Die 18-jährige Annett Kaufmann aus Bietigheim ist die Frau, die das deutsche Tischtennis braucht. Bei den Europameisterschaften in Linz will sie ihre guten Olympia-Leistungen bestätigen und greift in gleich drei Disziplinen nach einer Medaille.
Bei Annett Kaufmann geht vieles im Leben nur im Hochgeschwindigkeitstempo. Nicht nur an der Tischtennisplatte, an der die 18-Jährige ihre Leidenschaft auslebt und ihre Gegnerinnen mit erstaunlicher Rückhand und platzierten Schmetterschlägen bearbeitet. Auch wenn sie redet, fällt sie in einen rasenden Wortfluss, der alle Sinne ihrer Zuhörer fordert. Und wer sich auf ein Duell entweder mit dem Schläger oder im Gespräch mit ihr einlässt, merkt sehr schnell, dass da eine ganz besondere junge Frau ihren Weg geht. Experten rechnen deshalb damit, dass sie das neue Gesicht im deutschen Frauentischtennis werden könnte.
Ein traumhaftes Jahr liegt hinter der Athletin aus Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) mit bestandenem Abitur, der ersten Teilnahme an Olympischen Spielen, als sie in der Arena Paris Sud 4 und auf den Bildschirmen die Tischtenniswelt mit fünf Siegen verzückt und der deutschen Mannschaft zu Platz vier verholfen hat. Ach ja, und dann war ja noch ihr privates Highlight mit dem Taylor-Swift-Konzert. Zur Musik der mitreißenden Pop-Ikone absolviert sie ihre Trainingseinheiten im Stützpunkt in Böblingen. Mit den Followern ihrer Heldin kann sie natürlich nicht mithalten aber immerhin 44 000 verfolgen sie auf Instagram.
Doch wie hat der Noch-Teenager das alles verarbeitet? Ganz einfach. Sie hat es genossen, die Momente in der vollen Halle aufgesaugt, die Nähe zum Publikum, mit dem sie Selfies gemacht und ihre Energie aus der Interaktion gezogen hat. Auf Fernsehauftritte danach hat sie verzichtet und sich lieber mit der Familie erholt. Die Medienanfragen überschlagen sich seitdem und zumindest in ihrem näheren Umfeld wird sie jetzt erkannt. „Ja, auf dem Pferdemarkt in Bietigheim haben mich schon einige Menschen angesprochen“, sagt Annett Kaufmann, die ein Familienmensch ist und noch daheim wohnt.
Wie stetig und fulminant sie sich gesteigert hat, verblüfft viele. Mit ihren fünf Siegen in fünf Einzeln in Paris hat sie alle überrascht. Auch von den enormen Wachstumsschüben während der Coronazeit hat sich die 1,83 m große Sportlerin nicht bremsen lassen. Sie musste sich neu in ihren Körper hineinfühlen, die anderen Hebel, die nicht mehr so vertrauten Abstände. Annett Kaufmann muss sich wohlfühlen, wenn sie den Schläger in die Hand nimmt. Dazu gehören auch Schmuck, funkelnde Haarspangen und die Swiftie-Armbänder. Ihr blonder Pferdeschwanz wippt bei jeder Bewegung mit. Gewonnene Punkte feiert sie mit der BeckerFaust oder dem Vettel-Finger.
Man spürt den Spaß, den sie an ihrem Sport hat, der sie schon als Kind bis zu sechs Mal die Woche in die Halle hat gehen lassen. Und sie erzählt vom wunderbaren Gefühl, dass sie empfindet, wenn sie wie bei Olympia Miwa Harimoto die Nummer acht der Welt geschlagen hat. Jetzt ist sie also Profi, konzentriert sich nur noch auf den kleinen Ball – ohne Schule und vorerst auch ohne Studium. „Ich werde mich ein, zwei Jahre ausprobieren als Profi, und wenn mir der Sport allein nicht genügt, vielleicht ein Studium beginnen“, sagt sie. Auch der Job als Kriminalkommissarin könnte sie reizen.
Kaufmann ein Glücksfall für den Deutschen Tischtennisverband
Für den Deutschen Tischtennisverband ist sie ein Glücksfall. Annett Kaufmann bringt das Gesamtpaket aus Talent, Ehrgeiz, Energetik und Eloquenz auch neben der Platte mit. Der Verband geht behutsam mit der Hochbegabten um. Nach dem Urlaub ging Kaufmann in eine intensive Vorbereitung – auch im Bundesleistungszentrum in Düsseldorf. Es folgte ein Turnier in China. Da wurde ihr in Runde eins eine sehr starke Gegnerin zugelost, und sie gab sich erst nach fünf Sätzen geschlagen. „Ich habe die Zeit in China genutzt, um mit sehr guten Spielerinnen zu trainieren“, sagt sie. Es geht weiter. Schlag auf Schlag. In dieser Woche ist sie bei der Europameisterschaft in Linz am Start im Einzel, Doppel und Mixed, am 26. Oktober beginnt die Runde beim bayerischen Bundesligisten DJK Kolbermoor und Anfang November ist sie für die World-Table-Tennis-Champions in Frankfurt nominiert, dem mit einer halben Million Euro höchstdotierten deutschen Tischtennisturnier.
Eine Medaille nach Hause bringen
Davor gilt es in Österreich ihre starken Leistungen von Paris zu bestätigen. In der ersten Runde spielt die Linkshänderin gegen eine Qualifikantin. Eine lösbare Aufgabe. Danach aber stünde ihr die beste Europäerin, die Rumänin Bernadette Szocs gegenüber. Ihr turbulentes Jahr ist noch nicht zu Ende. Zu gerne würde sie es krönen, mit dem, was ihr in Paris nicht vergönnt war: eine Medaille. „Die EM gehe ich locker an und schaue, was ich mit nach Hause bringen kann“, sagt die Bietigheimerin.
Annett Kaufmann ist die jüngste U21-Europameisterin der Geschichte
Familie
Geboren wurde Annett Kaufmann am 23. Juni 2006, während die Fußball-WM in Deutschland stattfand. Ihre Mutter Anna war Skirennläuferin, ihr Vater Andrej Eishockeyspieler, ihre Schwester Alexandra spielt auch Tischtennis.
Erfolge
2022 war sie Einzeleuropameisterin in allen Jugendaltersklassen: Der U15, U19 und U21 – Letzteres als Jüngste der Geschichte. 2021 und 2023 wurde sie Europameisterin mit dem DTTB-Frauenteam. In der Frauenbundesliga, wo sie nach Kolbermoor gewechselt ist, ballte sie schon mit 13 ihre Fäuste für die SV Böblingen. 2024 wurde sie zudem Deutsche Meisterin der Frauen – mit gerade einmal 17 Jahren.
EM Aufgebot Frauen:
Nina Mittelham (Berlin), Sabine Winter (Dachau), Yuan Wan (Weinheim), Annett Kaufmann (Kolbermoor), Franziska Schreiner (Langstadt), Sophia Klee (Langstadt), Mia Griesel (Berlin), Elisa Nguyen (Stuttgart)