Die Ortsgruppe Weilimdorf der Sudetendeutschen Landsmannschaft besteht seit 64 Jahren. Viele Vertriebene haben sich im Stadtteil Giebel angesiedelt.

Weilimdorf - Ernst Merkl hat ein klares Anliegen, was die Sudetendeutsche Landsmannschaft ihren Mitgliedern vermitteln soll: „Die Vertriebenen sollen sich nicht abschotten, sondern kundig machen, wo sie hier leben und sich auch in die Politik einbringen“, sagt der 87-Jährige. „Wir wollen den Leuten die neue Heimat hier nahe bringen.“ Merkl, der 1950 aus Böhmen vertrieben wurde, war 36 Jahre Vorsitzender der Ortsgruppe Weilimdorf. Im vergangenen Jahr wurde er in seinem Amt von Waltraud Illner abgelöst. Im November wurde die 59-Jährige zusätzlich in die Bundesversammlung der Sudetendeutschen gewählt. Illner selbst wurde in Deutschland geboren, doch ihre Eltern kamen 1946 aus dem Egerland und dem Böhmerwald nach Stuttgart. „Wir sind keine Flüchtlinge und auch keine Migranten, sondern Heimatvertriebene. Wir wurden rausgeschmissen“, betont die Giebelerin.

 

3,2 Millionen Sudetendeutsche wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von der tschechischen Regierung für rechtlos erklärt, ohne Entschädigung enteignet und nach Deutschland und Österreich vertrieben. Der Name „Sudetendeutsche“ ist Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden und wurde zur Sammelbezeichnung für Deutsche aus Böhmen, Mähren und dem früheren Österreichisch-Slowenien. Rund 600 000 von ihnen sind nach Baden-Württemberg geflohen. Auch einige bis heute berühmte Persönlichkeiten gehörten zu den Vertriebenen wie etwa Ferdinand Porsche, Sigmund Freud, Gustav Mahler oder Rainer Maria Rilke. „Das wissen die wenigsten“, bedauert Illner.

Die größte Ortsgruppe in Stuttgart

In Weilimdorf siedelten sich viele Vertriebene – Sudetendeutsche wie auch Donauschwaben und Schlesier – im Stadtteil Giebel an. Die Ortsgruppe ist mit 101 Mitgliedern die größte im Stadtkreis Stuttgart. Den stärksten Zulauf erfuhr die Ortsgruppe in den 80er Jahren. „Danach sind wir durch natürliche Auslese geschrumpft“, sagt Liesbeth Kasper, die viele Jahre als stellvertretende Vorsitzende tätig war. Umso mehr freuen sich die Mitglieder, wenn auch von jüngeren Leuten Interesse an der Tätigkeit der Landsmannschaft aufkommt. „Mein Enkel möchte immer von mir erzählt bekommen, wo und wie wir früher gelebt haben“, sagt Merkl. Die meisten Mitglieder entstammen selbst Vertriebenenfamilien, doch auch ein paar Einheimische stoßen aus Interesse dazu. „Wir sind eine Erlebnisgeneration“, bezeichnet Liesbeth Kasper die Gruppe.

Einmal im Monat trifft sich die Sudetendeutsche Landsmannschaft im Haus der Begegnung. Meistens wird ein bestimmtes Thema ausgewählt, zu dem ein Referent eingeladen wird – manchmal zur Geschichte der Sudetendeutschen, aber auch Vorträge von einem Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes zum Leben im Alter oder von einem Wetterspezialisten über das Klima standen schon auf dem Programm. Hin und wieder wird einfach nur zusammengesessen und geschwätzt. Über drei Jahrzehnte hinweg organisierte die Landsmannschaft alljährlich den Faschingsball. „Von allen Vereinen waren wir lange die aktive Spitze“, erinnert sich Kasper. Bis heute organisiert der Vorstand jedes Jahr eine einwöchige Reise an unterschiedliche Orte. Dieses Jahr wird Brüssel besucht.

Seit sechs Jahren versammeln sich die Sudetendeutschen jedes Jahr am 5. August auf dem Schlossplatz, um der Charta zu gedenken, die 1950 am selben Tag und am selben Ort vor mehr als 100 000 Vertriebenen verlesen wurde. „Darin haben die Heimatvertriebenen erklärt, auf Rache und Vergeltung zu verzichten und stattdessen die Gemeinschaft suchen wollen“, sagt Illner. Bis heute bekenne sich die Landsmannschaft zu der Charta.

Anschrift: Giebelstraße 13 A, 70499 Stuttgart

Telefon: 86 32 58

Mail: illner@sudeten-bw.de

Homepage: www.sudeten-bw.de

Vorsitzende: Waltraud Illner

Gründungsjahr: 1948

Mitgliederzahl: 101