Rund um Stuttgart gibt es viele Superlative. Die höchst- und tiefstgelegenen Orte haben etwas gemein: eine meteorologische Vorzugsbehandlung.  

Hohenstadt - Günter Riebort, der Bürgermeister von Hohenstadt im Kreis Göppingen, blickt von hoher Warte auf das Stuttgarter Umland herunter. Von seiner auf der Schwäbischen Alb gelegenen Gemeinde aus geht es regional betrachtet nur noch abwärts. Hohenstadt ist mit 827 Metern über Normalnull das höchstgelegene Dorf in der Region. Woher der Schultes das weiß? Die Journalistenfrage bringt Riebort kurz aus dem Konzept. "Keine Ahnung. Das steht doch überall", sagt er.

 

Dem Schultes zur Beruhigung: es stimmt, was überall geschrieben steht. Als König Wilhelm I. anno 1818 seine Landvermesser im Königreich Württemberg aussandte, auf dass sie Länge und Breite der schwäbischen Stückle nach wissenschaftlichen Methoden festhalten sollten, hatte es mit den über den Daumen gepeilten Grundstücksgrößen erst einmal ein Ende, obwohl die königlichen Geometer noch nicht mit exakten Höhenangaben dienen konnten.

Die trigonometrischen Höhenaufnahmen gab es erst von 1859 an. Und ein systematisches geometrisches Nivellement, auf dessen Basis die Vermessergeneration der Gegenwart die Höhe eines Geländepunkts mit einer Abweichung von weniger als einem Millimeter bestimmen kann, ist erst seit dem Jahr 1868 bekannt. Aber sei's drum: die moderne Wissenschaft bestätigt ohnehin nur, was die alten Lateiner schon wussten. Nomen est omen! Höher als Hohenstadt ist nicht. Mehr noch: im Flurstück 1359, unmittelbar an der Kreisgrenze zum Alb-Donau-Kreis, liegt nebenbei auch der mit 837,6 Metern höchste Punkt der gesamten Region Stuttgart.

Hohenstädter Wetterstation von Jörg Kachelmann eingeführt

837,6 Meter sind auch im nationalen Vergleich eine Hausnummer. Oberstdorf, einer der bekanntesten deutschen Wintersportorte in den Allgäuer Alpen, schafft gerade mal schlappe 813 Meter. Die höchstgelegene selbstständige Gemeinde Deutschlands ist Balderschwang, ebenfalls im Allgäu gelegen, deren 220 Einwohner auf 1044 Metern (über)leben.

"Hohenstadt ist rau, aber herzlich." Zu dieser Einschätzung ist Bürgermeister Riebort nach vier Jahren Amtszeit gelangt. Der gebürtige Hamburger fühlt sich, abgesehen vom fehlenden Meer, auf der Alb bisweilen an seine Heimat erinnert. Rau, aber herzlich sind Einwohner wie Wetter. Letzteres hat Hohenstadt immerhin schon eine Aufwartung des damals noch ganz oben auf der Popularitätsleiter verkündenden Wetterfroschs Jörg Kachelmann beschert.

Vor elf Jahren hat der Meteorologe die Wetterstation Hohenstadt in Betrieb genommen. Die computervernetzte Welt weiß daher, dass die Sonne in diesem November sagenhafte 156,3 Stunden über dem Albflecken gestrahlt hat. Im Stuttgarter Talkessel haben sie heuer, im Jahrhundertherbst 2011, schon über 138 Sonnenstunden gejubelt.

Tiefste Punkt bei Kirchheim am Neckar

Die Altvorderen haben ihre geometrische Fleißarbeit kurz darauf genutzt, um den Eisenbahnbau im Land voranzutreiben. Hier schließt sich zumindest für Hohenstadt ein Kreis. Wenn es denn wahr wird, verläuft die künftige ICE-Trasse zwischen Stuttgart und Ulm genau 750 Meter lang auf, und 2825 Meter lang unter Hohenstadter Grund und Boden. Von der Schnellbahntrasse profitieren die Älbler allerdings nicht. Ein Bahnhof Hohenstadt ist nicht geplant.

Kirchheim am Neckar hingegen hat seit dem Jahr 1846 einen Zuganschluss. Um nahe der 5200 Einwohner zählenden Gemeinde den tiefsten Punkt der Region zu verorten, braucht es keine Nivelliergeräte, kein GPS und auch keine mathematische Formelsammlung. Es reicht die Logik. Das Wasser, der Schwerkraft folgend, weist den Weg. Solange der Neckar, die Lebensader der Region, nicht bergauf fließt, liegt der tiefste Punkt der Landschaft dort, wo das Neckarwasser den Kreis Ludwigsburg verlässt und Heilbronner Gefilde netzt.

Das ist wenige Kilometer nördlich der letzten Häuser von Kirchheim am Neckar. 178 Meter über dem Nullpunkt liegt die Weinbaugemeinde selbst-der Tiefpunkt in der Fahrrinne demnach ein paar Meter darunter. Wie Hohenstadt so profitiert auch Kirchheim von der Gunst seiner Lage. Während droben auf der Alb die Sonne scheint, funkelt sie drunten am Neckar im Weinglas. Der in den Steillagen Kirchheims gewonnene Stromberger wärmt die Seele auch am trübsten Novembertag.

Stellwerk der Bimmelbahn steht unter Denkmalschutz

Des Profils wegen erfreuen sich die Flusstäler auch bei Genussradlern großer Beliebtheit. In Kirchheim begegnen sich zwei nationale Fernradrouten. Der Enztalrad- mündet hier in den Neckartalradweg.

Und schon wieder ist es die Eisenbahn, die ein einendes Band zwischen der höchsten und der tiefsten Gemeinde in der Region knüpft. Während sich in Hohenstadt die Zukunft bald durch das Albgestein frisst, schmückt sich Kirchheim seit dem Jahr 1893 mit einem Zeitzeugen aus den Anfängen der schwäbischen Bimmelbahn. Das historische Stellwerk steht nicht nur auf Stelzen, sondern auch unter Denkmalschutz und bewacht den Nordeingang des Landschaftsparks Neckar.

Am Montag zeigen wir Ihnen, wo die ältesten Naturschutzgebiete in der Region liegen.

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