Die Ehe für alle sollte der SPD bei der Wahl dienen. Sie könnte aber vor allem Angela Merkel helfen, meint die StZ-Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Endlich ist Mutti Merkel der SPD ins Messer gelaufen. Mehr nebenbei als hinausposaunend sprach sie in einer Talkshow davon, die Abstimmung über das heikle Thema der Ehe für alle möglicherweise freizugeben. Nur ihrem Gewissen folgend und nicht der Mehrheit in der Fraktion sollten die Unions-Abgeordneten entscheiden. Auf der Stelle schnappten die Befürworter der Modernisierung zu und beanspruchten den leckeren Happen für sich. Das Gesetz ist durch. Nun kann auch Mann den Mann und Frau die Frau heiraten.

 

Volker Beck darf ein bisschen weinen

Also flattert Konfettiregen durch den Deutschen Bundestag. Die Stimmung steigt. Das Plenum wandelt sich für einen Moment zu einem braven Christopher Street Day. Volker Beck, der Vorkämpfer für das neue Recht, darf ein bisschen weinen, darf auch von seinem ersten verstorbenen, und seinem zweiten noch lebenden Partner erzählen. Die Umstehenden sind zutiefst gerührt.

Und Thomas Oppermann, der SPD-Fraktionsvorsitzende und eine Art Zauberlehrling, schneidet eine riesige Hochzeitstorte an. Jubel, wohin man schaut. Sieg auf der ganzen Linie. Auf solch einen Coup war die arme SPD erpicht, die nach dem abgesackten Schulz-Hype in den Umfragen wieder in ihrem 25-Prozent-Gefängnis saß. Also Luft her, Mehrheit her, Macht her. Schaut doch, liebe Leute, wie handlungsfähig die Genossen sind.

Aber hat die altehrwürdige Volkspartei diese Zirkusnummer wirklich nötig, diesen Schuss aus der Hüfte am Ende der Legislaturperiode, wo man nichts mehr riskiert? Ohne klärende Debatte? Ohne juristische Auseinandersetzungen? Was bringt das für die kommenden Wahlen, wenn nichts von dieser Entscheidung dem vorgeblich so wundersamen Martin Schulz zuzuschreiben ist? Und wenn jetzt plötzlich geschieht, was nach Lage der Mehrheiten längst hätte geschehen können, freilich nicht ohne die Koalition aufzukündigen, was man offensichtlich nicht wollte. Doch nun, so kurz vor der nächsten Wahl, kommt es nicht mehr darauf an. Die Kanzlerin hat den Vorwand geliefert und, Hokuspokus Fidibus, schon ist die Ehe für alle da. Bedauernswerte alte Tante Sozialdemokratie. Fast muss man Mitleid mit ihr haben, dass sie uns einen so lockeren parlamentarischen Umgang mit einer so ernsten Sache vorführt.

Denn dieser ganze Zauber ist das eine. Das andere ist das Thema selbst. Dem polyamoren Zeitgeist folgend, kommt die Ehe zwischen Mann und Frau gerade aus der Mode. Paare, die schon lange, vielleicht sogar seit fünfzig Jahren verheiratet sind, rufen oft ein mild verächtliches Lächeln bei Jüngeren hervor – was, solange kann man es miteinander aushalten? Hahaha! Heiraten ist doch spießig, ist retro, ist total von gestern. Was also die Gesellschaft derart hinter sich lassen will, erscheint nun den Homosexuellen äußerst begehrenswert, das Ziel aller Wünsche. Ausgerechnet in dieser Zeit soll es nun ein Fortschritt und so existenziell unerlässlich sein, dass sich auch Schwule und Lesben – müssen sie sich eigentlich selbst so despektierlich nennen? – vermählen dürfen.

Merkel hat das Thema abgeräumt – rechtzeitig vor der Wahl

Wenn das nicht widersinnig ist! Die einen wenden sich ab, die anderen verzehren sich fast vor Begeisterung. Die wird allerdings nicht lange anhalten, allenfalls bis zum nächsten Wochenende, wenn in Hamburg die Staats- und Regierungschefs aus 20 Ländern zusammen treffen. Dann spätestens verschwindet das Thema der Homo-Ehe in der Versenkung. Bei aller Selbstberauschung der SPD, wozu die Partei leider Gottes neigt, hat doch die Kanzlerin gesiegt. Sie hat das Thema fürs erste und rechtzeitig vor der Wahl abgeräumt. Außerdem hat sie ihren Leuten ein Wahlkampfargument geliefert: Rot-rot-grün ist nicht nur denkbar, es ist mit einer so verzweifelten Sozialdemokratie unter Umständen auch machbar.

Bis diese Frage irgendwann nach der Wahl ansteht oder mangels Mehrheit auch nicht, haben wir ganz andere Sorgen – vor allem die Masseneinwanderung und die innere Sicherheit. Darum wird es gehen. Dagegen wird in den Hintergrund treten, möglicherweise bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass sich etliche der 45 000 eingetragenen Lebenspartnerschaften, je nach Wunsch, in Ehen wie die 38 Millionen heterosexueller Verbindungen umwandeln können.

Da die Sache erledigt erscheint, wird niemand im September deshalb SPD wählen. Hat der zauberhafte Herr Oppermann das beim Verteilen des Hochzeitskuchens nicht bedacht? Und worauf überhaupt kann die Partei noch hoffen?

Schulz ist der falsche Mann

Mit Sicherheit nicht darauf, dass die Blume Schulz noch einmal richtig aufgeht. Er ist der falsche Mann. Ihm fehlt Charisma, zudem fehlt jedweder Regierungshintergrund. Der Mann aus Würselen wirkt zu oft als rheinische Frohnatur. Viel Wort, kaum Tat. Nicht ernst genug. Gewogen und zu leicht befunden.

Sollte jedoch die Mammutaufgabe des G-20-Gipfels am kommenden Wochenende ohne größere Katastrophen über die Bühne gehen, dann hätte Olaf Scholz, Hamburgs talentierter SPD-Oberbürgermeister, bewiesen dass er auch Größeres kann. Die Hansestadt hat schon einmal einen bedeutenden sozialdemokratischen Kanzler ausgebrütet. Vielleicht denken die Damen und Herren Genossen bei der nächsten Kür daran.