Lange zögerte die weltbekannte Autorin Alexijewitsch, ihre Heimat zu verlassen. Aber der Druck des Apparats von Machthaber Lukaschenko wuchs zuletzt immer mehr. Nach ihrer Ankunft in Berlin hat sie einiges vor. Aber wird sie nach Minsk zurückkehren?

Minsk - Nach massivem Druck des Apparats von Staatschef Alexander Lukaschenko hat die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch ihre Heimat Belarus (Weißrussland) verlassen. Die 72-Jährige flog nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am Montag an Bord einer Maschine der belarussischen Fluggesellschaft Belavia nach Deutschland und landete in Berlin-Schönefeld. Die gesundheitlich angeschlagene Autorin gehört zu den schärfsten Kritikern Lukaschenkos. Sie forderte immer wieder seinen Rücktritt - fühlte sich zuletzt aber bedroht von den Behörden in „Europas letzter Diktatur“, wie Gegner Lukaschenkos das Land nennen.

 

Die international bekannte Schriftstellerin hatte sich als Mitglied im Präsidium des von der Opposition gegründeten Koordinierungsrates für einen friedlichen Machtübergang in ihrem Land engagiert. Wegen ihrer Funktion in dem Gremium war sie unlängst auch von den Ermittlern vorgeladen worden. Der belarussische Generalstaatsanwalt Alexander Konjuk hatte den Koordinierungsrat für illegal erklärt und ihm den Versuch der Machtergreifung vorgeworfen.

Alexijewitsch musste deshalb befürchten, wie ihre Mitstreiter strafrechtlich verfolgt zu werden. Von den sieben Mitgliedern des Präsidiums war sie neben dem unlängst aus der Haft entlassenen Gewerkschafter Sergej Dylewski die einzige, die in Minsk noch in Freiheit war. Die übrigen Mitglieder, darunter Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa, sind in Haft oder - wie der frühere Kulturminister Pawel Latuschko - ebenfalls ins Ausland ausgereist.

Viele Angebote aus dem Ausland

Botschafter europäischer Staaten, aber auch der Koordinierungsrat und Journalisten hatten befürchtet, dass die gesundheitlich angeschlagene Alexijewitsch womöglich ebenfalls in Haft kommen könnte. Westliche Diplomaten setzten sich zuletzt für ihren Schutz ein, sie richteten auch einen Bereitschaftsdienst ein, nachdem die Schriftstellerin sich in ihrer Wohnung in Minsk von den Behörden bedroht gefühlt hatte. Alexijewitsch erhielt viele Angebote aus dem Ausland, sich in Sicherheit zu bringen. Das hat sie lange abgelehnt.

Die politisch engagierte Autorin wolle nach ihrer Ausreise nach Deutschland bald in ihre Heimat Belarus zurückkehren. Das sagte ihre Assistentin Tatjana Tjurina dem Minsker Nachrichtenportal tut.by. Es handele sich nicht um eine Emigration. Ihre Rückkehr sei aber abhängig von der Lage in Belarus. Die Schriftstellerin wolle in Schweden eine Buchmesse besuchen und in Sizilien eine Auszeichnung entgegennehmen, sagte Tjurina.

Alexijewitsch hatte Swetlana Tichanowskaja als Gegnerin Lukaschenkos bei der Wahl unterstützt. Die Autorin ergriff dann auch Partei für die friedlichen Proteste gegen Lukaschenko. Bei der neuen großen Sonntagsdemonstration gegen Lukaschenko waren rund 100 000 Menschen auf die Straßen gegangenen, um den Rücktritt des Politiker nach 26 Jahren an der Macht zu fordern. Der 66-Jährige hatte sich nach einer als maßlos gefälscht kritisierten Präsidentenwahl am 9. August zum Sieger erklären lassen. Bei den Protesten am Sonntag gab es einmal mehr rund 350 Festnahmen, wie das Innenministerium in Minsk mitteilte.

Friedenspreisträger solidarisieren sich mit Autorin

Auch Friedenspreisträger aus aller Welt hatten sich mit der Autorin solidarisiert und ihren Mut gewürdigt. „Sie hat nichts anderes getan als das, wofür sie mit dem Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels im Jahre 2013 ausgezeichnet worden ist: die Wahrheit auszusprechen und ihre Stimme all jenen zu leihen, die sich auflehnen gegen Erniedrigung“, hieß es in der Erklärung. „Wir solidarisieren uns mit Swetlana Alexijewitsch und ihren Gefährt*innen vom Koordinationsrat und fordern die Einstellung der Einschüchterung, der Terrormaßnahmen gegen sie wie gegen die bisher so friedlich verlaufene Bewegung des belarussischen Volkes.“

Alexijewitsch meldete sich oft zu Wort: „Erst haben sie uns das Land gestohlen, jetzt greifen sie die Besten von uns auf“, sagte sie. Aber es kämen Hunderte andere an ihrer Stelle. Das Land bäume sich auf gegen den Machtapparat. Es gehe hier aber nicht um einen Umsturz, wie von Lukaschenko behauptet. „Wir wollten keine Spaltung in unserem Land. Wir wollten, dass in der Gesellschaft ein Dialog beginnt.“ Es gingen auch Menschen mit kleinen Kindern auf die Straße, weil sie fest vom Sieg überzeugt seien.

Dagegen hatte Lukaschenko immer wieder erklärt, seine Macht notfalls unter Einsatz des Militärs zu verteidigen. Dialog mit der Opposition lehnte er ab. Er hatte sich am Mittwoch in einem weithin als „Farce“ kritisierten und bis zuletzt geheimgehaltenen Staatsakt zum sechsten Mal ins Amt einführen lassen. Die EU und viele andere Staaten erkennen ihn nicht mehr als Präsidenten der Ex-Sowjetrepublik an. Unterstützt wird Lukaschenko vor allem von Russland.