeckt. Freilich hat sie auch einen Wunsch: „Dass es nächstes Jahr so weitergeht.“

Den hat auch Petra Miller, die nicht nur das Essen und die schöne Atmosphäre in der Alten Reithalle schätzt, sondern auch die Tatsache, „dass man hier einmal gemütlich zusammensitzen und miteinander reden kann“. Solche Ereignisse seien in ihrem Leben „immer etwas ganz Besonderes“, sagt Miller, deren Begleiter glaubt, dass, wenn diese Angebot wieder verschwinden würde, es viele traurige Menschen gebe.

Genau gegen diese Traurig- und Hoffnungslosigkeit wolle er mit seinen Freunden etwas tun, sagt Klein, der nicht müde wird, weitere potenzielle Helfer anzusprechen, die die Aktion „Stuttgarts heißer Kessel“ unterstützen. Eine Konkurrenz zu den Angeboten etablierter Institutionen und Organisationen solle das Angebot nicht sein. Man wolle dieses vielmehr ergänzen. Mit Flyern werde so beispielsweise bei den Einrichtungen der Tafel, der Diakonie, der Caritas oder der Bahnhofsmission für das Angebot geworben. Und der große Zuspruch zeige, dass die zusätzliche Hilfe nicht ins Leere laufe.