Die Präsidentenwahl in Frankreich hält die politischen Beobachter in Atem. Für den StZ-Korrespondenten Axel Veiel ist es die spannendste Wahl, die er in Frankreich erlebt hat. In Stuttgart hat der Journalist seine Eindrücke vom Wahlkampf geschildert.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Ein Urteil steht für Axel Veiel fest. „Das ist die spannendste Wahl, die ich in Frankreich erlebt habe“, erklärt der Frankreich-Korrespondent der Stuttgarter Zeitung. Als Nicolas Sarkozy oder François Hollande gewählt wurden, seien sie im Grunde als Favoriten ins Rennen gegangen. Das sei am kommenden 23. April anders, wenn die Franzosen über ihr nächstes Staatsoberhaupt abstimmen.

 

Veiel, der seit 2004 aus Paris berichtet, schilderte am Mittwoch im Stuttgarter Kunstmuseum im Gespräch mit StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs im Rahmen der Veranstaltungsreihe „StZ im Gespräch“ seine Erfahrungen mit der französischen Politik und dem Wahlkampf.

Le Pen schnitt in den TV-Duellen schlecht ab

Zentrale Person sei nun natürlich Marine Le Pen, sagt Veiel. Für ihn überraschend ist allerdings, dass die Chefin des Front National bei den Diskussionen mit ihren Konkurrenten im Fernsehen eher schlecht aussehe. Gegen das elegante und redegewandte Auftreten des Konservativen François Fillon oder des zum Favoriten aufgestiegenen Emmanuel Macron mache Le Pen eine eher schlechte Figur. „Allerdings“, sinniert der Journalist, „vielleicht finden ihre Anhänger gerade dieses raue Auftreten gut.“

Ein großes Problem bei diesen Wahlen sei, erklärt Veiel, dass weder Macron noch Fillon eine wirkliche Alternative zu Le Pen darstellen würden. Der konservative Fillon versinkt in einer Reihe von Skandalen, und Shootingstar Macron stehe politisch irgendwo in der Mitte – das sei allerdings eine eher undefinierbare Mitte, mit der viele Franzosen nichts anfangen könnten.

Der Korrespondent gibt Entwarnung mit Blick auf Le Pen

Auf die Frage von Joachim Dorfs, was die Wahl Le Pens für Europa bedeuten würde, versuchte Veiel den rund 250 Zuhörern die Bedenken zu nehmen. „Sie würde sicher zuerst einmal nach Brüssel fahren und Verhandlungen führen“, sagt der Frankreich-Korrespondent. Dort würde sie sicher zuerst über die Rückführung von Kompetenzen von Brüssel nach Paris und den Ausstieg aus dem Euro reden wollen. Das könne allerdings nur eine Art Show-Veranstaltung sein, denn sie habe auch als Präsidentin gar nicht die entsprechenden Kompetenzen. Auch das versprochene Referendum über den Rückzug aus der EU wäre nach Ansicht von Veiel zum Scheitern verurteilt. „Rund 70 Prozent der Franzosen wollen im Euro bleiben.“

Marine Le Pen könne aber versuchen, mit Wohltaten zu punkten. „Ich wage das Wort kaum in den Mund zu nehmen“, sagt Axel Veiel, „aber ihr Programm ist in gewisser Weise nationalsozialistisch und sehr stark links ausgerichtet.“ So wolle sie zum Beispiel die Mindestlöhne erhöhen und das Rentenalter senken. Das tue sie, weil überraschend wenige ältere Wähler ihr Kreuz beim Front National machen würden. Auf die Frage aus dem Publikum, wen denn die Jungen wählen würden, sagte Veiel, dass diese Gruppe eher zu Le Pen neigen würde. Er erklärt sich das mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich und der steigenden Zahl an prekären Anstellungsverhältnissen.

Fillon darf nicht voreilig abgeschrieben werden

Allerdings warnte Veiel während des Abends, sich zu sehr auf den Zweikampf von Le Pen und Macron zu konzentrieren. „Man kann mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass Marine Le Pen in die Stichwahl am 7. Mai einzieht“, erklärte der Paris-Korrespondent. „Aber ich würde Fillon nicht abschreiben.“ Er sei in den Augen vieler Franzosen der einzige wirklich ernst zu nehmende Reformer in der Riege der Kandidaten, da würden ihm auch bisweilen seine Skandale verziehen. Ein Bekannter habe ihm vor Kurzem offenbart, dass er Fillon wählen werde. Die Begründung: „Ich wähle nicht den Menschen, ich wähle sein Programm – und das ist gut.“

Diese Wahl ist also durch viele Unwägbarkeiten geprägt. Eines hat Axel Veiel allerdings bei vielen Wählern ausgemacht. „Es gibt einen ungeheuren Drang nach Erneuerung und Reformen“, sagt er. „Nach der lähmenden Präsidentschaft von François Hollande hat das ganze Land die Orientierung verloren.“ Was allerdings in Frankreich los sein wird, sollte der nächste Präsident tatsächlich die dringend benötigten und tiefgreifenden Reformen anstoßen, wagt Axel Veiel nicht zu prophezeien. Bei der Streikbereitschaft der Franzosen müsse man auf alles gefasst sein.