In einer Gruppe in Steinenbronn helfen sich Alkoholkranke gegenseitig, zurück ins Leben zu finden. Der Leiter und ehemalige Pegeltrinker weiß, wovon er spricht: Er ist früher sogar nachts aufgestanden, um Alkohol zu trinken. Die zweieinhalb bis drei Promille mussten gehalten werden.

Steinenbronn - Noch ist die Stimmung ausgelassen, alle umarmen sich zur Begrüßung, es wird gelacht und geschwatzt, Apfelschorle fließt in bunte Becher. Dann ist es plötzlich mucksmäuschenstill, und Karl-Heinz Spangenberg ergreift das Wort. Er ist der Leiter der Suchtgruppe, die sich an diesem Donnerstagabend in Steinenbronn trifft. Ein gutes Dutzend Leute ist da. Das Besondere diesmal: Menschen, die selbst süchtig waren, sitzen neben Angehörigen von Süchtigen. Normalerweise treffen sie sich separat.

 

Ehrlichkeit ist in der Selbsthilfegruppe das A und O

Den Anfang macht ein Blitzlicht, das heißt, dass jeder reihum kurz sagt, was ihn aktuell umtreibt. „Mir geht es nicht so gut, ich glaube bei meinem Mann ist jetzt auch noch eine Depression dazu gekommen“, sagt eine Frau. Eine andere erzählt, dass ihr der Alltag gerade zu viel werde, dann erinnert sie sich selbst an das bereits in der Gruppe Gelernte: „Jetzt musst du aufpassen, achtsamer werden und deine Grenzen wahren.“ Ein Mann hingegen fühlt sich gut, weil sein Sohn die Gesellenprüfung geschafft hat, ein anderer wiederum hat zurzeit mit Schwindel zu kämpfen. Trotzdem lächelt er und sagt: „Ich melde zufriedene Abstinenz.“

Eine Angehörige möchte wissen, woran sie merkt, ob ihr Mann eine richtige Depression habe oder ob sein Verhalten doch eher vom Alkohol kommt. „Seit zwei Wochen liegt er im Bett oder vor dem Fernseher und trinkt vermehrt.“ Es wird nachgehakt und gesagt, dass es viele Arten von Depressionen gibt. „14 Tage sind bei einer Sucht noch relativ wenig“, sagt Karl-Heinz Spangenberg. Die Frau sagt, sie komme nicht mehr an ihren Mann heran, eine Entgiftung oder der Besuch einer Selbsthilfegruppe erscheinen ihr fast unmöglich.

Der Leiter der Suchtgruppe nimmt kein Blatt vor den Mund: „Es muss immer erst was passieren“, sagt er. „Vielleicht merkt er es, wenn es ihn umhaut und er im Krankenhaus liegt.“ Ehrlichkeit ist in der Selbsthilfegruppe das A und O: „Ein Süchtiger merkt gleich, ob man echt ist oder nicht“, sagt Spangenberg. Der 54-Jährige weiß genau, wovon er spricht. Einerseits ist er Angehöriger, seine Partnerin ist trockene Alkoholikerin. Andererseits war er selbst 20 Jahre sogenannter Spiegeltrinker: „Ich musste alle drei Stunden trinken, um meine zweieinhalb bis drei Promille zu halten, ich bin sogar nachts aufgestanden, um zu trinken.“

Hätte er weiter getrunken, wäre er heute tot

Angefangen habe er mit dem Trinken bereits im Alter von 13 Jahren, erst Bier, dann Schnaps. Nach der Arbeit ging er in die Wirtschaft, oft auch danach gleich wieder zur Arbeit. Fatal: Erst durch seinen Pegel wurde er wieder arbeitstauglich: „Ich brauchte um 7 Uhr als Schweißer eine ruhige Hand.“ Die gesundheitlichen Beschwerden wurden immer schlimmer, die Vorstufe zur Fettleber war bereits erreicht. Den Satz seines Arztes hat er noch gut im Ohr: „Wenn Sie so noch sechs Monate weitermachen, landen Sie auf dem Friedhof.“ Der Druck war groß, doch der Weg zur Abstinenz nicht leicht: Er brauchte 15 Entgiftungen und drei Langzeittherapien. „Man lebt lange hinter einer Nebelwand, wenn man nüchtern ist, kommt plötzlich alles auf einmal auf einen zu“, erzählt er. Heute ist er froh und dankbar, dass er es geschafft hat: „Hätte ich weiter getrunken, wäre ich heute tot.“

Maßgeblich helfe ihm bis heute die Selbsthilfegruppe. Doch auch er weiß, dass der Weg, in eine solche Gruppe zu gehen und sich zu öffnen, für viele eine große Hürde ist. Es geht auch viel um Scham an diesem Abend. Ein älterer Herr sagt deutlich: „Ich habe mich ganze fünf Jahre vor mir selbst geschämt, irgendwann ist aber der Knoten geplatzt, und ich war frei.“ Je länger man abstinent sei, desto einfacher werde es. „In der Anfangsphase muss man sehr vorsichtig sein und sich schützen, auch vor Plätzen, an denen Alkohol getrunken wird“, sagt eine Frau. Ihre Sitznachbarin sagt, sie habe sich ihrem Umfeld erst nach vier Jahren anvertraut: „Ich habe gemerkt, ich muss das nicht jedem erzählen, und habe es in meinem eigenen Tempo gemacht.“ Den Umgang mit ihrem Problem habe sie in der Selbsthilfegruppe gelernt. Ihr Resümee, das auch viele der anderen Lebensgeschichten widerspiegelt: „Ich könnte gar nicht mehr ohne euch, ich fühle mich bestärkt, atme auf und weiß, dass ich ich selbst sein kann und dass ich okay bin, so wie ich bin.“