Die StZ-Leserjury wusste nicht, wie sich die Jury des Deutschen Dokumentarfilmpreises entscheiden wird – Dennoch hat sie beim SWR-Doku-Festival den gleichen Sieger gekürt: „Democracy“. Es ist ein besonderer und dezidiert politischer Film.

Stuttgart - Die eine Hand durfte entschieden nicht wissen, was die andere tut. Die Leserjury der Stuttgarter Zeitung hat beim SWR-Doku-Festival ganz unabhängig von der Hauptjury des Deutschen Dokumentarfilmpreises gearbeitet, kannte deren Debatten und Präferenzen nicht – und hat doch denselben Film preiswürdig gefunden, David Bernets „Democracy – Im Rausch der Daten“. Man kann das als sehr ermutigendes Zeichen werten, dass mehr, nicht weniger politische Information gefragt ist, nicht kleinere, grellere Häppchen, sondern vertieftere Information. Denn Bernets Film, der unter anderem den EU-Abgeordneten Jan Philipp Albrecht 104 Minuten lang beim Kampf um die Datenschutzgesetzgebung in Brüssel zeigt, ist ein dezidiert politischer Film.

 

Der erstmals verliehene, mit 4000 Euro dotierte Preis der Leserjury der Stuttgarter Zeitung kann an jeden der zwölf Filme gehen, die in der Endrunde zum Deutschen Dokumentarfilmpreis landen. Brüsseler Lobbykämpfe und Formulierungsringen, Details des Fingerhakelns um kleinste Formulierungen hätte man nach Papierform nicht für einen heißen Gewinnerstoff gehalten. „Ein Thema“, findet ja auch die sechsköpfige StZ-Leserjury, „das zunächst spröde und abstrakt wirkt.“ Aber Sylvia Friedt, Anke Hoffmann-Sekat, Agnes Psykala, Peter Schlegel, Lothar Schmidt und Thomas Würth haben dann auch in „Democracy“ jene Qualität entdeckt, die sie auch an vielen der Konkurrenten fasziniert hat: die Fähigkeit, ein zunächst fern liegendes Thema, spannend, sinnlich und doch differenziert aufzubereiten. Albrecht wird ein Protagonist, „mit dem der Zuschauer mitfiebert“, wie die Jury bescheinigt. Vor allem aber ist dieser Film über die Brüsseler Gesetzesmühlen kein pessimistisches Werk der Politikverdrossenheit, sondern, das ist den Juroren besonders wichtig, „ein Mutmach-Film, ein Film der Hoffnung“.

Kinogänger möchten es nicht immer nett und hell

Diese Begriffe sind zwar im Zusammenhang mit Dokumentarfilmen gar nicht so selten zu hören und zu lesen, gerade im Zusammenhang mit solchen, die es vor ihrer Fernsehausstrahlung ins Kino schaffen. Aber gemeint sind damit oft Filme, die auf sehr kalkulierte Weise extreme Ausnahmefälle als Beispiel hinstellen, dass sich alle Grenzen überwinden, alle Hindernisse beiseite räumen lassen. Das sind dann Filme, die sich, egal, wie kunstvoll sie gemacht sein mögen, dem Wohlfühlkino zurechnen lassen. Mit „Democracy“ rückt die StZ-Leserjury eine ganz andere Art Optimismus ins Blickfeld, einen Film, der sich erstens dort hinwagt, wo er nicht sicher sein kann, allzu viele süffige Bilder zu finden, und der zweitens von Menschen erzählt, die sich an etwas Großem abarbeiten, das mit Ende des Films keinesfalls erledigt sein wird.

Gerade das aber hat der Jury imponiert, die damit auf den Kopf stellt, was Verleiher und Kinobetreiber als Rezept auch für den Arthouse-Markt nutzen: die These, Kinogänger möchten es gerne nett, hell und einfach haben.