Deutschlands Handballer sind Europameister geworden, die deutschen Fußballer wollen bei der EM im Sommer nachziehen. Was aber macht eine gute Mannschaft aus? Der Auftakt der neuen Serie „Die Mannschaft“ im StZ-Sport.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Am Anfang steht ein Fehler. Der Trailer zum Film über den WM-Titel der deutschen Fußballer beginnt mit einem Zitat, das falsch zugeordnet ist. „Die Mannschaft“, heißt der Streifen, und das Zitat lautet: „Brasilien hat Neymar. Argentinien hat Messi. Portugal hat Ronaldo. Deutschland hat eine Mannschaft.“

 

Es ist ein großartiges Zitat. Diese Sätze sind das Konzentrat des Erfolgs von Rio.

Eine Mannschaft. Das war Deutschland im Sommer 2014, das war das Geheimnis des WM-Titels in Brasilien. Deutschland war nicht Schweinsteiger, Müller oder Neuer. Das DFB-Team war eine Summe, stärker als ihre Einzelteile zusammen. Englands Fußball-Ikone Steven Gerrard wird der Spruch zugeschrieben - er hat ihn aber nie gesagt, sondern er stammt von einem Burschen, der unter diesem Pseudonym twitterte. Von Bedeutung ist das nicht.

Sie hatten die beste Mannschaft

Hatte Deutschland bei der Fußball-WM die besten Individualisten? Oder war die Handball-Nationalmannschaft bei ihrem EM-Sieg in Polen die Ansammlung der besten Einzelkönner im Turnier?

Nein. Und nochmals nein.

Sie hatten die beste Mannschaft.

Grund genug für uns, mit Blick auf die Fußball-EM im Juni und Juli einige große Mannschaften der Sportgeschichte in unserer neuen Serie „Die Mannschaft“ (siehe auch „Unsere Besten“) zu würdigen und zu Beginn der Frage auf den Grund zu gehen, was ein Team eigentlich ausmacht.

Teamgeist gilt als unerlässlich. Auch dort, wo es in der Mannschaft um die Addition von Einzelergebnissen geht, etwa im Tischtennis, im Daviscup oder in den Wintersportarten, beim Skispringen oder beim Biathlon, wird im Erfolg oft auch auf die gute Atmosphäre in der Gruppe verwiesen.

Oft mehr als nur Kollegen

Die Handballer wie auch die Fußballer lebten als Mannschaft, es war zu spüren, dass hier ein Team zusammen stand und sich verstand. Erfolgreiche Teams werden bisweilen etwas verklärt als „Band of Brothers“, wie es im Englischen so schön heißt, als ein Haufen Brüder. Erfolgreiche Teams sind aber nicht immer getreu des 11-Freunde-müsst-ihr-sein-Mottos alles dicke Kumpels, oft aber mehr als nur Kollegen. „Wenn alles zusammenkommt und passt, erzeugt eine Einheit eine nicht messbare Energie, die zur Vervielfachung ihrer Möglichkeiten führt“ – das hat der Eishockey-Trainer Ralph Krüger mal gesagt.

Das Wort „Mannschaft“ ist seit der WM 2014 zu einer Marke geworden. Die DFB-Auswahl nennt sich heute offiziell „Die Mannschaft“. Die Facebook-Seite heißt so, der Twitter-Account ebenso. Im Ausland ist der Name nicht neu, dort wird die DFB-Elf – wenn sie nicht gerade als „Panzer“ tituliert wird – schon lange als „The/La/Le Mannschaft“ bezeichnet. So, wie wir die Begriffe „Equipe tricolore“ (Frankreich), „Selecao“ (Brasilien) oder „seleccion“ (Spanien) verwenden, die auch nichts anderes bedeuten als Auswahl oder Mannschaft.

Es gibt Teams, zum Beispiel im Fußball oder Basketball, die von so genannten „Egoshootern“ dominiert werden und in denen der Erfolg der Gruppe vor allem von der individuellen Qualität eines Einzelnen mehr oder weniger abhängig ist. Das kann funktionieren, allerdings selten lange. Sei es, weil die Dysbalance das Team berechenbar macht. Sei es durch mögliche atmosphärische Probleme innerhalb des Gefüges. Sei es durch Schwankungen des Stars.

Es darf keine Egoismen geben

Was macht aber ein gutes Team aus? Wie wichtig ist dieser ominöse Geist? Oder geht es gar nicht um dieses ewige Mantra von den „Elf Freunden“, sondern einzig und allein darum, dass eine Gemeinschaft einen gemeinsamen Nenner hat: Erfolg – und dass diesem Ziel alle Egoismen untergeordnet werden?

Vielleicht kommt dieser Ansatz der Realität im Hochleistungssport viel näher. Sport auf Weltklasseniveau ist kein freiwilliger Zusammenschluss von Freunden, sondern das Ergebnis von individueller Leistung, wenn man es etwa in einen Kader schafft. Oder eine Gruppe wurde gezielt von einem Manager und/oder Trainer nach einem Mix aus verschiedenen Faktoren (Alter, Leistung, Position, Sozialverhalten, Potenzial) zusammengestellt. Die Gruppe muss als Einheit funktionieren, mehr nicht. Aber natürlich auch nicht weniger.

Im „Handelsblatt“ wurden vor längerer Zeit einige Grundsätze für eine erfolgreiche Mannschaft definiert: „Erfolg als Team“ funktioniert in der Wirtschaft wie im Sport nach den gleichen Regeln, so die These des Autors. 1. Aufgaben müssen klar sein. „Ein Team ist weder ein Ort individueller oder kollektiver Selbstverwirklichung noch ein solcher des demokratischen Konsensdiskurses“. 2. Präzise Arbeitsteilung. „Jeder erledigt seinen Teil der Aufgabe; alle anderen müssen lediglich wissen, was das ist und müssen sich darauf verlassen können.“ 3. Disziplin. „Disziplinlosigkeit ist Gift für jede Art von Team.“

Keiner darf aus der Reihe tanzen

Die Punkte beschreiben ziemlich genau jene Modelle im Sport, in denen ein Rad ins andere greifen muss und in denen Fehler unverzeihlich sind, da sie nicht mehr ausgeglichen werden können und weil der Erfolg des Ganzen mit der Leistung des Einzelnen steht und fällt. Während individuelle Klasse auch in einer gut funktionierenden Mannschaft im Fußball, Handball oder Basketball heraustechen kann und soll und Spiele entscheidet, ist ein Ungleichgewicht der Fähigkeiten in anderen Bereichen des Sports schädlich für den Erfolg des Teams.

Der Gleichklang des Könnens

Etwa beim Tanzen, wo im wahrsten Sinne des Wortes niemand aus der Reihen tanzen darf, oder man denke an die wunderbare Synchronizität eines Bahnvierers im Oval. In London präsentierte dies der britische Vierer bei seinem Weg zu Gold in der 4000-Meter-Mannschaftsverfolgung in vollendeter Harmonie. Es war ein famoses Zusammenspiel der Athleten, perfekt getaktet in allen Bewegungen, mehr Kunst als Sport. Ein Gleichklang des Könnens. Während in anderen Teams schlechte Leistungen eines Einzelnen aufgefangen werden können, ist das hier nicht möglich: Nur wenn jedes Individuum perfekt funktioniert, kann die Einheit erfolgreich sein.

Der Achter ist das Paradebeispiel

Denken wir an den Ruder-Achter. Verliert einer den Rhythmus oder kann aus anderen Gründen den Schlag der Gruppe nicht mitgehen, ist das ganze Boot aus dem Takt. Niemand darf auffallen, keiner darf abfallen. Der Achter ist das Paradebeispiel für Teamarbeit und für die Bedeutung der Gruppe – und das Gegenstück zur Harmoniethese. Der legendäre Achter-Trainer Ralf Holtmeyer glaubt, dass nur unter Reibung Leistung entsteht. Holtmeyer setzt auf Druck, Härte, Disziplin.

Er ist der Meinung, dass erfolgreiche Mannschaften verklärt würden. Man liebe die Vorstellung, so sagt der Trainer, dass dort, wo es harmonisch zugehe, Erfolg sei. Das Gegenteil sei der Fall: „Die Harmonie ist dort am Größten, wo am wenigsten Leistung erwartet wird. Wo es darum geht, besser zu werden, ist es zwangsläufig unbequem, weil man arbeiten muss.“ Teamgeist – das bedeute auch zu sagen: „Ich habe da einen Kumpel, aber der ist nicht so gut, und deshalb möchte ich den anderen dabeihaben. Das ist auch Teamgeist.“ So schuf er 2012 den besten Achter aller Zeiten.