Vor dem Spiel am Sonntag zwischen dem SC Freiburg und dem VfB Stuttgart spricht der Freiburger Trainer Christian Streich über das Derby und darüber, was er am Fußball mag und was nicht.

Freiburg – Als Christian Streich der Gruß eines alten Schulfreundes von ihm ausgerichtet wird, freut sich der Trainer des SC Freiburg. Mit Spaß bei der Sache ist Streich dann auch beim anschließenden, sehr offenen Gespräch.
Herr Streich, wer oder was ist für Sie die bisher größte Überraschung in dieser Saison?
Eintracht Frankfurt. Das ist toll, weil sie so mutig spielen. Da schaut man gerne hin.

Und die zweitgrößte Überraschung?
Greuther Fürth. Auch wenn sie zu wenig Punkte haben, treten sie mehr als ordentlich auf. Denn man muss immer auch  berücksichtigen, welche Möglichkeiten ein Verein hat – und Greuther Fürth macht aus seinen Möglichkeiten das Beste.

Viele wundern sich aber am meisten über den SC Freiburg.
Ach, die Saison ist noch jung. Da ist noch nicht viel passiert.

Immerhin sind zwölf Spieltage vorbei. Ihre Elf liegt auf Rang zehn nur einen Zähler hinter dem Tabellensechsten Hannover und vor so renommierten Teams wie dem VfB Stuttgart, Borussia Mönchengladbach und dem VfL Wolfsburg. Das ist doch schon etwas.
Für mich ist es aber das Wichtigste, dass wir gut Fußball spielen und uns entsprechend präsentieren. Wenn den Leuten das momentan bei uns gefällt – umso besser.

Dabei drohte dem Sportclub vor einem knappen Jahr noch der Abstieg. Dann sind Sie gekommen – und es ging aufwärts. Warum?
Aus mehreren Gründen.

Erstens?
Die erfahrenen Spieler waren sehr enttäuscht über die letzte Hinserie. So wollten sie auf keinen Fall weitermachen. Schon in der Winterpause haben sie sich dann total auf ihre Arbeit fokussiert – und unsere Talente gleichzeitig extrem gut in die Gruppe eingebunden. Das war die Basis von allem.

Zweitens?
So konnten die jungen Spieler jeden Tag frei von der Leber weg trainieren. Sie waren sofort vollwertige Mitglieder des Teams. Das ist auf diesem Niveau nicht selbstverständlich. Aber bei uns war die nötige Sozialkompetenz vorhanden. Die älteren Profis haben die jüngeren von Anfang an respektiert und akzeptiert. Wäre es anders gewesen, wäre ich als Trainer gescheitert. Denn dieser Prozess funktioniert nicht einfach auf Befehl.

Drittens?
Unsere Spieler sind in der Lage, mit Kritik umzugehen, weil sie die dafür erforderliche Intelligenz mitbringen. Deshalb wissen sie, dass wir sie nur besser machen wollen.

Sie tun das, was viele andere Clubs vorgeben zu tun – auf junge Spieler bauen. Haben Sie keine Angst, dass die vielleicht mehr Fehler als routiniertere Kollegen machen könnten?
Angst habe ich im Fußball nie. Es war jedoch ein Glück, dass ich unsere Talente genau kannte. Schließlich habe ich sie bereits in der Jugend betreut. Aber Entschuldigung – ich würde an dieser Stelle gerne mit einem Missverständnis aufräumen.

Bitte.
Auch bei mir ging und geht es nur nach der Qualität und nicht nach dem Alter. Weil wir wenig Geld zur Verfügung haben, liegt es zwar in der Natur der Sache, dass wir junge Leute einbauen müssen. Doch das ist immer mit Bedacht geschehen, nie als Selbstzweck – auch wenn es von außen manchmal vielleicht ein bisschen anders ausgesehen haben mag.

Jetzt trifft Ihre junge Mannschaft im baden-württembergischen Derby auf den VfB Stuttgart. Ist das für Sie als gebürtigem Südbadener ein besonders pikantes Duell?
Ich nehme die Rivalität nicht so ernst. Wir spielen gegen die Hauptstadt, die eine enorme Finanzkraft hinter sich hat. Davon profitiert letztlich wieder das ganze Land.

Aber der VfB profitiert auch.
Der VfB ist ein großer Verein mit großen Erfolgen und thront weit über uns. Da ist es doch klar, dass wir uns an ihm messen und reiben wollen. Wenn wir dann mal ein Spiel gewinnen, ist das ein Feiertag für uns.

Ist das nicht zu viel Bescheidenheit?
Als Jugendtrainer in Freiburg habe ich sieben Jahre lang gegen den VfB nur verloren. Als es im achten Jahr endlich einen Sieg für uns gegeben hat – was glauben Sie, wie stolz wir waren. Wir sind im Nachwuchsbereich an den VfB herangerückt, was uns unheimlich Kraft gekostet hat. Aber wir brauchen den VfB auch, um überhaupt jeden Tag eine solche Energie entfalten zu können.

Wie gefällt Ihnen angesichts dessen der Spruch „Über Freiburg lacht die Sonne – und über Stuttgart die ganze Welt“?
Das ist nicht bösartig gemeint. Deshalb finde ich es auch nicht so schlimm. Was ich dagegen nicht hören will, sind Beschimpfungen und Beleidigungen im Stadion. Leider hat es das in der Vergangenheit schon von beiden Seiten gegeben.

Sie sind in den Augen vieler ein Trainer, der in kein Klischee passt.
Sicher bin ich anders als andere – aber jeder andere ist ja auch wieder anders. Das ist eben so. Armin Veh ist wie Armin Veh, Thomas Tuchel wie Thomas Tuchel, Jürgen Klopp wie Jürgen Klopp, Jupp Heynckes wie Jupp Heynckes, Bruno Labbadia wie Bruno Labbadia und Christian Streich wie Christian Streich. Es spielt doch keine Rolle, mit welchem Auto oder mit welchem Fahrrad einer herumfährt.

Was spielt dann eine Rolle?
Dass jeder den Weg geht, von dem er überzeugt ist.

Bruno Labbadia hat vor ein paar Wochen eine Wutrede gehalten, in der er Fans, Medien und auch seinen Club aufs Korn genommen hat. Wie fanden Sie das?
Ich konnte es absolut nachvollziehen. Das Umfeld beim VfB ist kritisch. Da muss es möglich sein, auch mal zu sagen, dass wir Trainer keine Mülleimer sind. Es muss mal menscheln dürfen. Natürlich stehen wir im Mittelpunkt und haben einen tollen Beruf. Aber gelegentlich wird es zu viel.

Haben Sie Probleme mit der öffentlichen Aufmerksamkeit und der hohen medialen Begleitung des Profifußballs?
Ich komme aus einer Metzgerei. Nebenbei führten meine Eltern auch noch eine Gaststätte. Da wurde ich als Kind sozialisiert. Ich habe erfahren, was es bedeutet, ständig mit Menschen zu tun zu haben. Das hilft mir jetzt.

Gibt es andere Trainer, die Sie bewundern?
Bei den Stuttgarter Kickers spielte ich unter Slobodan Cendic. Er beeindruckte mich als Typ. Aber ich könnte viele aufzählen: Jürgen Klopp, Thomas Tuchel, Lucien Favre, Josep Guardiola, Marcelo Bielsa, Bruno Labbadia oder Jupp Heynckes, der für sein Alter eine grandiose Leistung zeigt.

Was imponiert Ihnen an Labbadia?
Sein Fleiß, seine Akribie.

War es ursprünglich überhaupt Ihr Ziel, Bundesligatrainer zu werden?
Ich habe darauf einmal mit Nein geantwortet. Aber ich weiß es nicht. Unbewusst wollte ich es vielleicht schon. Auf jeden Fall liebe ich den Fußball. Es ist faszinierend, wie viele Kulturen er vereint und wie völkerumspannend er wirkt.

Ihnen wird nachgesagt, dass Sie stets authentisch sind. Warum glauben Sie, dass das so ausdrücklich betont wird?
Womöglich weil ich noch relativ neu in der Liga bin – und neu hat immer auch etwas mit frisch zu tun. Wenn ich ein paar Jahre dabei bin, sagen die Journalisten vielleicht auch – oh je, heute ist der Streich aber mal wieder so was von dröge.

Was missfällt Ihnen an diesem Geschäft?
Dass die meisten Gespräche ziemlich eindimensional und einseitig verlaufen. Es sind oft dieselben Fachfragen – etwa nach der Viererkette oder der Abseitsfalle oder der Verletztenliste. Tiefer geht der Input in der Regel nicht. Das bedaure ich.

Ist es ein Zufall, dass Armin Veh in Frankfurt eine ganz ähnliche Auffassung vertritt?
Das macht ihn in meinen Augen ja auch als Trainer aus.