Die StZ-Reihe „Extrablatt“ geht weiter. Am kommenden Dienstag gestaltet die Schriftstellerin Olga Martynova zusammen mit dem Grafikerduo 2xGoldstein die erste Kulturseite der Zeitung. Ein Besuch bei der Bachmannpreisträgerin in Bamberg.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Bamberg - Am Tag des Besuchs bei Olga Martynova ballen sich zunächst einmal schwarze Gewitterwolken über dem deutsch-russischen Verhältnis zusammen. Zwischen der deutschen Kanzlerin und dem russischen Präsidenten zucken Blitze, von einem Eklat ist die Rede. Es geht um die Frage der Beutekunst oder, wie man in Russland sagt, Trophäenkunst. Doch in Bamberg, wo Martynova zurzeit als Stipendiatin in der prächtig-barocken Villa Concordia am Ufer der Regnitz weilt, ist davon nichts zu spüren. Die Sonne leuchtet warm über historisch befriedeten Buntsandsteinensembles, und die Villa scheint ihrem Namen alle Ehre zu machen: „Herzlich willkommen“ nimmt ein Schild den Besucher in Empfang, gegenüber das Gleiche auf Russisch und in kyrillischer Schrift.

 

Olga Martynova ist, wenn man so will, die Inkarnation eines intakten deutsch-russischen Verhältnisses: Die 1962 im sibirischen Krasnojarsk geborene Autorin schreibt in ihrer Muttersprache Gedichte, die Sinn, Unsinn und einige andere Dinge subversiv miteinander verspinnen; und auf Deutsch Romane, in denen sie eigentlich das Gleiche tut, so witzig und kunstvoll, dass sie dafür mit den wichtigsten Buchpreisen belohnt wird – zuletzt mit dem Bachmannpreis für ein Kapitel aus ihrem jüngsten Buch „Mörikes Schlüsselbein“.

Am kommenden Dienstag wird Olga Martynova in der Reihe „Extrablatt“ die erste Seite des Kulturteils dieser Zeitung gestalten, zusammen mit dem Grafikerduo 2xGoldstein. Sie erfüllt sich damit einen lang gehegten Wunsch. Und weil die wesentlichen Wünsche komplexerer Natur sind, schlägt sie vor, über all das während eines Spaziergangs durch das historische Gewinkel Bambergs zu erzählen.

Japanische Bauarbeiterschuhe sind sehr bequem

Martynovas Texte sind immer auch Passagen durch Zeit und Raum, manchmal queren veritable Fußspuren ihre Kapitel, es mag daher nicht überflüssig erscheinen, ein Wort über das Schuhwerk dieser ebenso zierlichen wie vitalen Autorin zu verlieren. In ihren Texten würden sie den Abdruck eines Fäustlings hinterlassen, mit einer Aussparung für den großen Zeh: „Das sind japanische Bauarbeiterschuhe – das Bequemste, was man sich vorstellen kann“, sagt sie mit einem klangvollen Idiom, das für das Ohr so gefügig ist wie japanische Bauarbeiterschuhe für die Füße.

Und so angemessen diese sich für das holprige Pflaster Bambergs erweisen mögen, enthalten sie darüber hinaus einen Hinweis auf die Brennweite, auf die man bei den leichtfüßigen Erkundungen mit Martynova immer gefasst sein muss: deutsches Mittelalter, Baustellen in Tokio, russische Avantgarde – und E. T. A. Hoffmann. Der Dichter hat einige Jahre in Bamberg verbracht, sein leicht dämonisch getönter Spieltrieb, die Weise, wie sich in seinen Werken das Wunderbare und Groteske dem Prosaischen entringen, lässt ihn durchaus als Gewährsmann für das eigene Schreiben taugen. Ein zerknautschtes Gesicht grinst von einem Türknauf. „Das ist das alte Apfelweib aus der Erzählung ,Der goldene Topf‘“, sagt Martynova im Vorbeigehen. Es korrespondiert mit „Unserer Lieben Frau“, so heißt die katholische Pfarrkirche, zu der die Stadtkundige nun ihre Schritte wendet.

Vom Streit zwischen Merkel und Putin hat sie noch nichts mitbekommen. Aber das Terrain der sogenannten Beutekunst hält sie für heikel. „Man sollte keine schlafenden Hunde wecken.“ Vor dem Eingang zu „Unserer Lieben Frau“ schlummern ein paar Jünger im Garten Gethsemane. Drinnen – „wieder ein gotischer Raum, den das Barock in einen Tanzsaal verwandelt hat“ – fährt sie fort: „Der Friede nach dem Zweiten Weltkrieg war eine große Errungenschaft der Menschheit. An diese Sache zu rühren ist gefährlich und für niemand gut.“ Und vor einer spätgotischen Kreuzigungsgruppe: „Das 20. Jahrhundert schmerzt immer noch.“

Das erste Stipendium hatte sie in Stuttgart

Martynovas Vater war Journalist. Der Umgang mit Worten wurde ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt. Mit drei Jahren fing sie an zu schreiben, daran hat sich bis heute nichts geändert, allenfalls die Sprache. „Es ist immer gleich schwer zu schreiben, ob es die Muttersprache ist oder nicht. Ich stehe vor einem Satz und spreche so lange mit ihm, bis er so ist, wie ich es will.“ Inzwischen steht Olga Martynova auf dem Platz vor dem Dom. Hier kreuzen sich alle Zeitachsen, Romanik, Gotik, Renaissance, Barock. Wenn man den leicht ägyptischen Einschlag ihrer Frisur hinzunimmt, sogar noch mehr.

Sie war fast schon dreißig, als sie 1992 während der Perestrojka zusammen mit ihrem Mann nach Deutschland kam. Beide waren bis dahin Teil jener inoffiziellen Dichterszene der Sowjetunion, aus der der Nobelpreisträger Joseph Brodsky hervorging. Mit der Perestrojka wurden ihre Texte, die bis dahin in ungedruckter Form zirkulierten, sofort verlegt. Einladungen folgten, unter anderem nach Deutschland. Und dort sind sie dann geblieben, zunächst mit Deutschkenntnissen, die das aus Fernsehkrimis abgelauschte „Hände hoch“ nicht überstiegen. Das erste Stipendium, das dem Schriftstellerehepaar gewährt wurde, führte sie nach Stuttgart auf die Solitude.

Aber warum verlässt man das Land gerade, wenn sich die Verhältnisse zu bessern beginnen? „Wir haben uns eingesperrt gefühlt. Wir waren sehr neugierig und wollten die Welt sehen.“ Und für die schwierige Zeit, die es dabei zu überstehen galt, waren beide durch ihr Leben als inoffizieller Autor bestens vorbereitet. „Man ist nicht vom Erfolg verwöhnt und sieht alles sehr gelassen.“ An dieser Gelassenheit scheint der Erfolg, den sie inzwischen genießt, nichts geändert zu haben. Seit zwanzig Jahren lebt Martynova mit ihrer Familie, von Stipendienaufenthalten abgesehen, in Frankfurt.

Eine Hommage an das Medium Zeitung

Gerade schreibt sie an einem Essay über reife Kulturen. Sie neigen zu Anthologien und Sammlungen. Im China des achten Jahrhunderts musste, wer Beamter werden wollte, Tausende von Gedichtzeilen auswenig können. Klar, dass einer Lyrikerin das gefällt.

Bamberg war übrigens auch eine Hochburg der Hexenverbrennungen, erzählt Olga Martynova, als sich Glockenschall mit der milden Abendsonne mischt. In kurzer Zeit wurden sehr viele Menschen verhaftet, gefoltert und hingerichtet. „Man entwickelte sogar spezielle Öfen.“ Und wieder glaubt man in dieser Bemerkung zu spüren, wie sehr das 20. Jahrhundert immer noch schmerzt.

Auch ihre Zeitungsseite hat mit der Frage reifer Kulturen zu tun: Es soll ein kurzweiliger Rundgang durch einige zentrale Gefilde des menschlichen Erdentreibens werden, eine Hommage an das Medium, ein Spiel mit Glossen, Spalten und Verweisen. Der Rundgang durch Bamberg neigt sich indessen seinem Ende zu. Das deutsch-russische Verhältnis sei eine sehr produktive Hass-Liebesbeziehung, sagt sie auf dem Weg zurück zur Villa Concordia. Gilt das auch für sie selbst? „Nein, in mir führen beide Kulturen eine durch und durch friedliche Koexistenz.“

Kreativ im Doppelpack

Die beiden Brüder des Karlsruher Designbüros 2xGoldstein werden die Seite grafisch gestalten.

Gleich zweimal Goldstein? Hinter dem Agenturnamen 2xGoldstein stecken zwei Brüder: Andrew und Jeffrey Goldstein. Sie sind aber nicht nur Brüder, sondern eineiige Zwillinge, die sich zum Verwechseln ähnlich sehen, unzertrennbar sind und obendrein auch noch eine große Leidenschaften teilen: die Liebe zur Gestaltung. So sind sie sich auch einig, dass sie nicht „sinnlosen Schriftmoden“ hinterherrennen wollen, wie sie es nennen.

Andrew und Jeffrey Goldstein wurden 1978 in Hagen in Westfalen geboren und haben an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe (HfG) Grafikdesign studiert. Ein Mann hat sie im Studium besonders beeindruckt: Adam Seide. Er war Galerist und Schriftsteller, Kunst- und Theaterkritiker, hat einen Gedichtgenerator entwickelt und an der HfG die Versfabrik initiiert. Bei diesem künstlerisch-wissenschaftlichen Sprachprojekt wurden am Computer Gedichte generiert, um die Gattung des Gedichts und vor allem die Lyrik von Dadaismus und Surrealismus besser verstehen zu können. Nach dem Tod von Seide im Jahr 2005 gründeten die Goldstein-Brüder mit einigen Kommilitonen das Adam-Seide-Archiv, um sein Erbe zu erhalten und nach seinem Vorbild der Sprache eine Plattform zu bieten.

2007 haben die Brüder ihr Studium beendet, seither betreiben sie gemeinsam eine Agentur in Karlsruhe und arbeiten als freie Gestalter für Verlage, den Rundfunk und den Film. Sie gestalten Ausstellungsplakate zu „80 Jahre Dammerstock“, einer Siedlung des neuen Bauens oder zur „Kieler Woche“ . Sie machen Bücher – angefangen vom Jahresbericht der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe bis hin zu einer nostalgischen Reise zu den schönsten Plätzen der Schweiz. Am liebsten arbeiten 2xGoldstein aber interdisziplinär. So haben sie zum Beispiel die Titelsequenzen für zwei Filme entwickelt oder auch eigene Texte inszeniert zu der Musik des Komponisten und Performers Helmut Bieler-Wendt. (adr)

Eine Autorin, zwei Künstler, eine Seite

Reihe Normalerweise sind Autoren und Künstler Gegenstände der Kulturberichterstattung. Die Reihe „Extrablatt“, die die StZ und das Literaturhaus Stuttgart gemeinsam veranstalten, dreht den Spieß um: Schriftsteller und Künstler bekommen die Gelegenheit, eine Kulturseite ganz nach ihren inhaltlichen und ästhetischen Vorstellungen zu gestalten.

Akteure Den Anfang des vom Innovationsfonds des Landes geförderten Projekts machten die Autorin Sibylle Berg und der Zeichner Henning Wagenbreth. Zu Gast sind nun die Gewinnerin des Bachmann-Wettbewerbs 2012, Olga Martynova,von der gerade der Roman „Mörikes Schlüsselbein“ erschien, und das Karlsruher Künstlerduo 2xGoldstein.

Konzept Marcel Proust lässt seine Romanfigur Swann einmal Folgendes sagen: „Was ich den Zeitungen vorwerfe, ist, dass sie uns alle Tage auf unbedeutende Dinge aufmerksam machen, während wir drei- oder viermal in unserem Leben die Bücherlesen, in denen Wesentliches steht. In dem Augenblick, wo wir jeden Morgen fieberhaft die Zeitung auseinanderfalten, sollte plötzlich eineVertauschung der Dinge stattfinden und in der Zeitung, ich weiß nicht was, die ‚Pensées’ von Pascal stehen!“Olga Martynova wird dieses von Proust formulierte Prinzip in die Praxis umsetzen.

Termin Am 1. Juli um 20 Uhr wird die Seite am Vorabend ihres Erscheinens im Literaturhaus vorgestellt. Olga Martynova und 2xGoldstein geben Auskunft über ihr Werk. Musik von Murat Parlak rundet den Abend ab. Karten gibt es an den üblichen Vorverkaufsstellen. (kir)