Im Treffpunkt Rotebühlplatz hat die StZ-Redakteurin Andrea Koch-Widmann ihre Beweggründe beschrieben, nicht nur über Flüchtlingsthemen zu schreiben, sondern sich auch ehrenamtlich im Freundeskreis Asyl Ostfildern zu engagieren.

Stuttgart - Im Leben gibt es Schlüsselerlebnisse. Bei Andrea Koch-Widmann, Redakteurin dieser Zeitung, war das der Untergang des ersten großen Flüchtlingsschiffes vor Lampedusa. „Und in den 90er Jahren, als in Kemnat ein Asylbewerber starb, war die rechte Szene stark. Das darf nicht wieder passieren.“ Im Treffpunkt Rotebühlplatz beschrieb sie ihre Beweggründe, nicht nur über Flüchtlingsthemen zu schreiben, sondern sich auch ehrenamtlich im Freundeskreis Asyl Ostfildern zu engagieren. Der existiere seit zwei Jahren, so Koch-Widmann in der Reihe „Stuttgarter Zeitung direkt – VHS Pressecafé“. Ihr Thema „Die Flüchtlingsarbeit vor der eigenen Haustür“ fand große Resonanz.

 

Unter den 16 Sprachlehrern gibt es pensionierte Lehrer

In Ostfildern sollten zunächst bis Ende 2016 rund 700 Geflohene untergebracht werden, so die StZ-Redakteurin. „Bei 38 000 Einwohnern muss das verkraftbar sein.“ Als klar war, dass nach Ruit eine Unterkunft komme, habe sie nachgefragt, bei den Gemeinderäten und dem Oberbürgermeister. „Die Stadt rief einen Runden Tisch ein, über 40 Leute kamen.“ Schließlich habe man mit 20 Leuten einen Verein gegründet. „Nun sind wir 80 Mitglieder, unser E-Mail-Verteiler wächst täglich.“ Trotz Klagen hätte etwa im Stadtteil Scharnhausen, wo im Herbst eine zweite Unterkunft eingerichtet wurde, einen Helferkreis auf die Beine gestellt. „Während die Jüngeren in der Schule Deutsch lernen, bekommen die Älteren ohne Anerkennung keine Sprachkurse, also geben unsere Ehrenamtliche zweimal pro Woche eineinhalb Stunden Deutschunterricht.“ Unter den 16 Sprachlehrern seien auch pensionierte Lehrer. Auch Ausflüge, Essen, Asylcafés und anderes würden organisiert. Die Krux: die Sozialarbeiter und der Heimleiter können nur ein- bis zweimal kommen, sie seien für mehrere Häuser zuständig. „Das Personal wurde aufgestockt, aber aufgrund der Situation ist die Landkreisverwaltung überlastet. Der Heimleiter kann nur zweimal eine halbe Stunde vor Ort sein“, so Koch-Widmann. Damit die Flüchtlinge, die in der Regel für sich selbst kochten und putzten, nicht auf sich alleingestellt seien, sei die Arbeit der Freiwilligen wichtig.

Frau ist Frau, Mann ist Mann

Anfangs seien auch manche skeptisch gewesen, weil nur junge Männer kamen. „Das ist aber schon lange nicht mehr so.“ Auch für die weiblichen Hilfskräfte sei das kein Thema, antwortete sie einer Zuhörerin, die die Stellung der Frau in arabischen Ländern ansprach.

„Die Männer sind höflich und zurückhaltend“, erklärte Koch-Widmann und gab die Frage an einen Flüchtling weiter. „Wie ist das für dich, Sipan, wenn Frauen hier das Sagen haben?“ Der Kurde, der aus Syrien flüchtete und seit Januar in Ostfildern lebt, brachte es in Deutsch auf den Punkt: „Frau ist Frau, Mann ist Mann, das ist egal, wir sind alle nur Menschen.“ Er wolle auf eigenen Beinen stehen, betonte er. Zurzeit besucht Sipan die Friedrich-Ebert-Berufsschule in Esslingen. Er ist bereits mit Deutschen in einer Klasse. Er habe schon zwei Abschlüsse aus Syrien und wolle im nächsten Jahr sein Abitur machen. „Dann will ich studieren, am liebsten Medizin, das geht besser auf Englisch.“ Deutsch sei seine fünfte Sprache. Er und andere helfen bereits, wenn für Neuankömmlinge übersetzt werden muss.