Herr Drausnigg, Ihre ersten 100 Tage bei den Stadtwerken (SWS) sind um. Was dürfen wir von Ihnen erwarten?
Ich denke, der Motor der Energiewende ist in Stuttgart angeworfen. Nun geht es darum, und daran messe ich mich, PS auf die Straße zu bringen, Themen und Maßnahmen. Wir müssen den Motor tunen, weil die Klimaschutzziele verschärft werden. Das erwarten auch der OB und die Stadträte.
Sind Sie der richtige Mann, der auch durchhält? Vor ihnen gab es hier schon zwei Technische Geschäftsführer. Die wirkten schnell frustriert und gingen.
Was mich vorher bei den Stadtwerken Bad Nauheim auszeichnete – die Macherqualität –, das will ich auch in Stuttgart wahrnehmbar umsetzen. Wir haben keine Zeit mehr, wir müssen jetzt machen.
Bisher sind die Stadtwerke Stuttgart leider sehr wenig sichtbar in der Stadt.
Ja. Aber wir haben im Mai wieder eine Kampagne gemacht, um die Sichtbarkeit zu erhöhen. Und wir werden bei der Lade-Infrastruktur für E-Mobilität 2022 hier mit 250 Säulen Marktführer werden.
Es gibt Bürgerinitiativen und am Energiethema Interessierte, denen alles viel zu langsam geht.
Ich nehme das wahr. Mir geht es ja selbst da und dort zu langsam mit der Energiewende. Aber hier sind die Schnittstellen zahlreicher als in Kleinstädten.
Schnittstellen kann man doch verändern. Bisher ist einiges an Kompetenzen für Energiewirtschaft und Klimaschutz beim Amt für Umweltschutz.
Es wäre nicht seriös, neu zu kommen und jedem zu sagen, wie man es richtig macht. Aber man muss die Schnittstellen gemeinsam neu strukturieren. Die Stadtwerke sind dazu da, die Energiewende umzusetzen. Sie müssen früh in die Planung integriert werden.
Was ist der Schlüssel für die urbane Energiewende und das Erreichen der Klimaschutzziele? Die Wärmenetze?
Die Wärmewende ist entscheidend, aber nicht allein. Stromerzeugung wird immer wichtiger. Quellen sehe ich in erster Linie beim Wind und bei der Fotovoltaik. Wir als SWS haben 31 Windkraftanlagen, leider keine davon hier in der Region, weil das etwas schwierig war.
Wenn das Land nun Staatswälder öffnet, werden Windräder dann für Sie erneut zum Thema?
Wir können nicht nur zusehen. Wir haben nicht viele Stromquellen. Je näher sie an Stuttgart liegen, desto besser. Die Stadtwerke sollten da eine gewichtige Rolle spielen.
Sie haben keine Angst vor einer Niederlage der Stadtwerke wie vor Jahren, als es um ein Windrad bei Weilimdorf ging?
Ich kenne Ähnliches aus Bad Nauheim. Da ist ein Projekt mit zweistelliger Rendite politisch zerredet worden. Wenn wir die Energiewende wollen, müssen wir uns des Windkraftthemas annehmen.
Und die Fotovoltaik? Die Stadtwerke haben seit ihrer Gründung pro Jahr im Schnitt nur 69 Anlagen errichtet.
Momentan gehen schon, und das ist nicht so schlecht, pro Jahr 150 Anlagen durch unsere Hände. Das ist für ein junges Stadtwerk ein Wort, aber wir werden die Schlagzahl deutlich erhöhen auf über 200, auch wenn da wenig Geld verdient ist. Wir brauchen Paketlösungen mit der Wohnungswirtschaft.
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Zurück zur Wärme: Wie kann die Wende eingeleitet werden?
Da stecken ganz viel Brisanz und Zündstoff drin. So etwas macht man nicht über Nacht. Für Quartierslösungen sind fünf bis zehn Jahre gar nichts, und Aufsiedlungen dauern bis zu 20 Jahre.
Was ist so schwierig?
Man muss für die Planung klären: Wo gibt es Fernwärme, wo gibt es weitere Quellen? Stuttgart hat keine typischen Wärmequellen etwa geothermischer Art. Wir müssen uns ganz stark das Thema Abwärme anschauen. Und wo liegen größere Siedlungen der Wohnungsbaugesellschaften für größere Lösungen? Das prüfen wir gerade.
Das sind doch, wenn man ganz Stuttgart betrachtet, sehr kleine Bausteine.
Wir werden in solchen Bausteinen denken müssen, in kleineren Wärmenetzen, wir werden aber auch schauen müssen, wie die Perspektiven der Fernwärme sind. Sie muss eine wichtige Rolle spielen. Ihr Ausbau hat gestockt. Wir müssen mit der EnBW klären, wie weit der gehen kann, was sie will und wie wir mit unseren Netzen andocken können. Und die Bewohner muss man auch mitnehmen, sie werden nicht alles bezahlen wollen.
Inwieweit darf fossiles Erdgas beim Wärmeerzeugen noch eine Rolle haben?
Erdgas wird als Brückentechnologie auf jeden Fall eine Rolle spielen müssen. Aber die Gasbranche wird auch grün, wandelt sich in Richtung Biogas, synthetische Gase und grünem Wasserstoff. Der Gasleitung ist es egal, was sie transportiert.
Wie sind ideale Lösungen im Kleinen?
Nehmen wir mal unseren künftigen Unternehmensstandort in Wangen. Unser Plan ist, dass wir Fotovoltaik und Abwasserwärme nutzen und Wärmepumpen einsetzen, oben drauf für die Bedarfsspitzen ein Blockheizkraftwerk zur Produktion von Strom und Heizwärme setzen und es mit Biogas betreiben. Wenn dann später noch synthetische oder komplett biogene Gase verfügbar sind, dann ist die Transformation in Richtung Klimaneutralität auf dem richtigen Weg.
Wie viel muss in die Wärmenetze in Stuttgart investiert werden?
Das Land hat soeben das Ziel für die Klimaneutralität von 2050 auf 2040 vorgezogen. Also müssen wir erneuerbare Energien schneller ausbauen. Der Gemeinderat hat noch nicht gesagt, welches Jahr er für Stuttgart will. Wenn wir es wissen, werden wir Personal und Investitionen ermitteln. Im Herbst wollen wir das darstellen.
Peter Drausnigg
Werdegang
Geboren wurde er 1964 in Karlsruhe. Dort studierte er auch. Der Ingenieur für Elektrotechnik ging zunächst zum Badenwerk AG in Karlsruhe, 1997 zur EnBW-Gruppe. Von 2010 bis 2012 führte er die Stadtwerke Münsingen. Danach baute er im Rahmen der Rekommunalisierung als Alleingeschäftsführer das Regionalwerk Würmtal bei München auf. 2016 wurde er Alleingeschäftsführer der Stadtwerke Bad Nauheim GmbH mit 80 Mitarbeitern. Diese betreiben die Energie- und Trinkwasserversorgung, den öffentlichen Nahverkehr, den Breitbandausbau und Telekommunikation. Dort kümmerte sich Drausnigg um die Weichenstellung eine klimaneutrale, digitale und nachhaltig Energiewelt. Unter seiner Regie wurden Quartierslösungen mit rein regenerativen Energien und neue Mobilitätslösungen entwickelt.
Funktionen
In Stuttgart ist er seit dem 1. April 2021 Technischer Geschäftsführer der Stadtwerke Stuttgart GmbH und Aufsichtsratsvorsitzender der Stuttgart Netze GmbH.