Die StZ-Umfrage sieht Fritz Kuhn vorne. Sebastian Turner überzeugt nur einen Teil bürgerlicher Wählerschichten. Bettina Wilhelm schöpft ihr Potenzial aus, S-21-Gegner Hannes Rockenbauch profitiert von enttäuschten Grünen-Anhängern.

Stuttgart - Wenn bereits am Sonntag und nicht erst am 7. Oktober OB-Wahl in Stuttgart wäre, hätte sich der Grünen-Kandidat Fritz Kuhn eine hervorragende Ausgangslage für die Neuwahl zwei Wochen später geschaffen. Dann würde die einfache Mehrheit reichen. Der frühere Fraktionsvorsitzende im Bundestag könnte mit 31 Prozent rechnen. Dieser Zwischenstand ist weniger überraschend als der Umstand, dass der von der CDU nominierte und von FDP und Freien Wählern unterstützte parteilose Unternehmer Sebastian Turner derzeit lediglich auf 28 Prozent käme. Die von der SPD aufgestellte, ebenfalls parteilose Bewerberin Bettina Wilhelm könnte mit 21 Prozent rechnen, der SÖS-Kandidat, Stuttgart-21-Gegner Hannes Rockenbauch, mit 13 Prozent. Bei der Kommunalwahl 2009 erreichte die SÖS gerade einmal 4,6 Prozent.

 

37 Prozent der 1002 befragten Bürger sagten, sie gingen nicht zur Wahl oder hätten sich noch nicht entschieden. Da die „Sonntagsfrage“ aktuelle Wahlneigungen misst und nicht das tatsächliche Wahlverhalten, sind Rückschlüsse auf den Ausgang nur bedingt möglich. Weil sich viele Bürger kurzfristig festlegen, hat die Bedeutung der letzten Wahlkampfphase mit der gezielten Ansprache von unentschlossenen und taktischen Wählern zugenommen. Das lässt eine Verschärfung der Plakatflut erwarten.

Das Interesse an der OB-Wahl ist relativ groß

Das Interesse an der OB-Wahl ist relativ groß. Knapp zwei Wochen vor dem Urnengang sind 63 Prozent der Bevölkerung sehr stark oder stark daran interessiert. Die Anhänger von Kuhn und Rockenbauch weisen dabei mit 81 und 80 Prozent ein stärkeres Interesse auf als jene von Turner (71 Prozent) und Wilhelm (68 Prozent). Die Zahlen lassen auf eine stärkere Beteiligung als 2004 hoffen, als sich im ersten Wahlgang 46 Prozent beteiligt hatten. Immerhin gilt es jetzt, einen neuen OB zu wählen. Um Turners Zwischenstand von 28 Prozent zu bewerten, hilft ein Blick auf die Ergebnisse der letzten OB-Wahl 2004: Damals lag der    Amtsinhaber Wolfgang Schuster (CDU) nach Runde eins mit 43,5 Prozent klar vor Ute Kumpf (SPD) mit 32,8 und Boris Palmer (Grüne) mit 21,5 Prozent. Im zweiten Wahlgang legte Kumpf stärker zu als Schuster, profitierte mit 60 Prozent von Palmers Stimmanteil aber nicht ausreichend von dessen Rückzug. Ein Drittel der Anhänger des Grünen-Bewerbers hatte sich dem zweiten Durchgang versagt. Schuster gewann deshalb mit 53,3 Prozent vor Kumpf (45,2).

Der Vergleich zu früheren Wahlen belegt die schwierige Ausgangslage Turners; immer vorausgesetzt, die noch Unentschiedenen verteilten sich gleichmäßig auf die Bewerber: Der Unternehmer hat es nicht geschafft, die eigenen Anhänger davon zu überzeugen, ihn zu wählen. Bei der Kommunalwahl 2009 entfielen 45,5 Prozent auf die ihn unterstützenden Parteien, bei der Landtagswahl waren es 37,6 Prozent. Zwar würden drei von vier CDU-Sympathisanten ihm bei dieser Wahl ihre Stimmen geben, allerdings nur jeder zweite FDP-Freund. Die Voraussetzung für einen Erfolg ist aber, nicht nur die eigenen Anhänger zu mobilisieren, sondern auch Wähler aus den gegnerischen Lagern zu überzeugen. Aber davon kann derzeit keine Rede sein. Von der SPD sind bisher gerade einmal elf Prozent übergelaufen, von den Grünen sieben Prozent.

Kuhn ist für Anhänger von SPD sowie von CDU und FDP wählbar

Fritz Kuhn steht derzeit komfortabler da, obgleich auch er etwas vom guten Landtagswahlergebnis seiner Partei (34,5 Prozent) entfernt ist und bisher nur 55 Prozent seines Stammpublikums überzeugt hat. Er ist offenbar aber auch für Anhänger von SPD (28 Prozent) sowie von CDU und FDP (je 14 Prozent) wählbar. Bei einem ähnlich gelagerten Wahlausgang am 7. Oktober wäre nun zu erwarten, dass die SPD-Bewerberin Bettina Wilhelm ihre Kandidatur zurückzieht. Sie hat das Potenzial der Sozialdemokraten in der Stadt bereits voll ausschöpft und profitiert kaum davon, die einzige Frau im Rennen zu sein. Bei einem so deutlichen Abstand zu Kuhn wird die SPD ihr zweites Wahlziel zu erreichen versuchen: einen „schwarzen“ Oberbürgermeister zu verhindern.

Auch für Hannes Rockenbauch dürfte mit 13 Prozent nach dem ersten Durchgang Schluss sein, wenn er sich an seine Aussage erinnert, nur mit einer reellen Siegchance weiterzumachen. Damit wäre für Kuhn Wählerpotenzial frei: Jedenfalls hatte jeder dritte Wilhelm- und Rockenbauch-Anhänger bei der Landtagswahl 2011 noch die Grünen gewählt.

Die Bekanntheit des Kandidaten gilt bei der Persönlichkeitswahl als Erfolgsfaktor. Bei diesem Thema liegen die drei aussichtsreichsten Bewerber Kuhn, Wilhelm (je 78 Prozent), und Turner (80 Prozent) fast gleich auf. Rockenbauch kommt auf 63 Prozent. Deutlich weniger bekannt sind die auch in der Öffentlichkeit selten präsenten Piraten-Vertreter Harald Hermann (28) und Jens Loewe (20).

Es treten aber auch Sondereffekte auf

Fritz Kuhn und Hannes Rockenbauch sprechen eher besser gebildete Wahlberechtigte an, Bettina Wilhelm wird überdurchschnittlich durch einfach gebildete Stuttgarter unterstützt. Zwischen der Entscheidung für den Kandidaten und der eigenen Parteienpräferenz gibt es einen Zusammenhang. Es treten aber auch Sondereffekte auf: 23 Prozent der Grünen-Anhänger haben zu Rockenbauch gewechselt, während die Projektkritiker mit SPD-Präferenz fast zur Hälfte Fritz Kuhn wählen wollen.

Der wichtigste Themenkomplex ist Wirtschaft und Arbeit (44 Prozent). Es folgen Schule und Bildung (33 Prozent) sowie bezahlbarer Wohnraum (28 Prozent). Stuttgart 21 kommt erst an vierter Stelle mit 25 Prozent, gefolgt von Kinderbetreuung und Umweltschutz mit 23 und 18 Prozent. Zwei Drittel der Anhänger von Turner halten den Komplex Wirtschaft und Arbeitsplätze für entscheidend. Bei Bettina Wilhelm ist es noch jeder Zweite. Rockenbauch motiviert seine Anhänger am ehesten mit der S-21-Thematik (55 Prozent). Fritz Kuhn sticht dadurch heraus, dass er auf mehreren Themenfeldern mobilisiert: 38 Prozent seiner Wähler halten die Schulpolitik für am wichtigsten, jeweils ein Drittel den Umweltschutz und die Feinstaubproblematik sowie die Wohn- und Mietsituation.