Vor über 40 Jahren gründete Helmut Schlotterer Marc Cain. Seine einzige Passion neben der Mode sind Oldtimer. Ein Gespräch auf vier Rädern über Fleiß, Intuition, Kreativität – und was die Schwäbische Alb damit zu tun hat.

Stuttgart - Am Ende setzt er sich natürlich durch. Ein kurzes Blickduell der beiden Kontrahenten, dann ist die Situation geklärt. Helmut Schlotterers Gegenüber macht den Weg frei – wenn auch widerwillig. Der 72-jährige Gründer und Inhaber der Firma Marc Cain tritt kurz aufs Gaspedal seines Porsche 356 B und rollt als Sieger vom Feld. Sein Gegner übrigens: ein Ziegenbock, der überraschend auf der Zufahrtsstraße zur Burg Hohenzollern den Weg versperrte. Es hat einiges an Überredung gekostet, den Unternehmer von einer Ausfahrt zu überzeugen. Was viel mit dem sogenanntem schwäbischen Understatement zu tun, das in Wahrheit auch oft ein Schutzschild vor Neid ist. Man zeigt nicht gerne, was man hat als erfolgreicher Firmeninhaber, am allerwenigsten in Schwaben.

 

Man gibt sich bescheiden

Lieber spricht man nüchtern über das Geschäft, was dann im Fall von Marc Cain so klingt: gegründet 1973, 276 Millionen Euro Umsatz im letzten Jahr, mit leichtem Plus gegenüber 2017, 207 Shops in 32 Ländern, 1000 Angestellte allein in Deutschland, etwa 10 000 weltweit. Darauf könnte man stolz sein, immerhin macht das die Marke Marc Cain zum erfolgreichsten Modeunternehmen im Premiumbereich für Damenmode in Deutschland. Stattdessen gibt man sich bescheiden, weil: siehe oben. So könnte die Geschichte an dieser Stelle zu Ende sein, hätte Helmut Schlotterer nicht doch zugestimmt, mit seinem Porsche 356 B eine Fahrt von Burg Hohenzollern nach Schloss Haigerloch zu unternehmen. Um sich dabei auch auf eine innere Reise zu begeben, die viel über seine Erfolge, Kämpfe und Herausforderungen erzählt. Als Mensch, Unternehmer, Kreativer und langjähriger Rennfahrer. (Als solcher gönnt sich Helmut Schlotterer, abseits vom Schwaben-Klischee, eine Sammlung an Oldtimern. Spricht aber, natürlich, nicht darüber.) „Ich habe früher sehr viel Sport getrieben“, sagt Helmut Schlotterer, als er nach dem Ortsschild Bodelshausen zwei Radfahrer überholt, „Leichtathletik, Skifahren, alpin und nordisch. Später Tennis – und von früh an Fußball. Als Jugendlicher habe ich von der C- bis zur A-Jugend beim VfB gespielt.“ Pause, Seitenblick. „VfB Bodelshausen.“ Aber bevor er über die gelungene Pointe lachen kann, muss der Oldtimerfan mit Kraft einen Gang runterschalten, Hechingen ist in Reichweite, es regnet, und das Getriebe des Porsches verlangt seine volle Aufmerksamkeit.

Paris. 1968. Mode. Mädchen. Aufbruch und Revolte.

Natürlich kennt er die Region seit Jugend her, jede Straße, viele Abkürzungen, auch solche, die nicht auf der Karte zu finden sind. Sein eigener Weg schien früh vorgezeichnet. Als Sohn eines Strickwarenfabrikanten war die elterliche Erwartungshaltung hoch, deckte sich aber nur bedingt mit seinen Wünschen und Vorstellungen. Architekt wollte er werden, die Welt entdecken, Neues entwerfen. Es kam dann bekanntlich anders. „Mein Vater bestand auf einem Textiltechnikstudium. Im Gegenzug finanzierte er mir anschließend anschließend ein Jahr in Paris.“ Es müssen harte Auseinandersetzungen gewesen sein, die der junge Helmut Schlotterer zu Hause austrug. Und nicht alle lassen sich vergessen, trotz Altersmilde.

Allerdings: Paris. 1968. Mode. Mädchen. Aufbruch und Revolte. Für einen Jungen aus der schwäbischen Provinz eine neue, sehr andere und sehr spannende Welt. Ein Sehnsuchtsort. „Ich hatte eine Wohnung, genug Geld, war aber völlig auf mich allein gestellt. Mein Schulfranzösisch half mir nicht unbedingt weiter. Selten habe ich mich so einsam gefühlt. Aber diese unterschiedlichen Eindrücke haben mich doch sehr positiv geprägt.“ Er absolvierte eine Modehospitanz, dann zog es ihn nach München, „der heimlichen Hauptstadt Deutschlands, voller Energie und Kreativität“, studierte Betriebswirtschaft und traf eine wichtige Entscheidung: Mode wollte Helmut Schlotterer entwerfen, aber nicht in Deutschland, sondern in Italien. Nah dran an wichtigen Trends, guten Stoffen und weit genug von zu Hause. So machte sich der 25-Jährige in einem Ford Kombi auf und landete 1972 in dem kleinen Ort Carpi in der Nähe von Bologna, wo er mit italienischen Partnern seine erste Strickkollektion entwickelte. „Ich habe am Anfang bestialisch gearbeitet, weil ich besessen war, Erfolg zu haben und nicht zu scheitern.“

So beginnen Erfolgsgeschichten

Schlotterer schaut dabei konzentriert in die Ferne. Vielleicht nur, weil am Horizont die imposanten Umrisse der Burg Hohenzollern erscheinen? Er habe auch „Gott sei Dank, immer die richtigen Ideen gehabt, für Marketing wie Technik“. Zum Beispiel die: Weil eine „Schlotterer GmbH“ zu sehr nach schwäbischer Provinz geklungen hätte, nutzte er den Namen eines kanadischen Geschäftspartners für seine junge Firma – Marc Cain. Dass er 1976 dennoch gezwungen war, sich der kränkelnden väterlichen Firma anzunehmen, wird ihm nicht gefallen haben, sein Pflichtgefühl siegte am Ende, obwohl er anders gestrickt war. „Ich habe die Firma meines Vaters saniert, indem ich alles ausgeräumt habe: Kunden, Vertreter, Kollektionen und Technik. Ich habe mich unter die Maschinen gelegt und den Mitarbeitern gezeigt, wie Marc Cain aussehen muss.“ So beginnen Erfolgsgeschichten.

Und während draußen Ortsnamen wie Bisingen, Grosselfingen, Schloss Haigerloch, Rangendingen und Bechtoldsweiler vorbeifliegen, erzählt Schlotterer weitere Marc-Cain-Fakten. Wie er das Prinzip „Vorsprung durch Technik“ für sich entdeckte und als Erster elektrische Strickmaschinen entwickelte, später immer wieder verfeinerte, bis zur aktuellen 3-D-Variante. Die erfolgreichen Expansionen nach China und Russland. Das neue, 35 Millionen Euro teure Logistikzentrum, 2015 eröffnet. Eine Firmenzentrale wie aus einem Architekturmagazin, die wirkt, als wäre ein UFO am Rande der Schwäbischen Alb gelandet. Alles, natürlich, aus den laufenden Gewinnen bezahlt, „ohne Kredite“, wie Schlotterer betont. Es scheint, dass alle Etappen seines Lebens sich an diesem Ort verdichten, vielleicht erst hier Sinn ergeben.

Erbe ist seit 2007 geregelt

Technisches Know-how, Unternehmertum, Instinkt für Marketing, Sinn für Design und Ästhetik, Heimatliebe. Was nichts daran ändert, dass Helmut Schlotterer die größte Herausforderung noch bevorstehen könnte: seine Firma, seine Lebensleistung in andere Händen zu geben. Vor zwei Jahren brach sich der Unternehmer bei einem Autorennen unverschuldet den Rücken, musste viermal operiert werden: „Ich bin gottfroh, dass ich nicht im Rollstuhl gelandet bin“, sagt er heute. Das und sein 70. Geburtstag haben seinen Blick auf die Welt verändert. „Ich schone mich, lasse los und versuche, mich aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen“, sagt der Firmenchef, und man ahnt, wie schwer es ihm fallen muss, nach über 40 Jahren als Motor seines Betriebs das Tempo herauszunehmen. Wobei: Das Erbe ist seit 2007 geregelt, die hauseigene Stiftung soll für Kontinuität und Stabilität sorgen. Zudem wird ein Modell entwickelt, das den Angestellten ein Mitspracherecht bei unternehmerischen Entscheidungen einräumen soll.

Ein wenig bereut er, keinen Nachwuchs zu haben, um im Nachgang dann aber schnell abzuwiegeln: „Hätte ich einen Sohn gehabt, der wie ich getaktet gewesen wäre, hätte ich Angst gehabt.“ Auch das Management sei gut aufgestellt, versichert er, „da brennt nichts an“. Für ihn wäre nur wichtig, „im Informationsfluss zu bleiben“, und dann lauscht man eine Weile seinen kompetenten Ausführungen zum Internet-Handel und wundert sich über den mehr als sicheren Umgang mit den neudeutschen Begrifflichkeiten, die weitaus Jüngere ins Schleudern bringen würden.

Der Regen hat aufgehört, die Sonne spiegelt sich an der Glasfassade, der Porsche rollt aus. „Ich bin zwar oft unterwegs, ich habe mehrere Wohnsitze, komme aber immer wieder gerne zurück“, sagt der Unternehmer, während er den Wagen vor der Firmenzentrale parkt. Dann zieht er sein blaues Leinensakko an, lächelt, schaut kurz zu den Wolken hoch und verschwindet im Gebäude. Helmut Schlotterer ist angekommen.