Das Schauspiel Köln und der Westdeutsche Rundfunk bringen „Supernerds“ auf die Bühne und in die Medien – einen crossmedialen Überwachungsabend.

Köln - Erstaunlicherweise blieben bei dieser ausverkauften Premiere im Schauspiel Köln Plätze leer. Bekamen es Abonnenten mit der Angst zu tun? Immerhin waren Attacken auf das Privatleben der Zuschauer angekündigt. Sie sollten am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie Überwachung funktioniert. Wer die Aufführung „Supernerds“ besuchen will, muss sich mit Adresse, Geburtsdatum, Telefonnummer und E-Mail-Adresse anmelden. Wenn er Pech hat, wird er mit Mails und Anrufen traktiert, die ihm vorgaukeln, Teil einer Verschwörung zu sein. Mutiert damit das Theater selbst zum „Big Brother“?

 

Nein, Theaterbesucher müssen wirklich keine Angst haben! Was an diesem Abend mit ihren Handys passiert, ist harmlos – und gibt doch zu denken. Da klingelt es mal bei den Rechts-, dann bei den Linksrheinischen, die in der Überzahl waren und zu den wohlhabenderen Bürgern der Stadt Köln gehören. Das ist ja nicht neu. Aber dass man sich in das Smartphone eines Zuschauers einschleichen und mit seiner Kamera die Nachbarn abfilmen kann, war nicht nur für den Handybesitzer ein Schock.

„Supernerd“ ist ein „crossmedial“ angelegtes Projekt vom Schauspiel Köln und dem Westdeutschen Rundfunk, das den Nutzern die Dimensionen und Gefahren der Überwachung bewusst machen will. Auf www.supernerds.tv konnte man im Vorfeld an einem „Suddenlife Game“ teilnehmen, um dann – immerhin vorgewarnt – geheimnisvolle Botschaften zu erhalten. Am Premierenabend produzierte der WDR eine TV-Sendung aus dem Schauspiel Köln, die Moderatorin Bettina Böttinger greift auch in den Theaterabend ein, der überdies vom Kulturradio WDR 3 live übertragen wurde. Aber worum geht es genau?

Whistleblower als moderne Widerstandskämpfer

Für die Autorin und Regisseurin Angela Richter sind Whistleblower wie Julian Assange und Edward Snowden die Widerstandskämpfer unserer Zeit. Interviews mit ihnen (siehe Infokasten) lieferten die Texte des Abends.

Auf der Bühne, zwischen Pappkameraden, die die Popikonen unserer Zeit darstellen, schlüpfen Schauspieler in die Rolle der heldenhaften „Verräter“. Tatsächlich gibt es zu „Whistleblower“ keine deutsche Entsprechung, das stellte schon Daniel Ellsberg fest, der 1971 geheime Papiere des Pentagon der Presse zuspielte und damit zum Ende des Vietnamkriegs beitrug. Das Interview wird tanzend gespielt wie eine Szene aus „Ginger and Fred“: Die Fassade der harmlosen USA im Kontrast zu den Aussagen des ehemaligen Mitarbeiters des Verteidigungsministeriums. Wer es wagte, dem Pentagon oder der NSA die Stirn zu bieten, wird eingeschüchtert, angegriffen und eingesperrt.

Ellsberg erklärt sich solidarisch mit der jungen Generation der Wikileaks-Aktivisten und scheut kein Pathos, um den Mut dieser Einzelkämpfer hervorzuheben. So zitiert er ein Gedicht von Albrecht Haushofer, der als Kurier an der Stauffenberg-Verschwörung beteiligt war: „Ich hab gewarnt – nicht hart genug und klar! Und heute weiß ich, was ich schuldig war . . .“

Whistleblower, so entsteht der Eindruck im Laufe des Abends, sind auch die Märtyrer von heute. Erschütternd die Schikanen, die die Juristin Jesselyn Raddack erdulden musste, weil sie auf einem fairen Prozess gegen einen mutmaßlichen Terroristen bestand. Berührend der traurige Monolog von Bradley Manning, der es als Nachrichtenanalyst im Irak nicht mehr aushielt, Mitwissender der Untaten der US-Armee zu sein. Er hatte das Video der „Collateral Murder“ geleakt, das Soldaten im Hubschrauber zeigt, die Jagd auf Zivilisten machten. Der Text stammt aus einem Chat, mit dem sich Manning damals Luft verschaffte, er litt außerdem daran, eine Frau im Männerkörper zu sein. Heute darf er als Frau leben – und sitzt im Gefängnis, wie viele andere Aktivisten von Wikileaks.

Edward Snowden lebt bekanntlich im Exil in Moskau; am Schauspiel Köln wurde eine Frau gesucht, die ihn heiraten will, damit er nach Deutschland kommen kann. Gefangen ist natürlich auch Julian Assange. Angela Richter beschwört im Interview mit Bettina Böttinger – in der parallel laufenden Fernsehsendung – seine Situation: Seit tausend Tagen lebe er nun auf zwanzig Quadratmetern in der ecuadorianischen Botschaft in London, ohne Balkon oder Gartenzugang, er habe also seit bald drei Jahren buchstäblich das Licht der Sonne nicht gesehen.

Keine Opfer, sondern Mittäter

Assange darf aber Besucher empfangen und Interviews geben; am Theaterabend in Köln sogar live: wie aus dem Nichts erschien er als 3-D-Hologramm auf der Bühne und antwortete auf die Fragen der Moderatorin Bettina Böttinger. Seiner Ansicht nach gehen wir vom Überwachungsstaat zu einer Überwachungsgesellschaft über, wir sind also nicht Opfer, sondern Mittäter. Dies klarzumachen, ist das Ziel der „Supernerds“. Bei einer Umfrage sprachen sich 97 Prozent des Publikums dagegen aus, für mehr Sicherheit ihre persönlichen Daten offenzulegen. In Wirklichkeit geben wir viele Daten beim Einkaufen und zum Spaß unbedenklich preis.

Aber war Julian Assange wirklich live im Interview bei den „Supernerds“ dabei? Im Theater und erst recht in den Medien ist viel Fake möglich. Was war hier Spiel, was Wirklichkeit? Die strengen Sicherheitskontrollen beim Eingang waren lasch, man konnte einfach daran vorbeigehen. Man war auch nicht gezwungen, sein Handy einzuschalten. Der Netzjournalist Richard Gutjahr erklärte zwar verständlich und engagiert, wie digitale Überwachung funktioniert, aber dass das nun alles live geschah, wurde nur durch die Pannen bewiesen. Und sogar die kann man inszenieren.

„Supernerds“ – bloß ein Spiel? Wirklich ernst wird es, wenn Angela Richter ihre Gesprächspartner zu Wort kommen lässt. Da hat das Theater die Nase vorn, denn es nimmt sich Zeit, den Whistleblowern zuzuhören und kann sie durch die Schauspieler dem Publikum nahebringen.