In Stuttgart verteidigen der L-Bank-Vorstand Axel Nawrath und der EnBW-Chef Frank Mastiaux im Einklang mit einigen Start-up-Experten den Standort. Fazit: Das Land muss seinen eigenen Weg gehen.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Gründerland Baden-Württemberg – Spitze oder Mittelmaß? So lautete die zur Kontroverse einladende Frage, die Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Zukunft der Region“ stellte. Doch am Ende der Podiumsdiskussion, die zusammen mit der Unternehmensberatung Roland Berger und der L-Bank veranstaltet wurde, gab es keinen Zweifel, wo auf der Bewertungsskala der Zeiger gelandet war. Vielleicht nicht ganz bei „spitze“, aber nahe dran. Auf der Bühne diskutierten Ingmar Hoerr, Gründer des Tübinger Biotechnologie-Unternehmens Curevac; Frank Mastiaux, der Chef des Energiekonzerns EnBW; Thilo Sautter von der Beteiligungsgesellschaft Cinven; Philipp Leutiger von der Beratungsfirma Roland Berger und Axel Nawrath, Vorstandschef des baden-württembergischen Förderinstituts L-Bank.

 

Der L-Bank-Chef sieht die US-Startup-Kultur skeptisch

Während zur Einstimmung das Karlsruher Biotech-Start-up Go Silico, der Stuttgarter Maultaschenlieferant „Herr Kächele“ und der Industrie-4.0-Spezialist Essert aus Ubstadt-Weiher in Kurzpräsentationen über alltägliche Probleme mit der Bürokratie oder unflexiblen Mietverträgen sprachen, sah für die Diskussionsteilnehmer das Gründerland aus übergeordneter Perspektive recht ansehnlich aus. Selbstbewusst verteidigte L-Bank-Chef Axel Nawrath das Land gegen die These, dass sich die Gründerkultur amerikanisieren müsse: „Ich zucke da zusammen, wenn das mystifiziert wird.“ Viele digitale Innovationen in den Vereinigten Staaten seien über den militärisch-industriellen Komplex staatlich subventioniert worden. Er zeigte sich auch skeptisch gegenüber Gründern, die schnell Kasse machen wollen: „In fünf Jahren etwas zu verkloppen und reich werden zu wollen, das bringt niemandem etwas.“ In Baden-Württemberg wollten viele Gründer ein nachhaltiges mittelständisches Unternehmen aufbauen. In Regionen Deutschlands wie Berlin, die sich deindustrialisiert hätten, sei man für Innovationen auf Startups angewiesen: „Hier im Südwesten findet das in Unternehmen statt.“ Und der L-Bank-Chef attackierte die These, dass man beim Gründen das Scheitern in Kauf nehmen müsse: „Wir beginnen uns in einem Kult des Scheiterns geradezu zu suhlen.“

Der EnBW-Chef wirbt für Gründergeist von innen

Auch EnBW-Chef Frank Mastiaux brach eine Lanze für die spezifisch baden-württembergische Gründerkultur: „Wir müssen eine Identität finden, die ganz bewusst von den Vorbildern in Palo Alto und Tel Aviv abweicht. Man kann viel Zeit verlieren, einem vermeintlichen Vorbild hinterherzulaufen.“ Das Rezept für den Energiekonzern: Start-up-Denken, das in den Konzern integriert ist: „Es gibt in jedem Unternehmen eine Menge Mitarbeiter mit Ideen, wenn man die freilässt und die Käfigtüren aufmacht, dann rennen die auch los.“ Die EnBW versucht solche Räume etwa auf einem Innovationscampus zu schaffen.

Philipp Leutiger von Roland Berger nannte die enge Kopplung zwischen etablierten Firmen und Gründern eine Stärke Baden-Württembergs: „Das ist ein absoluter Vorteil für hiesige Start-ups.“ Es gebe viele Anknüpfungspunkte: „Aber bisher reagieren etablierte Unternehmen noch nicht in der Geschwindigkeit, wie sie sich Gründer wünschen.“ Man dürfe auch keine Angst vor den großen Visionen, im US-Jargon „Moonshots“ („Mondschüsse“) haben: „Wir dürfen mit Gründungen schon mal die Marktführerschaft anstreben.“

Für eine glatte Eins für den Standort reicht es aber nicht. Der Investor Thilo Sautter benannte neben einem Lob für die vielfältige Hochschullandschaft auch deren Schwäche: „Wir bekommen aus den Hochschulen zu wenig Studenten, die gründungsbereit sind. Ich kenne zu viele Studenten, die sind 30 Jahre alt und die noch nie vorgetragen haben und passiv im Hörsaal gesessen sind.“ Im angelsächsischen Raum fördere man systematisch die Idee, einmal Unternehmer zu werden.

Ein weiterer wunder Punkt: Wenn viel Kapital zur Expansion notwendig ist, wird es in Baden-Württemberg eng. Ingmar Hoerr, Gründer des Tübinger Biotechnologie-Unternehmens Curevac, das vor allem im Ausland schon dreistellige Millionenbeträge eingesammelt hat, forderte hier auch politische Flankierung, etwa durch die Steuerpolitik: „Wenn wir nur ein Prozent des Anlagevermögens hierzulande in Hightech stecken würden, dann wären das schon fünf Milliarden Euro.“ Die Schweiz habe einen Zukunftsfonds aufgelegt, in den beispielsweise die Pensionsfonds und die Versicherungen einzahlten. Deutschland brauche hier eine Vision – etwa in 20 Jahren den Krebs zu besiegen. Es brauche ein Ziel und eine Vision: „Wir machen zu viel mit der Gießkanne. Mal fördern wir ein bisschen die Solartechnologie – doch nun machen diese die Chinesen.“ Auch hier war es der L-Bank-Chef, der das Land verteidigte und sich gegen den Vergleich mit Bayern wandte, wo ein Staatsfonds zur Förderung von Start-ups angeblich viel besser dotiert sei als im Südwesten: „Was Bayern mit diesem Fonds in einem Jahr leistet, schaffen wir bei der L-Bank in einem halben.“

Das Gründerland darf nicht selbstzufrieden werden

EnBW-Chef Mastiaux warnte allerdings vor Selbstzufriedenheit. Auf die Frage von StZ-Chefredakteur Dorfs, ob sein von der Energiewende gebeuteltes Unternehmen nicht ein warnendes Beispiel für Branchen wie die Autoindustrie sein könne, antwortete er leicht ironisch: „Ich sage in meiner Firma immer: Regt euch nicht auf, schaut, wie schlecht es um die Automobilindustrie steht.“ Er wolle hier aber keine Ratschläge geben. Auch in anderen Branchen seien radikale Veränderungen am Horizont: „Bei uns ist das zurzeit nur mehr sichtbar.“ Es seien oft erst Krisen, die wachrüttelten: „Wenn es eng wird, werden die Leute sehr kreativ, weil sie merken, dass man so nicht weiterarbeiten kann.“