Experten aus Politik und Wirtschaft diskutieren in der Alten Reithalle über die Energiewende. Im Mittelpunkt stehen dabei Strompreise und Versorgungssicherheit.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Energiepolitische Debatten in Deutschland erinnerten früher oft an Grabenkämpfe – hier die unbeirrbaren Atombefürworter, dort die in der Wolle gegerbten Ökostromfreunde. Seit der Atomkatastrophe von Fukushima stehen im Grundsatz alle Parteien hinter der von der Regierung Merkel ausgerufenen zweiten Energiewende – doch über deren Details wird weiter gestritten. Das zeigt auch die Podiumsdiskussion „Erfolgsfaktor Energie: Wie Baden-Württemberg die Wende meistert“, zu der die Stuttgarter Zeitung und die Unternehmensberatung Roland Berger am Donnerstagabend geladen haben. Rund 450 Zuhörer haben sich in der Alten Reithalle in Stuttgart versammelt. Angesichts des großen Interesses „hätten wir ohne Weiteres auch über 1000 Karten herausgeben können“, sagt StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

 

EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) und sein Nach-Nachfolger im Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, Winfried Kretschmann (Grüne), sind sich einig, dass die Netze ausgebaut werden müssen, um auch mit mehr Ökostrom eine sichere Versorgung aufrechtzuerhalten. Vor allem fehlen Leitungen, die den Strom norddeutscher Windräder in den industriestarken Süden bringen – etwa nach Baden-Württemberg. „Der Strom fließt durch Belgien, Polen und Tschechien und belastet dort die Netze“, so Oettinger, der den Deutschen bei der Umsetzung der Energiewende eine ausgeprägte „Selbstverliebtheit“ attestiert. Dabei müssten die Nachbarländer viel stärker als bisher in den Umbau der Energielandschaft einbezogen werden.

Während Oettinger für mehr zentrale Steuerung plädiert – sowohl in Europa als auch innerhalb Deutschlands, setzt Kretschmann stärker auf die Planungskompetenz vor Ort. Der Netzausbau wäre aus seiner Sicht auch bei den Bundesländern gut aufgehoben. „Der Bund hat das jetzt an sich gezogen“, so Kretschmann. „Nun muss er zeigen, dass er das geregelt bekommt.“ Angesichts des Widerstands der Bevölkerung gegen neue Stromtrassen erläuterte der frühere Bahn-Chef Heinz Dürr seine Strategie zur Durchsetzung umstrittener Bahnlinien: „Wir haben denen, die dagegen waren, einfach einen neuen Bahnhof hingestellt.“ Für neue Stromleitungen müsse man sich ähnliche Anreize überlegen.

Kretschmann kritisiert Rabatte für Großverbraucher

Uneins sind sich Oettinger und Kretschmann auch beim Thema Strompreise. Um energieintensive Branchen wie die Produktion von Aluminium, Stahl oder Kupfer in Deutschland zu halten, dürften die Preise nicht so weitersteigen wie bisher, sagt Oettinger. Ob denn seine Warnung vor der „Deindustrialisierung Deutschlands“ nicht Panikmache sei, will Diskussionsleiter Dorfs wissen. „Nein“, entgegnet der EU-Kommissar. Er verweist auf die Firma SGL Carbon, die für ihre Kohlefaserproduktion viel Energie benötigt: „Die haben ihr neues Werk in den USA gebaut und nicht in Deutschland, weil in Amerika der Strom viel billiger ist.“ Die Strompreise seien „vor der Energiewende stärker gestiegen als jetzt“, kontert Kretschmann. Er kritisiert erneut die Rabatte für Großverbraucher bei der Ökostromumlage, die andere Verbraucher belasten. Langfristig werde Energie durch die Wende billiger, ist der Grünen-Politiker überzeugt. Zur Ökostromproduktion seien keine Brennstoffe nötig: „Die Sonne schickt uns keine Rechnung.“ Ähnlich argumentiert Georg Müller. Der Chef des Mannheimer Versorgers MVV räumt zwar ein, dass die Energiewende zunächst hohe Kosten verursache, fügt aber hinzu, dass „Nichtstun langfristig noch teurer wäre.“

Auch beim Thema Versorgungssicherheit zeigt sich der Energiemanager relativ gelassen. Als Dorfs Müller nach den Risiken eines Blackouts befragt, winkt er ab: „Wir haben gelernt, unsere Netze intelligenter zu nutzen.“ Bei Betrieben mit extremen Ansprüchen an eine konstante Stromversorgung müsse man sich ohnehin fragen, ob deren Versorgungssicherheit eine öffentliche Aufgabe sei. Es sei womöglich sinnvoller, wenn sich diese relativ kleine Kundengruppe selbst um ihre Versorgungsprobleme kümmere – etwa mit eigenen Erzeugungskapazitäten. Bereits heute kämen rund zehn Prozent der deutschen Stromproduktion aus unternehmenseigenen Kraftwerken, sagt Roland-Berger-Energieexperte Veit Schwinkendorf. Eigene Kraftwerke seien auch aus wirtschaftlichen Gründen interessant: „Für viele rechnet sich das.“ Was sich dagegen nicht rechnet, ist der Bau fossiler Reservekraftwerke, die einspringen, wenn witterungsbedingt zu wenig Ökostrom fließt. Ansonsten stehen sie still, was Investitionen unattraktiv macht. Einhellig fordern die Diskutierenden daher finanzielle Anreize für die Bereitstellung von Reservekapazitäten.

Solche Anreize schlägt Heinz Dürr auch zur Verbesserung der Energieeffizienz vor. „Doch die Politik setzt lieber auf spektakuläre Großprojekte wie Offshore-Windkraft“, kritisiert der Unternehmer. Bei der Energieeffizienz gehe es dagegen um viele kleine Schritte – etwa um Strom sparende Heizungspumpen oder intelligente Stromzähler, die das Energiebewusstsein der Bürger wecken könnten. Für Energiespartechnik aus Deutschland sieht Dürr hervorragende Exportchancen. „Wir müssen der Welt unsere Standards schmackhaft machen“, pflichtet ihm Oettinger bei.