Neue Stromleitungen sind bei den Anwohnern unbeliebt. Die Gegner der Südost-Trasse schöpfen jetzt Hoffnung. Doch so eindeutig wie gedacht ist Gabriels Absage an die bisherige Planung nicht.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Gegner bezeichnen die Stromautobahn aus dem mitteldeutschen Lauchstätt ins bayerische Meitingen häufig als „Monstertrasse“. Bei ihnen hat eine Ankündigung von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Hoffnung geweckt, dass die geplante Leitung nun doch nicht durch ihre Region geführt wird. „Natürlich wird der jetzige Korridor nicht kommen“, hatte Gabriel bei einem Besuch in Nürnberg überraschend erklärt. „Wenn der Staat versuchen würde, das mit gesetzlichen Mitteln durchzusetzen, haben wir jahrelanges Theater und Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht.“

 

Bei den vielen Bürgerinitiativen, die entlang der gut 400 Kilometer langen Strecke Stimmung gegen die Stromautobahn gemacht und 130 000 Unterschriften gegen das Projekt gesammelt haben, werden die Ministerworte begierig aufgesogen. Thüringens Ministerpräsidentin Christiane Lieberknecht (CDU), die in wenigen Wochen Landtagswahlen zu bestehen hat, sieht ihr Bundesland angesichts von Gabriels Erklärung bereits außen vor. „Ich bin jetzt sehr erleichtert darüber, dass sich der Einsatz offensichtlich gelohnt hat“, gab sie zu Protokoll.

Die Politik reagiert auf den Streit um die Trassen (Klicken Sie auf die Grafik für eine größere Ansicht)

Im Detail bleibt Gabriels Vorstoß vage

Doch welche Folgen Gabriels Einlassungen tatsächlich haben, ist derzeit nicht so einfach auszumachen. Sein Haus verweist diplomatisch auf den laufenden Prozess der Netzentwicklungsplanung und betont, dass der Minister in Nürnberg lediglich deutlich gemacht habe, „dass es zu Veränderungen bei den Anfangs- und Endpunkten der geplanten Leitung kommen kann“. Außerdem hat er signalisiert, dass an bestimmten Stellen Erdkabel statt der bisher geplanten Freileitungen verlegt werden können. „Man kann nicht ein kleines Dorf mit einer 380-KV-Freileitung einkreisen“, sagte Gabriel. Stattdessen werde man regional verträgliche Lösungen suchen.

Aber was das für den Trassenverlauf genau bedeuten wird, ist unklar. Denn tatsächlich sind bisher kaum mehr als die Start- und Endpunkte der geplanten Stromautobahnen festgelegt. Die bekannten Trassenkorridore, die in der nebenstehenden Karte eingezeichnet sind, entsprechen technisch fundierten Überlegungen und Berechnungen der Netzbetreiber; sie haben aber keinerlei Verbindlichkeit für den Planungs- und Genehmigungsprozess.

Seekabel nach Skandinavien

Der Minister deutete zudem an, dass die Trasse weiter nach Norden verlängert werden könnte. Sogar Seekabel nach Norwegen und Schweden brachte Gabriel ins Gespräch. Sie könnten in windarmen Zeiten Strom aus nordeuropäischen Wasserkraftwerken nach Deutschland transportieren. Dem Vernehmen nach ist die Erweiterung gen Norden für die Weiterentwicklung der Netze mittel- bis langfristig sowieso ins Auge gefasst.

In der Branche ist zu hören, dass derzeit die Einsprüche und Einwendungen aus der Öffentlichkeitsbeteiligung eingearbeitet und Alternativen für den Netzausbau durchgerechnet würden. Im September werde man klarer sehen. Dann wird wohl die Abstimmung in der Koalition abgeschlossen sein. Allerdings stellen die Netzbetreiber den Bedarf der bisher geplanten Trassen einschließlich der Südost-Leitung nicht in Frage. Um die Stromversorgung nach dem Atomausstieg sicherzustellen, sollen drei große Stromautobahnen – im Technikerjargon heißen sie Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Leitungen (HGÜ) – von Nord nach Süd gebaut werden. Insgesamt gelten – so der Stand des Netzentwicklungsplans 2013 – rund 3400 Kilometer Neubautrasse als notwendig. Die kürzeste dieser Stromautobahnen, die vor allem Windstrom von den Küsten in den Süden Deutschlands liefern sollen, ist die Südost-Passage.

„Diese Trasse steht insgesamt nicht in Frage“

Dort sind die Planungen am weitesten gediehen, und dort ist der Protest bisher am stärksten. Während der bisherigen Konsultationen zur Beteiligung der Öffentlichkeit wurden knapp 26 000 Einwendungen geltend gemacht; rund 22 000 sollen sich dem Vernehmen nach auf die Südost-Trasse bezogen haben.

Auch für den Wirtschafts- und Energiepolitiker der Union im Bundestag, Joachim Pfeiffer, ist die umstrittene Südost-Trasse keineswegs obsolet geworden. „Natürlich gilt weiterhin, dass der Transportbedarf für die Südost-Leitung vorhanden ist. Sie steht insgesamt nicht in Frage“, sagte er der Stuttgarter Zeitung. Den überraschenden Vorstoß des Wirtschaftsministers nimmt Pfeiffer von der sportlichen Seite: „Wir können im Rahmen der Netzentwicklung jedes Jahr nachsteuern“, betont er. „Dabei ist das Bessere natürlich der Feind des Guten.“ Ein mahnendes Wort an Gabriels Adresse will sich Pfeiffer aber doch nicht verkneifen: „Das muss allerdings in einem geordneten Verfahren geschehen und kann nicht auf Zuruf passieren.“