Der grüne Staatssekretär Jürgen Walter spricht über die Herausforderungen der Kulturpolitik am Beispiel der Sanierung der Stuttgarter Oper. Außerdem verrät er, ob Mappus oder Oettinger besser Fußball spielen konnte.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart – Die Entscheidung, an welchem Ort sich Jürgen Walter mit der Stuttgarter Zeitung für ein Sommerinterview treffen will, fällt dem Staatssekretär nicht leicht: An zu vielen Orten der Stuttgarter Innenstadt hat Walter das Kulturleben mitgestaltet. Die Wahl fällt schließlich auf den Eckensee. Mit Blick auf die Oper spricht der 58-Jährige über Millionen-Albträume und Rap.

 
Herr Walter, lassen Sie uns über Kunst reden!
Sind Sie denn wieder nüchtern?
Wie meinen?
Na, Sie waren doch beim Konzert von Snoop Dogg kürzlich. Der fordert doch seine Fans zum Marihuanakonsum auf.
Der ist gar nicht so schlimm, wie Sie denken.
Ich halte ja Jay Z oder Kendrick Lamar für die besseren Rapper. Die sind textlich stärker und haben den besseren Flow.
Das haben Sie sich doch jetzt ausgedacht, um bei unseren jungen Lesern zu punkten.
Nein! Mein 18-jähriger Sohn hört die. Wenn wir längere Strecken gemeinsam im Auto verbringen, haben wir einen Deal. Erst eine CD von ihm, dann eine von mir.
Und was für CDs legen Sie dann auf?
Am liebsten etwas aus dem Bereich Klassik oder Jazz.
Vom Jazz zur großen Oper: Was ist wichtiger für Stuttgart? Eine top sanierte Oper, für deren Interimsstätte man den Eckensee für ein paar Jahre kassieren muss, oder Rückzugsgebiete für alle Bürger, auch für solche, die mit der Oper nichts am Hut haben?
Diese Alternative stellt sich nicht. Wir brauchen beides. Die Oper ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Stuttgarter Kulturlebens. Wir können die Menschen nicht mehr in einem Gebäude arbeiten lassen, in dem noch dieselben Bedingungen wie vor 100 Jahren herrschen. Wenn man die Voraussetzungen in der Oper sieht, auch in den Werkstätten, da kann der Personalrat nur jeden Tag drei Augen zudrücken.
Muss man aber dafür wirklich den Eckensee zubauen? Gibt es keine kreativeren Ideen?
Sie können sich darauf verlassen, dass sowohl im Staatstheater als auch im Wissenschaftsministerium und im Stuttgarter Rathaus in dieser Sache sehr kreativ gedacht wird.
Das klingt fast schon verdächtig kreativ. Welche Standorte für die Interimsspielstätte sind außerdem im Gespräch?
Wir stehen noch ganz am Anfang der Diskussion. Der Ausweichstandort Eckensee wurde in der Verwaltungsratssitzung der Staatstheater auf Gelb gestellt und nicht auf Grün. Das heißt, man hat ihn nicht verworfen, Gelb heißt aber auch, es werden andere Möglichkeiten geprüft. Ich finde, wir sind in unserer Mediengesellschaft immer ein bisschen zu aufgeregt. Lasst uns doch in Ruhe die Alternativen diskutieren.
Ein bisschen Aufregung in Bezug auf die wenigen Grünflächen scheint angebracht.
Aufgrund der S-21-Problematik ist es selbstverständlich, dass die Menschen extrem sensibel sind, was jede weitere Nutzung in ihrem Schlossgarten anbelangt. Der ist ja durch die Baustelle schon jetzt für viele Jahre nicht mehr nutzbar.
In der Diskussion wurde auch das Musical in Möhringen als Interimsspielstätte genannt.
Realistisch betrachtet, macht ein Standort Sinn, der möglichst nahe am jetzigen Theater liegt. Das ist wichtig, um die Infrastruktur nutzen zu können.
Und wie stehen Sie zu einem kompletten Neubau als Interimsspielstätte, den man später als neues Konzerthaus nutzen kann?
Eine Entscheidung über ein mögliches weiteres Konzerthaus in Stuttgart muss die Stadt unabhängig von einer Interimsspielstätte für die Oper treffen.
Ist es denn überhaupt so, dass wir eine weitere Konzertspielstätte in Stuttgart brauchen oder wird da auf hohem Niveau gejammert?
Prinzipiell wird in Stuttgart auf hohem Niveau gejammert, weil wir gerade im kulturellen Bereich fraglos eine sehr gute Infrastruktur haben. Man kann aber trotzdem immer besser werden. Die Liederhalle ist ja auch in die Jahre gekommen.
Aktuell scheint die Sanierung der Oper über 300 Millionen Euro zu kosten, Kritiker haben aber auch schon eine Summe von 600 Millionen in den Raum geworfen.
Wenn ich mal schlecht geträumt habe, rufe ich am nächsten Tag nicht gleich die Zeitung an. Dann verarbeite ich das selber. 600 Millionen müssen ein Albtraum gewesen sein. Oder vielleicht ein Wunschtraum von manchem, der das Projekt kaputtreden möchte. Wir haben das sehr seriös berechnen lassen. Wir wollten von Beginn an auf Grundlage realistischer Zahlen diskutieren. Ein Gutachten, das der Verwaltungsrat eingeholt hat, nennt die Summe von 342 Millionen Euro. Die zuständige Abteilung im Finanzministerium hat das Gutachten geprüft und als realistisch bezeichnet. Aber mit dem Zusatz: Die Rechnung fußt auf der Basis des Baukostenindex von 2014.
Egal ob 300 oder 600 Millionen. Sind solche Summen noch verhältnismäßig für einen Bereich der Kultur, der am Ende nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung rezipiert wird?
Als Politiker treibt es mich an, für unsere Kulturschaffenden Rahmenbedingungen zu schaffen, um möglichst vielen Menschen in unserer Gesellschaft, insbesondere auch Jugendlichen, ästhetische Erfahrungen zu schenken. Aus eigener Erfahrung weiß ich: ein gutes Buch, ein tolles Konzert, ein gutes Album als ästhetisches Erlebnis kann das ganze Denken, das ganze Leben verändern. Wenn junge Menschen das nicht haben, dann fehlt ihnen etwas in ihrer Entwicklung. Bei so manchem Konzert oder Theaterstück habe ich selbst ästhetische Erlebnisse gehabt, bei denen ich noch Tage später aufpassen musste, dass ich nicht gegen den Türrahmen knalle, weil ich das Gefühl hatte, über dem Boden zu schweben.
Früher haben Sie selbst für solche Erlebnisse gesorgt, Sie waren in der Ludwigsburger Scala als Veranstalter tätig.
Im Jugendhaus in Ludwigsburg habe ich mit 18 mein erstes Jazz-Konzert veranstaltet, während meines Studiums haben wir an der Uni in Stuttgart sechs bis acht Veranstaltungen pro Semester gemacht, hauptsächlich Musik und Kabarett. Später war ich dann fünfeinhalb Jahre am Scala in Ludwigsburg aktiv.
Und wie legt man eine Laufbahn hin vom Kabarett-Veranstalter zum höchsten Beamten der Landesregierung?
Ich war schon immer nicht nur kulturell, sondern auch politisch interessiert. Schon als Teenager habe ich Bücher über Umweltschutz gelesen. Anfang der 1980er habe ich in Oregon studiert und dort in einer Organisation mitgemacht, die sich für eine nuklearfreie Zukunft eingesetzt hat. Als ich zurück kam, war klar, dass ich mich für die Umwelt und für die Abrüstung engagiere. Das führte mich zu den Grünen.
Wer würde denn unter Ihrer Regie in einem Kabarett-Abend aus dem aktuellen Kabinett die größten Erfolge feiern?
Unser Ministerpräsident sagt immer, Ironie in der Politik sollte man vermeiden. Da halte ich mich daran, auch wenn es mir manchmal schwerfällt. Das Kabinett arbeitet sehr ernsthaft an der Modernisierung Baden-Württembergs – fürs Kabarett ist da keiner geeignet. Kabarett und Politik haben aber eines gemeinsam: Gutes Kabarett gelingt nur, wenn man das Programm immer bis zum Ende denkt. Das ist in der Politik genauso.
Zu den wichtigen Themen, zum Fußball. Sie haben jahrelang in der Mannschaft des Landtags mitgespielt. Auf welcher Position?
Ich habe immer im Mittelfeld der Landtagsmannschaft gespielt. Die Mannschaft hat aber seit einigen Jahren so gut wie gar nicht mehr gespielt.
Und wer hat früher am besten gekickt?
Man muss offen zugeben: Mappus war kein schlechter Spieler.
Wirklich?
Ja, der war ein richtiger Sturmtank. Aber übergewichtig. Wenn er den Ball annahm, sah man ihm aber an, dass er einmal gut war. Witzig war dagegen immer Günther Oettinger. Der war sicherlich kein Naturtalent. Er meinte aber, dass er die Pässe spielen müsste, die in der Bundesliga als nicht einfach gelten. Ich habe immer zu ihm gesagt, „Günther, spiel den einfachen Ball.“ Er wollte aber Pässe wie Balakov spielen.
Sie selbst leiden seit fast 50 Jahren mit dem VfB Stuttgart mit.
Ich habe als VfB-Fan viele schöne Erfolge gefeiert, aber manchmal muss man als echter Fan eben leiden. Der Abstieg 1975, die Wechselpanne von Leeds – das waren ganz bittere Momente. Ich ärgere mich noch heute, dass Gerhard Mayer-Vorfelder nicht auf meinen Rat gehört hat, 1993 Matthias Sammer von Inter Mailand zurückzukaufen. Stellen Sie sich diese Achse vor: Verlaat – Sammer – Balakov – Elber!
Und warum hat MV nicht auf Sie gehört?
Weil er gesagt hat, dann müsste er Guido Buchwald 100 000 Mark mehr im Jahr Grundgehalt zahlen. Ansonsten war ich mit MV in Sachen Fußball oft einig. Im Gegensatz zur Politik. Nur in zwei Punkten waren wir völlig anderer Auffassung: in der Causa Sammer, und dann habe ich ihn mit Engelszungen vor einer Verpflichtung von Winnie Schäfer gewarnt, der dann – laut Augenzeugen – zum ersten Training in Stuttgart mit dem Autokennzeichen KA-SC 1 vorfuhr. . .
Borgen wir uns zum Schluss noch ein Bild aus der Sprache des Fußballs: Wer war bisher Ihr Königstransfer in der Kulturpolitik?
Ich bin mit unserer Personalpolitik bisher sehr zufrieden. An verschiedenen Institutionen haben wir tolle Leute nach Baden-Württemberg geholt und den jeweiligen Einrichtungen neuen Schwung verliehen. Es ist immer mein Anspruch, kreative Köpfe nach Baden-Württemberg zu holen. Stellvertretend für alle beschränke ich mich jetzt auf Armin Petras, weil die Besetzung der Schauspielintendanz meine erste Personalentscheidung war.
Armin Petras ist nicht nur kreativ, er gilt auch als einer, der schnell wieder weiterzieht. Wird er seinen Vertrag in Stuttgart verlängern?
Die Chemie zwischen uns hat schon beim ersten Treffen in Berlin gestimmt. Sicherlich ist Armin Petras ein rastloser Mensch. Er hat aber noch so viele Ideen für Stuttgart. Daher mache ich mir überhaupt keine Sorgen, dass er uns nicht noch eine ganze Weile erhalten bleiben wird.