In Stuttgart war Sue Jin Kang eine geschätzte Tänzerin, in ihrer Heimat Seoul leitet sie heute das Koreanische Nationalballett. Foto: Stuttgarter Ballett/Ulrich Beuttenmüller
Einst war Sue Jin Kang ein Publikumsliebling des Stuttgarter Balletts, jetzt setzt sie mit dem Koreanischen Nationalballett Akzente. Was plant sie für ihr Gastspiel in Ludwigsburg?
Bei ihrer Abschiedsvorstellung in Stuttgart flossen reichlich Tränen: Sue Jin Kang hatte sich mit großem Gespür für dramatische Gesten in die Herzen des Stuttgarter Ballettpublikums getanzt. Am 18. und 19. Oktober gibt es ein Wiedersehen. Dann stellt die Ex-Ballerina bei einem Gastspiel im Ludwigsburger Forum das von ihr geleitete Koreanische Nationalballett vor.
Frau Kang, Sie leiten seit 2014 das Koreanische Nationalballett (KNB). Ist das Gastspiel in Ludwigsburg für Sie das erste in Deutschland?
Nein, bereits das dritte unter meiner Direktion. 2016 war das KNB zur Gala „Next Generation“ des Stuttgarter Balletts eingeladen, mit der das 20-Jahr-Jubiläum von Reid Anderson gefeiert wurde. Zu Gast waren damals von früheren Mitgliedern des Stuttgarter Balletts geleitete Kompanien. 2023 tanzten wir „Le Corsaire“ am Hessischen Staatstheater – und nun in Ludwigsburg.
Ist das KNB auch auf anderen europäischen Bühnen gefragt?
Ja, wir waren bereits in Belgrad, Lausanne und Prag zu Gast. Mit dem Tschechischen Nationalballett haben wir 2019 für eine Premiere von Jirí Kyliáns „Forgotten Land“ kooperiert und dort drei Vorstellungen getanzt. Unter der Leitung des tschechischen Choreografen war diese gemeinsame Aufführung ein wichtiger kultureller Austausch.
Warum haben Sie für das aktuelle Gastspiel „Le Corsaire“ und damit einen Klassiker ausgesucht?
Wir tanzen Marius Petipas Ballett in einer Neuinterpretation unseres Solisten Jungbin Song, der „Le Corsaire“ mit ausgeprägtem musikalischem Gespür für ein modernes Publikum gestaltet hat. Er wirft einen neuen Blick auf die Figuren, um die Schablonenhaftigkeit des Originals zu überwinden. Außerdem hat er die drei Akte auf zwei eingedampft.
Das klingt nach viel Tempo…
Diese vitale Erzählstruktur zieht das Publikum in den Bann und sorgt für mehr Drama. Neue Szenen zeigen zudem sehr schön den unverwechselbaren Stil Jungbin Songs. Seit der Premiere 2020 haben wir die Aufführung stets verfeinert, sodass sie zu einem der charakteristischen Repertoirestücke des KNB wurde und seine künstlerische Leistungen gut hervorheben kann.
Das Repertoire des KNB scheint auf den ersten Blick von klassischen Stücken dominiert. Stimmt der Eindruck? Tut sich das koreanische Ballettpublikum schwer mit Zeitgenössischem?
Ich will als Direktorin nicht nur das klassische, sondern auch das zeitgenössische Repertoire weiterentwickeln und einem breiteren Publikum durch Programme wie die KNB Movement Series näherbringen. Hier entdeckte Choreografen geben dem Ensemble wichtige kreative Impulse; seit 2015 haben 25 Choreografen 68 Werke geschaffen. Aber ja: Das koreanische Publikum nimmt die neuen Werke zwar begeistert auf, doch die Mehrheit bevorzugt nach wie vor die Klassiker.
Sue Jin Kang Foto: IMAGO/Newscom /Yonhap News
Wie wichtig ist Ihnen die Verbindung nach Stuttgart? Im KNB-Repertoire trifft man auch auf Choreografen-Namen wie Uwe Scholz, William Forsythe, Christian Spuck…
Stuttgart ist für mich die Mutterstadt des Balletts. Ich habe dort 30 Jahre verbracht, unschätzbare Erfahrungen gesammelt und mich als Tänzerin wie als Künstlerin weiterentwickelt. Viele Künstler, die ich in Stuttgart kennenlernte, habe ich nach Korea eingeladen. Und die Noverre-Abenden inspirierten mich zu einem vergleichbaren Format, das 2025 seinen 10. Geburtstag feiert. So wie einstige Noverre-Talente heute weltweit aktiv sind, erhalten auch die durch die KNB Movement Series entdeckten Choreografen in Korea Aufträge von vielen Organisationen und feiern Erfolge.
In der KNB-Kompanieliste, die immerhin mehr als 60 Tänzer umfasst, findet man nur asiatische Namen. Gibt es Einschränkungen?
Nein, wir akzeptieren Bewerberinnen und Bewerber aller Nationalitäten; bisher haben jedoch noch keine europäischen Tänzer an unseren Auditions teilgenommen.
Info
Termin Das Koreanische Nationalballett gastiert an diesem Samstag (19 Uhr) und Sonntag (17 Uhr) im Ludwigsburger Forum am Schlosspark mit „Le Corsaire“. Tickets gibt es hier.
Künstlerin Sue Jin Kang, 1967 in Seoul geboren, kam 1986 zum Stuttgarter Ballett. Hier avancierte sie zur Ersten Solistin und wurde 2007 zur Kammertänzerin ernannt. 2016 verabschiedete sie sich als Tatjana mit „Onegin“ von der Bühne. Seit 2014 leitet sie das Koreanische Nationalballett.