Der geschützte Favoritewald bei Ludwigsburg ist ein sicherer Hafen für Tiere und Pflanzen. Der Weg dahin war jedoch lang und zum Teil steinig.

Stuttgart - Dass die Menschen in früheren Jahrhunderten im harmonischen Einklang mit der Natur gelebt haben, ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Richtig ist: die Wälder in der Nähe Stuttgarts wurden lange Zeit intensiv genutzt - Pächter schlugen Holz und trieben ihre Rinder und Schweine unter die Bäume, die Tiere fraßen dort nicht nur die Eicheln, sondern knabberten auch junge Triebe ab. Als Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1797 durch den Schönbuch reiste, sah er statt eines zusammenhängenden Waldes dort nur noch "einzelne Eichbäume". Übrig blieben allein mächtige Buchen oder Eichen, die zu groß zum Fällen oder Fressen waren.

 

Was Goethe im Schönbuch beobachtete, galt seinerzeit genauso für den Favoritewald bei Ludwigsburg. Auch dieser war jahrhundertelang als "Hudewald", also als Hütewald, genutzt worden. Die Rettung für das Waldstückchen kam dann durch den Württembergischen Herzog Eberhard Ludwig, dem die Stadt Ludwigsburg den Namen und die Gründung zu verdanken hat.

Gesetze aus der NS-Zeit bestehen noch heute

Er ließ von 1717 an ein barockes Jagdschlösschen bauen, das Schloss Favorite nördlich des Residenzschlosses. Das umliegende Waldstück, damals noch Mönchwald genannt, ließ er bereits im Jahr 1707 umzäunen. Vermutlich hatte der Herzog dabei wohl weniger den allgemeinen Artenschutz im Sinn als vielmehr die Erhaltung eines idyllischen Rückzugsorts für sich und seinen Hofstaat. Trotzdem schuf er durch die Umzäunung das älteste Naturschutzgebiet des heutigen Baden-Württemberg.

Bis in Deutschland ein modernes Naturschutzgesetz geschaffen wurde, sollten allerdings noch mehr als zwei Jahrhunderte vergehen. Die Nationalsozialisten griffen Gesetzentwürfe aus der Zeit der Weimarer Republik auf und verabschiedeten im Jahr 1936 das Reichsnaturschutzgesetz.

Entsprechende Bestrebungen lassen sich allerdings bereits auf das 19. Jahrhundert zurückführen: Als Gegenbewegung zu Verstädterung und Industrialisierung hatten Menschen damals angefangen, den systematischen Schutz der Natur zu propagieren. Die Nazis griffen diese Bestrebungen auf - verbrämt mit ihrer nationalistischen Ideologie, beispielsweise der Erhaltung des "deutschen Waldes". Mehrere Gesetze von damals bestehen noch bis heute.

Gebieten sieht man Vergangenheit an

Kurz nach der Verabschiedung des Reichsnaturschutzgesetzes wurden in der Region Stuttgart innerhalb weniger Monate zahlreiche Naturschutzgebiete ausgewiesen. Das erste davon war am 23. August 1937 der Eisenbachhain, ein gut acht Hektar großes Waldstück des insgesamt 7000 Hektar großen Schönbuchs.

Interessanterweise hatte der Eisenbachhain, der kurz hinter der Böblinger Kreisgrenze im Landkreis Tübingen liegt, genau wie der Favoritewald bei Ludwigsburg, jahrhundertelang dem Füttern von Rindern, Schafen und Schweinen gedient. "Bis zu 20.000 Stück Vieh wurden damals regelmäßig in den Wald getrieben", berichtet Götz von Bülow, einer der leitenden Förster beim Landratsamt Tübingen.

Am 1. Oktober 1937 wurde dann auch der 72 Hektar große Favoritewald zum "modernen" Naturschutzgebiet erklärt. Die Vergangenheit als Hudewald sieht man beiden Gebieten bis heute an: Es dominieren jahrhundertealte Buchen und Eichen mit mächtigen Stämmen, zwischen denen jüngere Bäume erst in den letzten Jahrzehnten emporgewachsen sind.

Viele Tiere lassen sich aus der Hand füttern

Heute bieten die Naturschutzgebiete Pflanzen und Tieren einen Zufluchtsort in der hochindustrialisierten Region Stuttgart. In dem umzäunten Favoritepark findet man Damhirsche, weiß gefleckte Axishirsche und Mufflons mit schneckenförmigen Hörnern, außerdem Füchse, Marder, Hasen und Spechte. Viele Tiere sind an die Menschen gewöhnt und lassen sich aus der Hand füttern. Auch Eichhörnchen zeigen keine Scheu. Im Eisenbachhain hingegen sind Zäune genauso tabu wie andere menschliche Eingriffe. Dieses Naturschutzgebiet ist bereits seit mehr als 40 Jahren zusätzlich ein Bannwald. Die wirtschaftliche Nutzung ist verboten, auch altes Gehölz wird nicht gefällt.

"Ein toter Baum bietet mit seinen Höhlen vielen Tierarten Unterschlupf", erklärt der Förster Götz von Bülow. "Dort ziehen dann Hornissen, Waldbienen und Waldkäuze ein". Oder Spechte: Als die französischen Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg einen Teil des Schönbuchs als Reparationsleistung abholzten, sagt von Bülow, seien alle Spechte aus der Gegend in den Eisenbachhain geflüchtet.

Besuch in geschützter Natur

Schönbuch: Der Eisenbachhain ist für Besucher normalerweise nicht zugänglich - sowohl aus Naturschutz- als auch aus Sicherheitsgründen. Insbesondere bei Wind und Stürmen können alte Bäume umfallen. Der Förster Götz von Bülow bietet aber Führungen an. Die nächste findet erst im Sommer statt. Wer sich den Termin schon vormerken möchte: Freitag, 20. Juli, um 17 Uhr. Der Treffpunkt ist an der Stadtreiterhütte südlich von Dettenhausen an der B464.

Ludwigsburg: Das Jagdschloss Favorite nördlich des Ludwigsburger Residenzschlosses ist von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 12 Uhr und von 13.30 bis 16 Uhr geöffnet. Der Wildpark um das Schloss öffnet morgens um 9 Uhr und schließt bei Sonnenuntergang. Der Ludwigsburger Stadtführer bietet Führungen speziell durch den Park an. Die nächste ist am Freitag, 18.März, um 11 Uhr am Haupteingang des Favoriteparks (Kiosk in der Marbacher Straße).

Statistik: In Baden-Württemberg existieren heute insgesamt 1036 Naturschutzgebiete - sie machen insgesamt 2,4 Prozent der Landesfläche aus. Nationalparks gibt es im Südwesten bislang nicht, stattdessen Naturparks wie den 156Quadratkilometer großen Schönbuch südwestlich von Stuttgart. Hier sind die Naturschutzauflagen weniger streng als in einem Nationalpark - Letzteres könnte bald im Nordschwarzwald entstehen.