Wie ticken die OB-Kandidaten abseits der politischen Bühne? Die Stuttgarter Zeitung und die Stiftung Geißstraße unternehmen mit den wichtigsten vier Aspiranten Spaziergänge durch die Stadt. Es darf, nein es soll, persönlich werden. Vierter Teil: unterwegs mit Bettina Wilhelm.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Wie innig Bettina Wilhelm mit Stuttgart verbunden ist, das zeigte sich am Samstag beim Stadtspaziergang so ganz en passant. Auf dem Weg zum Karlsplatz kam die 48-jährige parteilose OB-Kandidatin, die von der SPD nominiert wurde, am Standesamt in der Eberhardstraße vorbei und meinte, fast selbst etwas überrascht: „Ach, hier habe ich vor 25 Jahren geheiratet.“

 

Am liebsten, so gestand sie später, wäre sie mit ihren rund 40 Spaziergängern hinaus nach Rotenberg gefahren, wo sie als echtes Stuttgarter Mädel aufgewachsen ist und wo sie lange fest verwurzelt war. Aber es musste die Innenstadt sein, so hatte die Vorgabe für den Stadtspaziergang gelautet, den die Stiftung Geißstraße und die Stuttgarter Zeitung gemeinsamen organisiert haben. Und Bettina Wilhelm verstand es geschickt, unterwegs Einblicke in ihre eigene Vergangenheit zu geben und diese mit Ausblicken in ihre politische Zukunft zu verknüpfen. Sie hatte ihre Gäste gleich vorgewarnt, dass sie dies teilweise im Stechschritt tun würde. „Ich bin eine leidenschaftliche Stadtspaziergängerin“, sagte sie. „Aber Vorsicht: auch eine schnelle.“

In der Kirche engagiert

Ihre persönliche Vergangenheit schien etwa auf, als sie im Chor der Leonhardskirche im Bohnenviertel stand – viele Jahre, so erzählte die amtierende Bürgermeisterin von Schwäbisch Hall, sei sie in der evangelischen Kirchengemeinde aktiv gewesen: „Für mich war die soziale Gerechtigkeit immer ein wichtiges Thema – dafür hatte ich mich in der Kirche engagiert, deswegen bin ich Erzieherin und später Sozialpädagogin geworden.“ Und vor dem Hotel Silber, dem früheren Sitz der Gestapo in der Dorotheenstraße, erzählte sie von ihren Forschungen zum Thema Frauen und Rechtsextremismus an der Fachhochschule Esslingen: „Die Ergebnisse haben mir deutlich gemacht, dass rechtes Gedankengut oft in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt ist und oft sehr unauffällig daherkommt.“

Aus diesen biografischen Elementen heraus hat Bettina Wilhelm den Stadtspaziergang fast zu einem politischen Manifest entwickelt: Unterwegs schnitt sie, anknüpfend an interessante Gebäude und Menschen, einige der Themen an, die für sie, falls sie Oberbürgermeisterin in Stuttgart werden sollte, im Mittelpunkt stehen würden. Diese Themen heißen: lebendige und menschenfreundliche Stadtplanung, Unterstützung des inhabergeführten Einzelhandels, eine gute Erinnerungskultur in Geschichte und Denkmalpflege sowie, natürlich, das soziale Miteinander.

Die erste Station war das Hotel Silber, das das Land zu einer Erinnerungsstätte umbauen will. Bettina Wilhelm unterstrich dabei die Position der Stuttgarter SPD: Die Stadt Stuttgart müsse sich zu ihrer Verantwortung bekennen – und das bedeute auch, sich finanziell an der geplanten Einrichtung zu beteiligen.

Auf dem anschließenden Weg durchs Bohnenviertel nahm sie ebenfalls die Stadt in die Pflicht. Als Fußgänger komme man kaum heil über die Hauptstätter Straße, ärgerte sich die OB-Kandidatin. Auf dem obersten Deck des Züblin-Parkhauses stehend, malte sie schon mal die schöne städtebauliche Zukunft aus, wenn der Betonkoloss in elf Jahren, nach Ablauf der Erbbaupacht, verschwinden könnte. Und im Rotlichtviertel verwies sie auf die alten und teils denkmalgeschützten Häuser, in denen Bordelle untergebracht sind und die kaum gepflegt werden. „Die Stadt muss diese Gebäude kaufen oder anmieten und sie sanieren“, forderte Wilhelm. Da war sich die OB-Kandidatin übrigens ganz einig mit der grünen Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. So könnten nicht nur die letzten Reste des alten Stuttgart bewahrt werden, sondern man helfe auch den ausgebeuteten Frauen: 150 Euro koste das Zimmer pro Tag, 15 Euro zahle ein Freier. „Das ist menschenunwürdig“, so Wilhelm.

Im Bohnenviertel besuchte Bettina Wilhelm mit ihren Gästen auch das Seifen- und Kerzengeschäft von Heinz Rittberger, das es seit 227 Jahren gibt. Solche alteingesessenen inhabergeführte Läden müsse die Stadt schützen, sagte Wilhelm, gerade auch in den Stadtbezirken. Sie wolle deshalb das Marketing in den Bezirken personell verstärken. Den Bau des Gerber-Einkaufszentrums und vor allem des Milaneo hinter dem Hauptbahnhof hält sie für falsch. So kämen zu den 360 000 Quadratmeter Einzelhandelsfläche in der City 63 000 Quadratmeter hinzu. „Das Milaneo ist ein Faux pas erster Klasse“, sagte Wilhelm: „Dort werden die Menschen hinkommen nach dem Motto Hinfahren, Shoppen, Wegfahren. Das hat nichts mit der Stadt zu tun.“

Wo sonst hätte Bettina Wilhelm ihren Spaziergang beenden sollen, als auf dem Wilhelmsplatz. Dort ist ihr Name verewigt (wenn auch nur zufällig); dort liegt ihr Wahlkampfbüro. Und dort dreht der Regisseur Michael Baumann gerade den Film „Habib Rhapsody“, wofür ein maroder Imbissstand auf den Platz gebaut wurde. Der Kiosk solle das „verratzte Stuttgart“ symbolisieren, meinte Wilhelm. Das passte ins Bild: Auch Bettina Wilhelm hatte mit ihrem Spaziergang zeigen wollen, dass Stuttgart an zu vielen Ecken verratzt ist. Und dass sie gerne mal die Kehrwochen machen würde.

Hier geht es zu den StZ-Veranstaltungen mit Hannes Rockenbauch, Fritz Kuhn (Grüne) und Sebastian Turner.