Südafrika entdeckt seine Liebe zum Belcanto: Die Oper in Kapstadt verfügt über einen der besten Chöre der Welt. Jetzt touren die African Angels durch Deutschland – in der Hoffnung auf eine Karriere in Europa.

Stuttgart - Egal, mit wem man redet: Irgendwann hatte jeder von ihnen eine Art musikalisches Erweckungserlebnis, das ihm jäh die Ohren geöffnet hat für die Schönheit der europäischen Oper. In den Townships von Kapstadt sangen sie Volks- und Kirchenlieder, aber keine Belcanto-Arien. Was Belcanto ist, erfuhren die meisten von ihnen nur durch Zufall. „Mit fünfzehn habe ich im Radio ,Figaro‘ gehört“, erinnert sich Pumeza Matshikiza, die seit drei Jahren fest an der Stuttgarter Oper engagiert ist: „Diese Stimmen waren eine Offenbarung für mich.“ Und ähnlich erging es auch Bukwela Velem und Andile Tshoni, die schlagartig ergriffen und verzaubert waren, als sie auf Kassette die ihnen unvertraute Gesangsweise zum ersten Mal hörten: „Wow! Das war’s. So wollten wir auch singen“, sagen unisono die Sopranistin und der Tenor, die – anders als Pumeza Matshikiza – noch keine Engagements in Europa haben. Davon träumen sie nur.

 

Es ist ja wahr: Südafrika ist ein Land der guten Stimmen! Allerorten wird gesungen, auch jenseits der Touristenwerbung, die mit „Pata Pata“ und dem Löwen, der im Dschungel schläft, Ausländer auf Safari lockt. Tausende von schwarzen Schul- und Kirchenchören künden von diesem noch auszuschöpfenden Potenzial, gerade auch in und um Kapstadt, wo das einzige Opernhaus des Landes steht. Untergebracht ist die Cape Town Opera freilich in einem gesichtslosen, als Multifunktionshalle konzipierten Betonbau aus den siebziger Jahren. Während der Apartheid stand das Haus nur Weißen offen, und hässlich, architektonisch betrachtet, ist es noch immer. Welch ein Glück also, dass es gelegentlich wenigstens im Inneren strahlt, beispielsweise dann, wenn Bukwela Velem und Andile Tsoni ein Konzert geben. Beide Mitte zwanzig und aus ärmlichen Wellblechbuden-Verhältnissen stammend, haben sie denselben biografischen Hintergrund wie fast alle anderen Mitglieder des Kapstadter Opernchors, der 2013 in London zum „besten Opernchor der Welt“ gewählt wurde. Im April geht er nun auf Deutschlandtournee und gastiert unter anderem in Freiburg und Baden-Baden.

Kühnes Potpourri

Um genau zu sein: nur die Hälfte des Chors geht auf Reisen, ein Ensemble von 18 Sängern und Sängerinnen, denen zur Vermarktung das kitschige Label „African Angels“ übergestülpt wurde. Und was diese Engel vom Tafelberg demnächst auf ihrer Tour zu bieten haben, konnte man unlängst schon in der Cape Town Opera vorkosten: ein Zweistundenprogramm, in dem neben Gospel- und Musicalnummern vor allem traditionelle Volkslieder und – erraten – Opernarien zu hören sind. Das klingt nach einem bunten Potpourri der Stile und Kulturen, kühn und unverdaulich, fügt sich im Laufe des Abends aber tatsächlich zu einem harmonischen Ganzen. Und sollte es in dem 1400-Plätze-Saal doch zu Disharmonien gekommen sein, hat man sie zumindest nicht bemerkt. Mit starken Stimmen im folkloristischen Wellness-Ambiente schnurrt die African-Angels-Show als gehobene Unterhaltung wunderbar vor sich hin.

Gounod, Bizet und immer wieder Verdi – allein vom Klavier begleitet lösen sich Glanzstücke des Opernrepertoires im fliegenden Wechsel mit Wiegenliedern der Zulu und Xhosa ab, deren Wärme und Sanftheit alsbald übergeht in die Leidenschaft der Spirituals. A cappella singen die Chorengel „The Battle of Jericho“ und lassen dabei die biblischen Mauern wuchtig einstürzen, während sie beseelt „Oh happy day“ zelebrieren, was das Publikum zum Mitklatschen animiert. Für „Baba Yetu“ klemmen sich die Sänger Bongos zwischen die Beine, bei „Marabini“ reichen sie sich über Kreuz die Hände – und wenn sie die heiter melancholischen afrikanischen Traditionals verlassen und mit klarem Sopran und samtigem Alt, vibrierendem Tenor und vollem Bass ins Finale einbiegen, dringen sie erneut zu einem Klassiker aus Europa vor, zum Champagnerlied aus Johann Strauß’ „Fledermaus“. Merkwürdig nur, dass man dabei keine Zeile des feurig hingeschmetterten Gassenhauers versteht. In welchen Zungen sprechen die Engel da?

Viertelnote? Nie gehört!

„Sie singen in Xhosa“, klärt uns Marvin Kernelle auf, „in ihrer mit Schnalz- und Klicklauten arbeitenden Muttersprache.“ Kernelle muss es wissen. Aufgewachsen in Bonteheuwel, einem von Gangs beherrschten Vorort von Kapstadt, hat es der dreißigjährige Tenor zum Chorleiter der African Angels gebracht. Ein steiniger Weg, wie er sich erinnert. Wer als Jugendlicher in Bonteheuwel seine Freizeit mit Musik statt mit Sport (oder anderem) verbracht und auch außerhalb des Schulchors mit Inbrunst gesungen hat, dazu noch dieses komische Zeug der Weißen, galt als Außenseiter und hatte seinen Spitznamen weg. „Pavarotti“, sagt der hippe Künstler mit der asymmetrischen Frisur, „Pavarotti! Jeder, der sich in den Townships für Opern interessiert, wird so gerufen, noch heute.“

Dass es im schwarzen Südafrika nur so wimmelt von Gesangsgenies, davon ist Kernelle überzeugt. Als Chorleiter ist er federführend an der Nachwuchsarbeit der Cape Town Opera beteiligt. Mehrmals im Jahr schickt das Haus seine Sänger auf zwei- bis dreiwöchige Touren, um in Schulen im Land nachmittägliche Workshops anzubieten. Es ist Grundlagenunterricht, den die Opernleute da geben, es geht um Stimmbildung und Phrasierung – und ums Notenlesen, denn natürlich ist den Kids auf den Dörfern die europäische Notenschrift mit Notenschlüssel und Notenwerten fremd. Der Unterricht ist kostenlos, ebenso wie das Konzert, das sich in aller Regel abends anschließt. Am nächsten Tag reist der Chor dann weiter, zur nächsten Schule, zur nächsten Lektion. „Für Pavarotti geben wir alles. Wir fahren bis zu 250 Kilometer am Tag“, sagt der Chef der African Angels.

Pumeza Matshikiza, die Stimme der Hoffnung

Aber warum rekrutiert die Oper ihren Nachwuchs nur unter der schwarzen Bevölkerung? Fehlt weißen Afrikanern das Talent, um in den Hausproduktionen von „Don Giovanni“ oder „Madama Butterfly“ aufzutreten? Können Weiße nicht singen?

Wenn man diese Frage vor Ort stellt, erhält man ausweichende Antworten. Eine neue Apartheid, Hellhäutige ausgrenzend, existiert in Südafrika nicht, weshalb der verdruckt verschwiegene Grund für die dunkelhäutige Sängerherrlichkeit ein anderer, ein ökonomischer sein muss: Wer es sich finanziell leisten kann, verlässt das Land, absolviert seine Ausbildung in Europa oder den USA und versucht anschließend, dort als Künstler in einem Opernhaus unterzukommen. Und wer es sich nicht leisten kann, weil er aus einem Township kommt, träumt wenigstens davon – so wie die Sänger der African Angels, die fast alle bekennen, dass sie sich nach einer ganz bestimmten Stadt sehnen: nach London.

London ist, neben Stuttgart, der Zweitwohnsitz von Pumeza Matshikiza. Sie hat geschafft, wovon ihre Kollegen unterm Tafelberg noch träumen. Nach dem mit Darlehen finanzierten Musikstudium an der Capetown University konnte sie die Backsteinbuden ihrer Jugend hinter sich lassen. Heute singt die 35 -jährige Sopranistin an den großen Häusern in Europa, nicht nur in Stuttgart, sondern auch in London und Mailand, wo sie demnächst ihr Debüt an der Scala gibt: Im Mai gastiert sie dort in „Inconvenient Truth“, einer Opern-Uraufführung von Giorgio Battistelli. Obwohl sie also gerade international durchstartet, hat sie ihre Heimat nicht vergessen.

„Ich will mein Land an meinem Erfolg teilhaben lassen“, sagt Pumeza Matshikiza. Wie die Cape Town Opera fördert sie mittlerweile mit einem von ihr ins Leben gerufenen Projekt den Musikunterricht in den Townships. Wohl auch deshalb trägt ihre erste, im vergangenen Jahr erschienene CD den programmatischen Titel „Voice of Hope“. Darauf zu hören: Puccini, Mozart und geschnalztes Liedgut der Xhosa. Musikalisch hat die Stuttgarter Opernsängerin mit der Hoffnungsstimme also schon den Boden bereitet für die African Angels, die in den nächsten Wochen durch Deutschland reisen. Vermutlich sitzen dann auch Talentscouts in den Konzertsälen. Zeitverschwendung wäre das nicht.