Der Bundesbankchef verteidigt die kontroversen Diskussionen im Rat der Europäischen Zentralbank. Der oberste deutsche Währungshüter pocht darauf, dass die Notenbank sich auf die Sicherung der Geldwertstabilität beschränkt.

Stuttgart - Notenbankchefs sind keine Plaudertaschen. Dies gilt von jeher – und noch mehr nach der Finanzkrise. Die Geldbeweger in den Handelsräumen der Großbanken legen jeden Satz auf die Goldwaage. Jede unbedachte Äußerung könnte rund um den Globus Milliarden in Bewegung versetzen – in die falsche Richtung. Vor dem Hintergrund dieses Zwangs zur Zurückhaltung erscheint es einigermaßen irritierend, dass Bundesbankchef Jens Weidmann sich im vergangenen Herbst für eine Werbekampagne im Kontrollraum des Baden-Badener Casinos ablichten ließ – als kluger Kopf hinter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Die Kontrollmonitore zeigen Zocker am Roulettetisch. Was wollte der Bundesbankchef mit diesem Auftritt ausdrücken?

 

„Sind die Finanzmärkte etwa ein Casino, sind die Banken Zocker?“ Bundesbankchef Weidmann lässt sich von Wirtschaftsressortleiter Michael Heller nicht aufs Glatteis führen, der diese Frage in der Veranstaltung „StZ im Gespräch“ stellt. „Ich würde nicht zu viel in dieses Bild hineininterpretieren“, versucht der Bundesbankchef, die Bedeutung der Anzeige herunterzureden. Im Übrigen gehe es bei der Kampagne nicht um Werbung für ein bestimmtes Medium, sondern für Qualitätsjournalismus als solchen. Das hört jeder Journalist gern. Dennoch hakt der Leiter des Wirtschaftsressorts nach: „Sind die Banken Zocker?“ Doch der Podiumsgast lässt sich nur schwer aus der Reserve locken. „Solche einfachen Klassifizierungen halte ich nicht für sehr zielführend“, lässt Weidmann Kritik anklingen und fügt hinzu: „Natürlich hat es Übertreibungen in den Märkten und bei den Banken gegeben, die dazu beigetragen haben, dass es zur Finanzkrise gekommen ist.“ Nun müssten Regelungen gefunden werden, die solchen Übertreibungen entgegenwirken.

Das Verhältnis zwischen Jens Weidmann und Mario Draghi

Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Bundesbankchef als Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) bei Fragen der Geldpolitik des Öfteren anderer Meinung ist als EZB-Präsident Mario Draghi. Wie frostig ist das Verhältnis? Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hat im November eine „Eiszeit zwischen Draghi und Weidmann“ ausgemacht; der „Spiegel“ sieht den Bundesbankchef als „ersten Anwalt des Euro“ in der ungemütlichen Rolle eines „ständigen Mahners und Warners“. Das Nachrichtenmagazin stellte vor einer Woche zugleich die Frage, ob Weidmann sein Spiel etwa überreizt habe: „Herr Nein“, so die Überschrift des Porträts, wirke nach drei Jahren im Amt auf der EU-Bühne isoliert.

Weidmann wehrt sich gegen solche Einschätzungen. „Der Eindruck, dass ich grundsätzlich gegen Entscheidungen im EZB-Rat bin, ist nicht richtig“, erwidert der Bundesbankchef auf den Hinweis von StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs, dass zwei wichtige geldpolitische Entscheidungen gegen das Votum des deutschen Vertreters getroffen worden seien. Dies gelte sowohl für die letzte Senkung der Leitzinsen als auch die Ankündigung von EZB-Präsident Mario Draghi, notfalls unbegrenzt Anleihen von angeschlagenen Euro-staaten zu kaufen.

Bei der Zinssenkung, so Weidmann, sei seine Position insofern differenzierter gewesen, als er mit dem Zeitpunkt nicht einverstanden war. Seine Position zum Kauf von Staatsanleihen sei etwas grundsätzlicher, räumt der Bundesbankchef ein. In der Währungsunion gebe es den Anreiz, die Folgen unsolider Finanzpolitik auf die anderen Mitglieder zu überwälzen. Deshalb gebe es das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Man müsse im Rat diskutieren, wie kurzfristige Maßnahmen langfristig auf die Funktionsfähigkeit der Währungsunion wirken. „Und da habe ich durchaus Zweifel an bestimmten Maßnahmen“ – womit Weidmann den Ankauf von Staatsanleihen meint. Den Bundesbankchef treibt die Sorge um, dass die Erwartungen an die Notenbank zu hoch sind. Die EZB, so Weidmann, müsse sich auf ihr Mandat beschränken: „Wir müssen dafür sorgen, dass der Wert des Geldes in Ihrem Portemonnaie auch morgen stabil ist. Wir sind jedoch nicht die Regierung Europas.“ Für die Finanz- und Wirtschaftspolitik seien die Regierungen zuständig, die sich vor ihren Wählern dafür rechtfertigen müssten. Die Regierungen müssten dafür sorgen, dass die Haushalte nachhaltig tragfähig seien und Maßnahmen ergriffen würden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu verbessern und zu sichern.

Großer Diskussionsbedarf

Der Bundesbankchef verteidigt auch, dass jedes Land im EZB-Rat eine Stimme hat, also die kleine Insel Malta bei geldpolitischen Entscheidungen so viel Gewicht hat wie das große Deutschland. Einem StZ-Leser leuchtet diese Gleichbehandlung nicht ein. „Wir agieren im Rat nicht als Vertreter unseres Landes, jedes Mitglied agiert als Experte für den Euroraum“, erläutert Weidmann. Nationale Interessen spielten bei der Geldpolitik keine Rolle.

Der Diskussionsbedarf ist groß. Bosch-Aufsichtsratschef Franz Fehrenbach fragt nach Details der geplanten Bankenunion. Weidmann muss einräumen, dass hier manche Fragen noch offen sind und er mit den bisherigen Vorschlägen auch nicht zufrieden ist. „Was bisher auf dem Tisch liegt, reicht nicht aus.“ Die Verflechtung zwischen Banken und Staaten sei noch zu eng. Auch bei den Regeln für Schattenbanken, nach denen Bosch-Vizechef Stefan Asenkerschbaumer fragt, ist noch viel zu tun, wie der Bundesbankchef zugibt. Zunächst einmal, so Weidmann, bestehe die Herausforderung darin, das Risikopotenzial, das von diesen Schattenbanken ausgehe, zu erfassen und beispielsweise Berichtspflichten festzulegen.

Weidmann zeigt an diesem Abend Ausdauer nach einem langen Tag. Mittags saß er noch beim Deutsch-Französischen Finanz- und Wirtschaftsrat in Paris neben Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, dem französischen Finanzminister Pierre Moscovici und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Abends nun statt internationaler Politik Aufklärung und das Werben um Vertrauen im Stuttgarter Haus der Wirtschaft. Der Bundesbankchef wird nicht müde, die vielfältigen Fragen zu beantworten. Noch lange nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung umringt eine Traube von Lesern Weidmann, der das Sakko ablegt und munter weiterdiskutiert.