Rainer Klaus fährt nicht nur Rad, er lebt Rad. Eine Strecke zum Mond und zurück hat er schon zurückgelegt, jetzt visiert er den millionsten Kilometer an.

Stuttgart - Neulich, an einem der wenigen Wintertage auf der Schwäbischen Alb, haben ein paar Skifahrer ernsthaft befürchtet, der Höhenkrankheit anheimgefallen zu sein. Das war, als ihnen ein Radfahrer auf der Piste bei Donnstetten entgegengeradelt kam - steil bergauf. Der Entgegenradler ist Rainer Klaus gewesen. Der Mann, dessen Lebensmotto lautet: "Wer das macht, was die Masse macht, wird nie entdecken, wie einzigartig er ist."

 

Eigentlich macht Rainer Klaus nie, was die Masse macht. Gut für ihn, und für die Masse wahrscheinlich auch. Rainer Klaus fährt Rad, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Rainer Klaus lebt Rad - und das schon seit einer knappen Million Kilometer.

Unterm Strich stehen 945.678 Kilometer

Mit elf Jahren hat der heute 48-Jährige angefangen, weiter zu radeln als nur um die nächste Hochwanger Hausecke. Die Kilometer der ersten 15 Jahre hat er anhand von sauber dokumentierten Reifenwechseln und dem regelmäßigen Batterieaustausch am Tacho rekapituliert. Seit 1990 sind die Kilometerangaben akribisch erfasst, zuletzt per GPS. Unterm Strich stehen 945.678 Kilometer. Einzigartig, und die Masse staunt.

Seit der Jahrtausendwende ist kein Jahr vergangen, an dem der Ausdauerradler nicht mindestens den Erdumfang unter die Reifen genommen hätte. Lediglich vor drei Jahren war Rainer Klaus geradewegs in ein Motivationsloch geradelt. "Mein Ziel war immer, es mit dem Fahrrad zum Mond, einmal rum und wieder zurück zu schaffen. Als es so weit war, war kurz die Luft raus", erinnert er sich. Inzwischen hat er sich neu motiviert. "Bis zu meinem 50. Geburtstag will ich die Million geschafft haben", sagt er. Für die fehlenden 55.000 Kilometer hat er noch eineinhalb Jahre Zeit. Das verspricht, gemessen an seinen Maßstäben, ein gemütliches Ausrollen zu werden.


Nicht ganz so gemütlich war das letzte große Projekt, das Rainer Klaus in Angriff genommen hatte. Im Juni 2009 ist er in 28 Tagen, elf Stunden und zehn Minuten die 7630 Kilometer von Hochwang zum Nordkap und zurück geradelt. Das entspricht einem Tagesschnitt von beinahe 270 Kilometern. Allein, mit einem Minimum an Gepäck und die meiste Zeit bei einem Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Türe jagen würde. Mitte der 1990er Jahre ist er beim Race Across America mitgefahren. Von Küste zu Küste, quer durch den Kontinent. Fünfter ist er damals geworden, als Neuling. Einmal ist er noch, der Vollständigkeit halber, längs durch die Neue Welt geradelt. Great Divide heißt die Mut- und Ausdauerprüfung, die den Soloradler 4000 Kilometer an der Wasserscheide zwischen dem Pazifik und dem Atlantik entlanggeführt hat. 18 Tage und 70.000 Höhenmeter nach dem Start in Kanada ist Rainer Klaus als Gesamtdritter in Mexiko angekommen. Beim Versuch, den australischen Kontinent zu durchqueren, ist er auf Rekordkurs liegend schwer gestürzt. Eine Beutelratte oder ein Wildhund war ihm nachts ins Rad gelaufen.

Und dann ist da noch der Rekord vor der eigenen Haustüre. Im Juli 1996 hat Rainer Klaus an einem Tag 59-mal die Hochwangsteige-4,5 Kilometer, 262 Höhenmeter-bezwungen. Das macht 15.458 Höhenmeter in 24 Stunden und gilt noch immer als Weltrekord.

An einem Tag nach Berlin? Geht doch

Trotzdem ist er nie um der Rekorde willen geradelt. Sie sind das Abfallprodukt einer Lebenseinstellung, die das Erleben in den Mittelpunkt stellt. Für ihn ist das Fahrrad das Instrument, um seine Ziele zu verwirklichen. An einem Tag nach Berlin? Geht doch. 24 Stunden im 30er-Schnitt runterkurbeln-kein Problem.

Die grenzenlose Freiheit, die er sich kraft seiner Beinmuskeln erobert, ist ohne Risiken und Nebenwirkungen. "Ich will aus eigener Kraft von A nach B kommen, ohne dass Natur, Leben, Umwelt und Tiere deswegen auf der Strecke bleiben", sagt er. Das Bemühen, den eigenen ökologischen Fussabtritt auf dieser Welt so klein wie möglich zu halten, dient Rainer Klaus auch als Leitmotiv jenseits des Fahrradsattels. Nichts wird unnötig angeschafft, nichts wird weggeworfen. Wenn ein Ritzel abgefahren ist, wird es andersherum montiert. Wenn es dann wieder am Ende ist, werden die Zähne nachgeschliffen-das reicht erneut für ein paar Hundert Kilometer.

Der Keller in seinem Reihenhäusle würde jedem Museum Ehre machen. Seine Fangemeinde ist überzeugt davon, dass er jede Fahrradschraube beim Vornamen kennt und um die Lebensdauer eines jeden beliebigen Tretlagers in Abhängigkeit von Temperatur, Feuchtigkeit, Luftdruck und Mondphase weiß. Letzteres ist natürlich übertrieben. Obwohl: ist jemandem, der in einem halben Leben eine Million Kilometer runterradelt, nicht alles zuzutrauen?


Athlet: Rainer Klaus hat Meteorologie studiert und Kaufmann gelernt, bevor er seiner Berufung nachgegeben hat. Als Extremradfahrer und Buchautor hält er Vorträge über seine Unternehmungen (www.kingcrab.de). Neben der beeindruckenden Radleistung läuft der 48-Jährige pro Jahr bis zu 2000 Kilometer.

Vorträge: Am Freitag, 13. Januar, berichtet Rainer Klaus in der Bernhardskapelle Owen von seiner Tour von Kanada nach Mexiko (Beginn: 19.30 Uhr). Das Nordkapsolo gibt es am 31.März um 19 Uhr bei den Naturfreunden Reutlingen im Vereinsheim Römerschanze. adt