Der Dokumentarfilm „In Würde begraben? Alptraum oder guter Abschied“ geht unter die Haut: Die SWR-Filmemacherin Andrea Lotter nimmt das Bestattungswesen im Südwesten unter die Lupe – und entdeckt Missstände und Betrug.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Das war mal ein Hüftgelenk“, sagt die Bestatterin Barbara Rolf, die eine Gruppe Altenpflegeschülerinnen durchs Krematorium Leinfelden führt, und hält einen Metallwinkel in die Höhe. Mit einem Magneten fischt ein Mitarbeiter weitere Stahlteile aus dem Aschehaufen, der bei der Kremation eines Menschen entstanden ist. Transparenz ist im Bestattungsinstitut Rolf in Leinfelden-Echterdingen ein elementares Geschäftsprinzip; die Geschäftsführerin ermöglicht deshalb jedem Kunden, der dies wünscht, hinter die Kulissen des Bestattungswesens zu schauen.

 

Es ist eine der ersten Szenen des Dokumentarfilms „In Würde begraben? Alptraum oder guter Abschied“, ein freundlich-morbider Humor liegt darüber. Das, was Andrea Lotter danach zeigt, lässt dem Zuschauer hingegen das Blut in den Adern gefrieren. Die SWR-Fernsehjournalistin schaut auf das, was viele nicht sehen wollen – den Tod. Was passiert, nachdem jemand gestorben ist? Wie arbeiten die Bestatter? In der 45-minütigen Doku nimmt Lotter die Bestattungskultur im Südwesten unter die Lupe. Was sie entdeckt, ist ungeheuerlich – und hochbrisant.

Sie erfährt, dass Leichen im Sammeltransport ins Krematorium gekarrt werden; dass Verstorbene wochenlang ungekühlt beim Bestatter liegen. Sie begegnet Hinterbliebenen, die feststellen mussten, dass in der Urne, die sie verbotenerweise zuhause aufbewahrt hatten, die Asche eines Fremden befand. Und sie stößt auf Bestatter, welche ausgerechnet Trauer und Leid als Quelle der Gewinnmaximierung missbrauchen.

Das Wegsehen beim Thema Tod hat fatale Folgen

„Wir hatten keine Ahnung vom Sterben“, sagt eine Hinterbliebene. Wenn es ums Sterben geht, herrscht häufig Ahnungslosigkeit und Schweigen. Das Wegsehen verführt so manchen Bestatter zum Betrug – in geschäftlicher, aber auch in menschlicher Hinsicht, wie Rolf sagt. Schließlich sei es Aufgabe ihrer Zunft, den Abschied für die Hinterbliebenen erträglicher zu machen und die Würde der Toten zu bewahren. Die studierte Theologin ist angetreten, gegen die Unwissenheit und die Berührungsängste zu kämpfen: „Wir müssen wieder hinschauen“, nur so ließen sich Missstände und Betrug verhindern. Die Offenheit von Barbara Rolf, die ihr Berufsethos in prägnante Sätze fassen kann, ist eine der Stärken des Films; ebenso wie die berührenden Berichte von Betroffenen, die Andrea Lotter ausfindig gemacht und davon überzeugt hat, vor der Kamera zu erzählen. Immer wieder hätten Interviewpartner einen Rückzieher gemacht, erzählt die Filmemacherin bei der Preview im Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart von der Entstehungsgeschichte; von der Branche sei sie unter Druck gesetzt worden. Den Film so zu drehen, sei auch deshalb möglich gewesen, weil sie bei diesem sensiblen Thema nicht mit einem ganzen Filmteam anrückte, sondern allein – Lotter ist ausgebildete Videojournalistin und versiert im Umgang mit der Kamera.

Ihre Aufnahmen gehen unter die Haut. Eine Ehefrau und eine Tochter erzählen unter Tränen, wie sie von der Kripo erfuhren, dass die Urne nicht etwa die Asche des Ehemanns und Vaters enthielt, sondern die eines vier Wochen alten Babys. Zwei Schwestern und ein Enkel berichten davon, wie ihnen nach dem Tod der Mutter und Großmutter deren Leichnam vorenthalten wurde, weil der Bestatter aus Schwäbisch Hall ihn eine Woche lang in einem Müllsack aufbewahrt hatte – ungekühlt und unversorgt. Und ein ehemaliger Mitarbeiter des inzwischen rechtskräftig Verurteilten offenbart, wie mit Kühlungstagen Geld gemacht, profitträchtig bei Särgen getrickst, systematisch betrogen wurde. Von Barbara Rolf wiederum erfährt der Zuschauer, was kaum einer weiß: Bei einer Feuerbestattung wird der Verstorbene vielfach gar nicht in dem würdevollen Zustand eingeäschert, in dem die Hinterbliebenen ihn bei der Trauerfeier zum letzten Mal sehen. Denn vor der Einäscherung findet die gesetzlich vorgeschriebene amtsärztliche Untersuchung statt. Wie die Toten danach aussehen, wolle man lieber nicht wissen.

Andrea Lotter hört den Betroffenen zu, wahrt die Balance zwischen Nähe und Distanz – so entstehen bewegende Momente. Dezent musikalisch untermalt, vermeidet Lotter jegliche Betroffenheits-Allüren. Ihr Film ist sowohl gründlich recherchierte Enthüllungsdoku als auch einfühlsame Sozialreportage. Wenn Rolf und eine Mitarbeiterin so gewissenhaft wie respektvoll einen Leichnam versorgen, hält die Kamera die nötige Distanz, schwenkt im richtigen Moment zur Seite. Sich rechtzeitig mit dem Thema Bestattung auseinanderzusetzen, heißt, Verantwortung für die Toten zu übernehmen – wer das tut, kann sich vor den schwarzen Schafen der Branche schützen. Barbara Rolf rät, sich vom Bestatter nicht zur Eile drängen zu lassen. „Es obliegt den Angehörigen, das Tempo vorzugeben.“

Andrea Lotters Film endet licht und mild: Barbara Rolf sitzt im sommerlichen Garten und diktiert einer Mitarbeiterin, wie sie sich ihre eigene Bestattung vorstellt. Frühestens nach sieben Tagen will sie abgeholt werden. „Wir sind nicht schlagartig tot“, ist sie überzeugt. Und schwarze Tücher will sie auf ihrer Trauerfeier keine sehen – „der Tod ist keine Höllenfahrt“.

Sendeplatz Das SWR Fernsehen zeigt den Film „In Würde begraben? Alptraum oder guter Abschied“ am Mittwoch, 23. September, um 21 Uhr als Beitrag der Sendereihe „Doku-Serie“.

Zur Filmemacherin Andrea Lotter

Filmemacherin
Andrea Lotter, Jahrgang 1964, ist seit 1990 als Fernsehjournalistin für den SWR tätig; 2009 machte sie eine Ausbildung zur Videojournalistin. Bereits in der Reportage „Die mit den Toten spricht“, die 2012 mit dem Diakonie Journalistenpreis ausgezeichnet wurde, setzte sie sich mit dem Thema Bestattung auseinander.