Eine Ausstellung zeigt Kunstwerke von Patienten der Suchtklinik Wilhelmsheim in Oppenweiler. Die Männer und Frauen mussten sich einmal wöchentlich gestalterisch mit dem Alltagsgegenstand Stuhl befassen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Oppenweiler - Oh mein Gott – ich bin doch kein Künstler.“ Solche Gedanken sind wohl den meisten Patienten der Suchtklinik Wilhelmsheim bei Oppenweiler durch den Kopf gegangen als es zu Beginn ihrer Auszeit hieß: Zum Programm gehört für jeden Patienten zwingend immer freitags die Kunsttherapie. „Zu viel Staub hier“, das sei sein erster Gedanke gewesen, erzählt der 42-jährige Restaurantfachmann, der – wie alle Patienten – seinen Namen nicht preisgeben mag. Doch dann hat er sich auf die Aufgaben der beiden Therapeutinnen Lydia Pinocy und Sabine Schmid-Klozenbücher voll eingelassen.

 

Zusammen mit zwei anderen alkohol- beziehungsweise spielsüchtigen Männern erzählt der 42-Jährige aus der Nähe von Nürnberg bei einem kleinen Rundgang von Kunstwerk zu Kunstwerk, was er sich bei seinem Gebilde mit dem Titel „Das Leben ist so!“ gedacht hat. Der Stuhl ist grün angemalt, der Boden, auf dem das Sitzmöbel steht, indes ist knallrot – der rote und der grüne Bereich im Leben. Männchen aus Draht versuchen hinauf zu kommen, manche packen das locker, andere tun sich schwer, wieder andere sind in akuter Absturzgefahr – so also ist das Leben.

Wo ist mein Platz im Leben? Wie fest sitze ich im Sattel?

Alle Patienten hatten die Aufgabe, sich „gestalterisch mit dem Alltagsgegenstand Stuhl“ auseinanderzusetzen. Der Stuhl, sagen die beiden Therapeutinnen, stehe für die Mitte – zwischen Liegen und Stehen, zwischen Passivität und Aktivität, zwischen Ruhe und Wachen. In der Kunsttherapie gehe es auch um Fragen wie diese: Wo ist mein Platz im Leben? Wie fest sitze ich im Sattel? Oder sitze ich womöglich zwischen den Stühlen?

Er sei 43 Jahre alt und Koch, lebe in Tübingen, sagt der zweite Patient während der Vorab-Besichtigung der Kunstausstellung, die offiziell von Montag an zu sehen ist. „Kindheitserinnerungen“ heißt sein Kunstwerk. Der Schulstuhl liegt, von der einen Seite sieht der Betrachter eine Eisenbahn, von der anderen ein Schiff. Er habe die Freitage im Atelier „immer genossen“.

„Es gibt immer einen Weg“

Der dritte Mann im Bunde ist ein 33-jähriger LKW-Fahrer aus Göppingen, er hat mit seinem Team das wohl skurrilste Werk geschaffen: „...hoch hinaus“. Der Babystuhl ist kaum mehr zu erkennen, er hängt hoch oben in einem Baum, sieht aus wie ein Federvieh. Ein altes Daunenkissen von Sabine Schmid-Klozenbücher musste dran glauben. „Hoch hinaus“ – mit diesen Worten könnte man auch das Lebensmotte des 33-Jährigen beschreiben. Er sagt: „Es gibt immer einen Weg“, auch einen, der hinausführe aus der tiefsten Gosse.

Die künstlerische Arbeit soll den Patienten zeigen: Es gibt auch andere Dinge im Leben als Saufen und Glücksspiel. Das scheint – vorerst – gelungen zu sein.