Was erwarten Wissenschaftler vom UN-Klimagipfel in Paris, der in drei Wochen beginnt? Sie loben die Bemühungen der Staaten, warnen aber vor zu großen Hoffnungen: Klimaschutz werde vorerst freiwillig bleiben – und damit nicht ausreichen.

Stuttgart - In drei Wochen treffen sich Tausende Delegierte in Paris, um beim UN-Klimagipfel einen Weltklimavertrag auszuhandeln. Eine Mehrheit der Menschen unterstützt das, hat der US-amerikanische Pew Research Center bei einer Umfrage in 40 Ländern ermittelt. Darf man hoffen, dass es gelingt? Vor sechs Jahren war man schon einmal so weit – und der damalige Gipfel von Kopenhagen mündete in eine dürre Erklärung, die viele als Debakel werteten.

 

Die StZ hat zehn Klimaforscher aus unterschiedlichen Fächern gefragt, was sie sich von Paris erhoffen. Klar als Pessimisten oder Optimisten einordnen wollen sich die wenigsten der Befragten, denn das hänge ja von den Kriterien ab. Bei allen Unterschieden zeigt sich aber ein einheitliches Bild: Die Klimaforscher rechnen nicht mit einem Abkommen, dass die Erderwärmung effektiv bremst. Sie halten es vor allem für unrealistisch, dass sich die 195 beteiligten Staaten darauf verständigen, ihre Zusagen zum Klimaschutz gegenseitig zu kontrollieren.

Der Ökonom Reimund Schwarze, der am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig und an der Europa-Universität in Frankfurt (Oder) arbeitet, bezeichnet sich als „verhalten optimistisch“, da sich die Weltgemeinschaft auf eine neue Grundstruktur geeinigt hat: In den vergangenen Monaten haben die meisten Staaten ihre freiwilligen Selbstverpflichtungen an das UN-Klimasekretariat in Bonn gemeldet. Sogar China und die USA sind mit von der Partie. Die Chefin des Sekretariats, Christina Figueres, zeigte sich zufrieden. Die Bereitschaft der Staaten wird auch von den befragten Klimaforschern gelobt. „Dass sich die Welt bemüht, den Klimawandel zu stoppen, ist eine große Leistung“, sagt zum Beispiel der Anthropologe Werner Krauß von der Universität Hamburg. Und der Physiker Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung erklärt, dass die zivilgesellschaftliche Bewegung in den vergangenen Jahren das Diskussionsklima verändert habe: „Es ist eine moralische Debatte geworden und keine physikalische oder ökonomische mehr.“

Schon jetzt ist klar: man wird nachbessern müssen

Wenn sie vollständig umgesetzt werden, würden die Selbstverpflichtungen der Staaten den Temperaturanstieg auf 2,7 Grad begrenzen, hat der ClimateActionTracker berechnet, der von mehreren Forschungseinrichtungen getragen wird. Die Vereinten Nationen haben sich aber auf ein Maximum von 2,0 Grad geeinigt und diskutieren sogar noch darüber, das Ziel auf 1,5 Grad zu verschärfen, weil sonst die Überlebenschancen der kleinen Inselstaaten sinken. Der Physiker Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung rechnet nicht damit, dass die Staaten in Paris ihre Zusagen verbessern werden. Die Verhandlungen dürften kompliziert werden – und das Ergebnis womöglich nicht leicht zu durchschauen. „Ob der Gipfel ein Wendepunkt ist, wird sich wahrscheinlich erst später im Rückblick zeigen“, sagt Rahmstorf.

Einige Klimaforscher hoffen, dass die Anstrengungen später gesteigert werden. Das ist auch das erklärte Ziel der Bundesregierung in den Verhandlungen. „Entscheidend wird sein, ob man sich in Paris auf ein Verfahren zur Nachjustierung einigen kann“, sagt der Volkswirt Joachim Schleich vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Er vermute aber, dass die Entscheidung darüber auf die Klimagipfel der nächsten Jahre verschoben werde. Andere Forscher verweisen darauf, dass eine Nachjustierung nur möglich sei, wenn man der Atmosphäre CO2 entzieht und es in Form von Wäldern oder in Kavernen speichert.

Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin kritisiert die Bereitschaft von Klimaforschern, sich auf diese Debatte einzulassen. „Inzwischen wäre die wissenschaftliche Politikberatung eigentlich an dem Punkt, die Politik zu zwingen, Farbe zu bekennen“, sagt er. Stattdessen schiebe man den Zeitpunkt, an dem die Emissionen weltweit sinken müssen – statt wie bisher zu steigen – immer weiter nach hinten. Auf diese Weise bleibe es quasi immer „fünf vor Zwölf“. Reimund Schwarze sieht das Zwei-Grad-Ziel ebenfalls in Gefahr. „Es wird auf dieser Welt wärmer werden, als es uns Wissenschaftlern lieb ist“, sagt er. Deshalb müsse man auch darüber reden, wie man sich auf die Gefahren vorbereitet. Den Entwicklungsländern sind bereits 100 Milliarden US-Dollar im Jahr versprochen worden. Angesichts der Summen, die in der Finanzkrise bereitgestellt wurden, hält Schwarze diese Hilfszahlungen für eine lösbare Aufgabe.

Die StZ porträtiert zehn Klimaschützer

Die Klimaforscher kritisieren aber, dass offen bleibt, ob die Staaten ihre Selbstverpflichtungen überhaupt einhalten. „Ich erwarte, dass die versprochenen Emissionsminderungen nicht vollständig geliefert werden“, sagt der Meteorologe Hans von Storch, der bis zu seinem Ruhestand das Institut für Küstenforschung beim Helmholtz-Zentrum Geesthacht leitete. Und Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg verweist auf die Investitionen in Kohlekraftwerke weltweit: „Sie legen nahe, dass sich nicht groß etwas ändern wird – trotz des gleichzeitigen Ausbaus der Erneuerbaren.“ Der Ökonom Otmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung rechnet mit geplanten Kohlekraftwerken mit einer installierten Leistung von insgesamt 1000 Gigawatt. Das entspräche – bei einer durchschnittlichen Laufzeit von 40 Jahren – nahezu 350 Milliarden Tonnen CO2. Weil damit das Zwei-Grad-Ziel auf keinen Fall einzuhalten wäre, spricht Edenhofer von einem „enormen Zeitdruck“. Jetzt würden die Weichen gestellt – jetzt müsste der Bau von Kohlekraftwerken verhindert werden.

Die StZ stellt in einer zehnteiligen Serie, die heute beginnt, Akteure im Klimaschutz vor: vom Diplomaten, der Deutschland beim Klimagipfel vertritt, bis zum Beamten, der den Klimaschutz seiner Stadt organisiert. (Alle Beiträge bis zum 19. November finden Sie hier.) Ihr Engagement setzt einen Kontrapunkt zum Zögern der Weltgemeinschaft, auf das die Meteorologin Corinna Hoose vom Karlsruher Institut für Technologie verweist: „Obwohl wir seit mehreren Jahrzehnten die Erderwärmung vorhersagen und inzwischen auch beobachten, bewegt sich die globale CO2-Emissionskurve immer entlang der pessimistischen Schätzungen.“