Südbadischer CDU-Mann Verbaler Eiertanz der CDU um Unaussprechliches

Was wussten sie von den Vorgängen? Innenminister Strobl, Polizeipräsident Rotzinger (ganz rechts) in Freiburg. Foto: dpa/Patrick Seeger

Ein CDU-Mann war wegen einer angeblichen Beziehung zu einer Minderjährigen im Visier der Justiz – auf einen Bericht darüber reagiert die Partei erschüttert. Viele wissen, um wen es geht, aber niemand darf es sagen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Der Name des Parteifreundes hatte einst einen guten Klang. Doch wenn CDU-Leute heute über ihn sprechen – und das tun sie oft –, meiden sie ihn möglichst. Dann ist gequält von „Mister X“ die Rede, vom „Unaussprechlichen“ oder von „Sie wissen schon, wer“.

 

Die Vorsicht ist der Sorge geschuldet, den Betreffenden bloß nicht erkennbar zu machen. Dann nämlich droht juristischer Ärger, der obendrein teuer werden könnte. So haben viele Parteifunktionäre den prominenten Medienanwalt verstanden, der den Mann neuerdings gegenüber seinen einstigen CDU-Freunden und Journalisten vertritt.

Ermittlungen enden ohne Schuldfeststellung

Der Christdemokrat will damit verhindern, dass frühere Ermittlungen gegen ihn weiter öffentlich thematisiert werden. Das ist verständlich, denn nach einem anonymisierten Zeitungsbericht ging es um eine angebliche Beziehung zu einer Minderjährigen. Bei den zwei von der Staatsanwaltschaft Freiburg bis Anfang 2020 geführten Verfahren kam indes kaum etwas heraus: Das eine wurde mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt, das andere gegen eine Geldauflage von angeblich 30 000 Euro. Grundlage war ein Paragraf in der Strafprozessordnung, wonach bei Fällen von geringem Gewicht das öffentliche Interesse an Strafverfolgung auf diese Weise „beseitigt“ werden kann. Eine Schuld wird damit nicht festgestellt, es gilt unverändert die Unschuldsvermutung. Von der Staatsanwaltschaft gibt es keinerlei Auskünfte dazu: „Schutzwürdige private Interessen“ der Beteiligten, so eine Sprecherin, stünden dem entgegen. Auch die Anwältin der Betroffenen äußert sich nicht.

Doch das Strafrecht ist aus Sicht der CDU das eine, das andere sind die Werte der Partei. Mit diesen sei das Verhalten des Mannes, soweit man es aus den Medien kenne, „nicht vereinbar“. So konstatierte es als Erstes der zuständige Kreisverband, der umgehend eine Krisensitzung einberief. So bekräftigte es der Bezirksverband Südbaden, der ebenfalls alarmiert wirkt. „Konsterniert und fassungslos“ habe man den Bericht zur Kenntnis genommen, lässt sich der Vorsitzende Andreas Schwab zitieren. Das geschilderte, dem Mann zur Last gelegte Verhalten sei „nicht akzeptierbar, weil es fundamental in Kontrast zu unseren Grundwerten steht“. Deswegen habe man die Person gebeten, die CDU zu verlassen.

Der Landesverband sei über den Bericht „schockiert“ gewesen, sagt eine Parteisprecherin in Stuttgart. „Wir missbilligen ein derartiges mögliches Verhalten und machen deutlich, dass es keinen Platz in der CDU haben darf.“ Es ist ein verbaler Eiertanz zwischen maximaler Distanzierung und größtmöglicher Vorsicht, weil kein Externer die vollständige Faktenlage kennt. Eine Kommunikation mit dem CDU-Mitglied, das die Partei offenbar keinesfalls verlassen will, scheint es nicht zu geben. Er weise die Vorwürfe zurück, sagt sein Anwalt. Umso mehr brodelt es bei den Christdemokraten.

Auch die Landes-CDU zeigt sich „schockiert“

Ähnlich entsetzt, vermuten CDU-Strategen, hätte die Öffentlichkeit reagiert. Wäre die Enthüllung zur Unzeit gekommen – etwa kurz vor einer Wahl –, hätte das der Partei schwer schaden können. Entsprechend genau wird geschaut, wer wann von dem einstigen Verdacht wusste – und wie er mit diesem Wissen umging. Im Bilde war offenbar der heutige Freiburger CDU-Vorsitzende Bernhard Rotzinger, zur fraglichen Zeit noch Polizeipräsident an der Dreisam. Als solcher werde er „über alle besonderen Fälle informiert“, schrieb Rotzinger in einer persönlichen Erklärung, die er selbst als „etwas verschwurbelt“ einstufte – aus presse- und haftungsrechtlichen Gründen. Seine Pflicht zur Verschwiegenheit reiche über die Dienstzeit hinaus, daran habe er sich stets gehalten. „Mit niemandem in der Freiburger CDU“ habe er über die Sache gesprochen, eine „strafrechtlich relevante Anschuldigung“ sei nie in seinem Beisein erörtert worden.

Der CDU-Kreischef wollte zeitweise zurücktreten

Hätte er den Parteifreund nicht unter vier Augen ansprechen und zum Rückzug bewegen können, wird öfter gefragt. Selbst wenn das zulässig gewesen sein sollte, er tat es nicht. Das Dilemma beschäftigte den Ex-Polizeichef so sehr, dass er als Kreisvorsitzender zurücktreten wollte. Nur: Wie sollte er das begründen, ohne über die Gründe zu sprechen? Nun bleibt der 65-Jährige bis Ende seiner Amtszeit 2023. An das vorgesetzte Innenministerium in Stuttgart hat der Polizeipräsident ebenfalls nichts gemeldet. Grundsätzlich ist das Ressort von Thomas Strobl (CDU) zwar in bestimmten Fällen zu informieren – etwa, wenn diese von den Medien aufgegriffen werden könnten. Gleichwohl sei dies in jedem Einzelfall zu prüfen, sagt ein Sprecher. In der konkreten Angelegenheit habe es eine Vorgabe der Staatsanwaltschaft Freiburg gegeben, „keinerlei Information an Dritte außerhalb des Ermittlungsverfahrens weiterzugeben“. Auf diesem Weg dürfte also auch Strobl nichts erfahren haben.

Justizminister war zum Schweigen verpflichtet

So blieb nur ein Meldeweg nach Stuttgart: der an das Justizministerium, damals von Guido Wolf (CDU) geführt. Konkrete Auskünfte kann eine Ressortsprecherin nicht geben, auch zum „Persönlichkeitsschutz“ der damals angeblich Minderjährigen. Allgemein gebe es eine Berichtspflicht in Fällen, die „weitere Kreise“ ziehen könnten. Die Informationen dienten aber dem „rein dienstlichen Gebrauch“ und seien als Dienstgeheimnis eingestuft, ihre Weitergabe wäre strafbar. „Daran habe ich mich selbstverständlich stets gehalten“, versichert der damalige Minister Wolf allgemein.

Wie gefährlich es sein kann, mit Parteifreunden über Ermittlungen zu sprechen, musste seine Vorvorgängerin Corinna Werwigk-Hertneck erfahren. Weil sie ihrem Kabinettskollegen Walter Döring (FDP) Informationen hatte zukommen lassen, geriet sie ins Visier der Justiz und verlor ihr Amt.

Was wusste Strobls Schwiegervater Schäuble?

Auch den Landesparteichef Strobl hätte Wolf nicht informieren dürfen, dass in Südbaden Ärger dräuen könnte – jedenfalls nicht offiziell. Das dürfte ihm auch deshalb nicht schwergefallen sein, weil der Kontakt ohnehin ziemlich unterkühlt ist. Grund: Bei der Mitgliederbefragung um die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2016 hatte er Strobl klar geschlagen. Ob Strobls Schwiegervater Wolfgang Schäuble von den Ermittlungen wusste, ist nicht zu erfahren. Er selbst äußert sich nicht dazu. Sein Büro verweist an den Bundestag, der nur abstrakte Auskünfte zu den Regularien gibt.

In der südbadischen CDU aber rumort es weiter. Zuletzt gab es Turbulenzen im Ortsverband des Mannes, der bei einer Versammlung die Öffentlichkeit ausschloss. Die Junge Union in Freiburg rief unlängst nach personellen Konsequenzen. Im Visier: Parteimitglieder, die von den Vorwürfen wussten und nicht durch eine Schweigepflicht gebunden waren, aber trotzdem untätig blieben. Solche dürfte es eigentlich nicht geben, wenn sich alle Beteiligten an die Regeln gehalten haben. Doch brisante Informationen sickern zuweilen auf unerfindlichen Wegen durch. Es sei kaum vorstellbar, dass Strobl gar nichts gewusst habe, hieß es aus der Landtags-CDU. Dann aber hätte er als Landeschef einen rechtskonformen Weg finden müssen, um drohenden Schaden von der Partei abzuwenden. Ironie der Sache: Während ihm in der aktuellen Affäre um den Anwaltsbrief zu viel Kommunikation vorgeworfen wird, war es im anderen Fall womöglich zu wenig.

Keine „Likes“ als indirekte Distanzierung

Gerüchte kursierten in Freiburg schon länger, wie die „Badische Zeitung“ unlängst berichtete. Bereits 2018 sei Strobl bei einem Ortstermin auf Ermittlungen gegen einen Parteifreund angesprochen worden. Geantwortet habe er nur abstrakt: „Wir haben eine Aufklärungsquote von 80 Prozent bei Sexualdelikten. Über jeden, den wir nicht fassen, ärgere ich mich.“

Manchen, die etwas wussten oder ahnten, blieb so nur eine unauffällige Form der Distanzierung: Sie verzichteten darauf, Beiträge des Parteifreundes in sozialen Medien – wie sonst in der CDU weit verbreitet – mit einem „Like“ zu versehen.

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