Diskussion
Die Gesellschaft scheint in einem hysterischen Zustand. Stabile Verhältnisse sind großer Verunsicherung gewichen. Menschen suchen Orientierung. Was kann dazu die gesellschaftspolitische Berichterstattung der StZ leisten? Darüber sprach am Dienstag der Leserbeirat.

Böblingen: Carola Stadtmüller (cas)

Stuttgart - Es liegt was in der Luft. Bei der Diskussion des Leserbeirats am Dienstag im StZ-Stadtbüro in der Geißstraße wurde deutlich: Die Gesellschaft sucht Orientierung in einer Welt, die man zusammenhalten will und die fast zur selben Zeit gespalten scheint. Ein Spagat. Genauso umfassend ist die gesellschaftspolitische Berichterstattung der StZ, die Thema des Abends war. Armin Käfer, Hilke Lorenz, Martin Gerstner und der Chefredakteur Joachim Dorfs waren die Sparringspartner des Gremiums, das sich zweimal im Jahr zum Austausch trifft.

 

Viele Leserbeiräte forderten, dass die Zeitung klarer und deutlicher „den anderen Blick“ auf Debatten werfen solle. „Wenn ich an das Jahr 2015 denke, dann kann man aus heutiger Sicht sagen, man habe nicht wahrgenommen, wie viele Probleme aus der Willkommenskultur entstehen würden“, sagte Doris Helzle. Es sei aber wichtig, so etwas auch während eines Prozesses zu sehen.

Selbstkritik bei der Berichterstattung vor der Trump-Wahl

Eine derart geprägte Berichterstattung werde nicht nur als bereichernd und relativierend in diesen hysterischen Zeiten empfunden. Sie könne sogar besser auf diverse Überraschungen vorbereiten, räumte der Chefredakteur Joachim Dorfs ein. „Niemand rechnete wirklich mit dem Brexit, niemand damit, dass Trump wirklich Präsident wird“, führte Dorfs aus. Erst als Korrespondenten etwa aus den Kohlerevieren der USA berichteten, sei das Bild erweitert worden, sagte Martin Gerstner, der unter anderem für die Titelseite der StZ zuständig ist, selbstkritisch.

Ähnliches galt für die Berichterstattung über den Jaguar-Raser in Stuttgart. Für Wolfgang Schimpeler war und ist das zu viel. Die Leserinnen Cornelia Foerster und Andrea Friedel empfanden die andere Perspektive – nämlich den starken Blick auf die Opfer – richtig. Hilke Lorenz, die für die StZ oft aus Gerichtssälen berichtet und sich mit Rechtsthemen beschäftigt, war beim Prozessauftakt in Stuttgart dabei. Sie sagte, dass die Richterin die Eltern der Opfer gebeten habe, die Fotos ihrer Kinder, die sie aufgestellt hatten, nicht in Richtung der Prozessbeteiligten aufzustellen. „Es ist eine Gratwanderung, Opfern und Tätern gerecht zu werden.“

Die objektive Nachricht gibt es nicht

Wolfgang Schimpeler forderte auch, dass die StZ klarer zwischen Bericht und Meinung trennen solle. Er wolle nicht zwischen den Zeilen Meinung aufgedrückt bekommen. Joachim Dorfs bekannte sich zu diesem Grundsatz, relativierte allerdings, dass es „die objektive Nachricht in der reinen Form“ nicht gebe. Schon mit der Auswahl einer Nachricht sei streng genommen eine Wertung verbunden. Zudem sei in Zeiten des Internets die Einordnung einer Nachricht der wahre Mehrwert einer Zeitung. „Diese Einordnung halte ich für eine zentrale Aufgabe des Journalisten“, sagte er.

Immer wieder wurde in der Runde deutlich, dass „Demokratie Diskussion bedeutet“, wie der Leserbeirat Hans-Michael Obst es beschrieb, zugleich aber forderte, die Zeitung müsse mehr tun, um Hass und Boshaftigkeit im Zaum zu halten. „Diese Diskussion geht uns alle an“, meinte Armin Käfer, Titelautor der StZ, „der zivilisierte Streit über die Gemeinschaft darf eine Zumutung für uns sein.“ Jeder könne nur mal vier Wochen lang jeden Hass, den er im Netz finde, melden. Wenn er mit Lesern spreche, entfalte sich fast immer eine fruchtbare Diskussion, wenn auch manchmal erst „die Dornen etwas entfernt werden müssen“. „Ja, die StZ kann einen Beitrag leisten, nämlich eine Art Debattenkultur zu pflegen“, meinte Christoph Scharf, dem Themen wie Gendergerechtigkeit im Alltag, aber auch in der Sprache in der StZ zu kurz kommen.

„Zeitunglesen heißt zuhören.“

Der Satz des Abends kam vielleicht von Leserbeirat Andreas Bauer: „Zeitunglesen heißt für mich zuhören.“ Im Kern heißt das nichts anderes, als zunächst mal zu schweigen und nachzudenken, wenn jemand etwas sagt, was einem nicht passt – und dafür am Ende vielleicht an Erkenntnis zu gewinnen.