Am Montag zeigt der SWR den sehenswerten Film „Die doppelten Schwestern“ über Zwillinge. Das Porträt ist wunderbar ­ruhig erzählt und lebt von den Kontrasten der Protagonisten, Zwillingsschwestern in doppelter Ausführung.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Das deutsche Fernsehen befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Zugegeben, diese Erkenntnis ist so neu nicht. Aus unerfindlichen Gründen beschäftigen sich etwa sehr viele Menschen seit Wochen mit „Wetten, dass . . ?“, einer Unterhaltungssendung, deren einzig sinnvolle Verwendung die Umwandlung in ein Ausstellungsstück wäre – als Beleg für ein untergegangenes Unterhaltungszeitalter. Das deutsche Fernsehen ist inhaltlich in den 80er und 90er Jahren hängengeblieben. Das hat auch der Bodensee-„Tatort“ vom vergangenen Wochenende eindrucksvoll belegt. In dem Krimi durfte Sebastian Bezzel als Kriminalkommissar Perlmann im Stil eines Laienschauspielers einen Dialog absondern, für den Götz George seinen Redakteur in den 80ern zu Recht verprügelt hätte.

 

Es ist bezeichnend, dass derzeit scheinbar nur im Dokumentarbereich im deutschen Fernsehen Innovatives oder wenigstens Vorzeigbares gedreht wird. Die Terra-X-Dokumentationsreihe „Deutschland von oben“ ist beispielsweise spektakulär geraten. Für weit im Voraus Planende sei an dieser Stelle bereits auf Ostern 2014 hingewiesen. Dann nämlich wird Stuttgart in einer sehr ungewöhnlichen Perspektive von oben aus betrachtet.

Wunderbar ruhig erzählt

Ganz so weit vorausdenken muss man bei einer weiteren Empfehlung aus dem Bereich Dokumentar nicht. Am kommenden Montag, 1. Juli, zeigt der SWR um 18.15 Uhr den sehr hübsch geratenen Film „Die doppelten Schwestern – vom Leben als Zwilling“ der Regisseurin Petra Mäußnest. Das halbstündige Porträt ist wunderbar ruhig erzählt und lebt von den Kontrasten der Protagonisten, Zwillingsschwestern in doppelter Ausführung.

Auf der einen Seite hat Mäußnest die spektakulären Künstler-Zwillinge G. und G. Kauffmann aus Esslingen porträtiert. In einer an kuriosen Figuren nicht armen Kunstwelt stellen die beiden Schwestern, die ihre Vornamen nicht verraten, eine ganz eigene Marke da. Beide stammen aus einer Esslinger Geflügeldynastie, studieren schließlich gegen den Willen des Vaters an der Stuttgarter Kunstakademie und gestalten fortan das künstlerische Leben ihrer Heimatstadt mit – auch als streitbare Kämpfer für den Denkmalschutz. Ihre Villa in Esslingen wirkt im Film wie eine Mischung aus Museum und künstlerischem Abenteuerspielplatz – am liebsten würde man gleich einziehen.

Die Kauffmanns stellen dabei die Variante der unzertrennlichen Zwillinge dar. Heiraten sei nie infrage gekommen, sagen die Schwestern an einer Stelle. Als die feinen Damen, die auf Filmaufnahmen aus den 70ern wie Geschöpfe des Pop-Art-Künstlers Andy Warhol aussehen, den schönen Satz „Alleine sind wir kein Mensch“ gemeinsam sprechen, will man vor Rührung beinahe in das Taschentuch schnäuzen. So viel In-sich-Ruhen ist in einer den übersteigerten Hang zur Überindividualisierung feiernden Gesellschaft selten geworden.

Unterschiedliche Leben

Einen gekonnten Kontrast zu den Esslinger Schwestern stellen die beiden anderen Protagonisten des Filmes dar, Tina und Julia Worbs. Auch die Worbs-Schwestern haben an der Kunstaka studiert und sich mittlerweile mit ihrer Designagentur Star Worbs selbstständig gemacht. Im Gegensatz zu G. und G. Kauffmann ziehen sich die Worbs-Schwestern aber ganz bewusst nicht gleich an und streben auch sonst nach einem Mindestmaß an Eigenständigkeit.

Ohne vorab zu viel verraten zu wollen: am Ende des Filmes zaubert Mäußnest in einer gekonnten Dramaturgie sogar noch zwei weitere Zwillingspaare aus dem Hut und gibt angenehm wenig marktschreierische Einblicke in die heimliche Zwillingshauptstadt Stuttgart, in der zum Beispiel der hiesige Zwillingsclub „Zwei dabei“ zweimal im Jahr zum Zwillingskinderwagenkauf beim Zwillingsbasar bittet.

Die 46-jährige Regisseurin dreht bereits seit Anfang der 90er Filme. Mäußnest ist Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg, hat in Ludwigsburg Dokumentarfilm studiert und nach der Aka eine Reihe langer Filme gemacht, die im ZDF im „Kleinen Fernsehspiel“ liefen. Die abendfüllende Doku „Will einmal bis zur Sonne gehn“ etwa über die drei Rapperinnen Cora E., Pyranja und Brixx wurde 2002 mit dem Juliane-Bartel-Preis ausgezeichnet. „Ich interessiere mich schon immer für besondere Menschen, Originale“, sagt Mäußnest. Die gibt es in „Die doppelten Schwestern“ zu Genüge. Nach dem Betrachten des Films ist man fast ein wenig traurig, nicht auch mit einem Zwillingsgefährten durchs Leben schlawinern zu können.