Die Hoffnung, junges Publikum in Scharen ans lineare Fernsehen binden zu können, hat auch der SWR aufgegeben. Bei der jährlichen Vorstellung neuer Programme hat der Südwestsender vieles angekündigt, was via Mediathek, Smartphone-App oder Podcast zu den Nutzern kommt.

Stuttgart - Man kann es Problem oder Herausforderung nennen – die Notwendigkeit für große Medien, in einer vielfach gespaltenen Gesellschaft Nutzerblasen wieder zu einer gesprächsfähigen Gemeinschaft zusammenzuführen. Das Übel, dass die einen abstößt, was die anderen anzieht, war auch beim jährlichen Ausblick des SWR auf seine neuen Programmangebote schwerlich aus dem Sinn zu bekommen.

 

Dabei musste der Intendant Kai Gniffke nicht einmal auf extrem polarisierende Themen zu sprechen kommen, um Gräben aufzuzeigen. Schon die Generationenfrage ist heikel. Die Erwartungen älterer Zuschauer an Inhalte, Formen, Themen und Kanäle sind andere als die einer Generation, die unter erster Liebe einen emotionalen Ausrutscher beim Tinder-Daten versteht. Aber Gniffke strebt nach Höchstem, sein Sender soll „Orientierung, Heimat und Geborgenheit“ geben.

Schöneberger macht’s einfach

Eine Hoffnung, Generationen und Interessengrüppchen zusammenzuführen, ruht auch beim SWR auf der großen Abendshow. Der Knüller des Südwestsenders heißt „Verstehen Sie Spaß?“. Dort folgt nun dem abgetretenen Moderator Guido Cantz Barbara Schöneberger nach. Die redet sich beim SWR-PR-Event fast in Rage, als sie meint, das Recht auf Unterhaltung verteidigen zu müssen. Wie schlimm es auf der Welt zugehe, so die 47-jährige, erfahre man aus den „Tagesthemen“. Vorher habe man das Recht, sich mal 90 Minuten lang zu amüsieren.

Das hat zwar gar niemand in Abrede gestellt. Aber Clemens Bratzler, der für Information, Sport, Fiktion, Dokumentation, Unterhaltung und Service verantwortliche Programmdirektor des SWR, muss der guten Ordnung halber darauf hinweisen, dass eine Folge „Verstehen Sie Spaß“ 180 Minuten dauere. Einen Moment lang wartet man auf das offene Ausbrechen von Nachverhandlungswünschen, aber Schöneberger verbucht die Information tapfer unter der Rubrik „Wird schon werden“. Schließlich hat sie auf die Nachfrage, was sie am Konzept von „Verstehen Sie Spaß?“ beibehalten und was ändern wolle, bekannt, mit solchen Fragen habe sie sich gar nicht erst beschäftigt. Ihr Konzept? „Ich komme als Barbara Schöneberger und mach’s einfach!“

Kein gutherziger Landarzt mehr

Vermutlich glaubt auch beim SWR niemand, dass eine Prank-Show, wie das heutzutage heißt, junges Publikum dauerhaft an den Sender binden kann. Man arbeitet also an neuen Formaten und nimmt sichtlich vom Gedanken Abschied, die Kinder der Streamingwelt noch einmal ans lineare Fernsehen heranzuführen. „Höllgrund“ etwa ist eine schwarzhumorige Schwarzwald-Thrillerserie, die speziell für die Mediathek entwickelt wurde und ganz bewusst am Heimatkitsch rütteln und das Klischee des gutherzigen Landarztes untergraben soll.

„Newszone“ ist eine neue Nachrichten-App, die, so der Sender „auf einfachen Zugang zu News und starke Individualisierbarkeit setzt. 16- bis 25- Jährige auch aus bildungsfernen Schichten, „mit und ohne Migrationshintergrund“, so die Zielvorgabe, sollen angesprochen werden – via Smartphone, also dort abgeholt werden, wo sie sowieso schon sind, wie eine frühere Generation gesagt hätte.

Themenschwerpunkt Flut

Auch das neue Talkformat „MixTalk“ setzt auf Online und auf die Kontaktformen im Netz. Hier sollen nach dem Zufallsprinzip Menschen mit unterschiedlichen Standpunkten, aber ausdrücklich keine Politiker oder Experten, ins Gespräch miteinander gebracht werden – ohne „ Hate und Fake-News“. Wie gut das klappen wird, muss man sehen, haben doch erfolgreiche virale Desinformationskampagnen zu Covid-19 gezeigt, wie schnell Diskussionen in den Sumpf führen, bei denen sich „normale Bürger“ von Sachverständigen abkoppeln.

Ob auch bei den Routiniers eines klaren Werten verpflichteten öffentlich-rechtlichen Senders immer alles richtig läuft, wird wohl im Juli noch mal Thema werden. Dann gestaltet der SWR einen Themenschwerpunkt zur Flutkatastrophe im Ahrtal ein Jahr zuvor. Die Frage, ob man früher und deutlicher hätte warnen können, treibe sein Haus um, so Kai Gniffke. Von Fehlern mag er aber nicht sprechen, und schon gar niemandem Schuld zuweisen. Und er fährt ein scharfes Argument auf: In der Nacht der Katastrophe hätten die Menschen im Ahrtal sowieso keine Gelegenheit mehr gehabt, noch Nachrichten zu hören, es sei ja nicht einmal mehr Strom dagewesen.

Die Notfall-Frage

Es wird dazu auch einen Podcast mit dem Titel „Die Flut“ geben, so wie 2022 überhaupt ein Podcast-Jahr beim SWR werden soll. Vielleicht könnte in diesem Rahmen dann auch der Frage nachgegangen werden, welche Rolle bei künftigen Katastrophen das alte Modell des kleinen, batteriegetriebenen Notfallradios spielen könnte. Und welche Infrastruktur es bräuchte. Digitales Radio via Smartphone jedenfalls funktioniert dort nicht, wo alle Mobilfunkantennen weggeschwemmt sind.