Bernhard Nellessen möchte sich noch mal anderen beruflichen Aufgaben stellen. Der 53-jährige Fernsehdirektor verlässt den Sender zum Mai 2013.
Stuttgart - Bläst nun bald der immer wieder vermisste frische Wind durch den Südwestrundfunk? Die personelle Voraussetzung dafür ist – zumindest theoretisch – gegeben: Am Wochenende hat der Fernsehdirektor Bernhard Nellessen überraschend angekündigt, für eine dritte Amtszeit nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Nellessen werde den SWR zum Mai 2013 verlassen, teilte der Sender am Montag offiziell mit; im April nächsten Jahres läuft sein Vertrag aus.
Damit hat der Fernsehdirektor selbst die Konsequenzen aus der anhaltenden, aber stets nur hinter vorgehaltener Hand geäußerten Kritik an ihm gezogen. Nach reiflicher Überlegung habe der 53-Jährige im Einvernehmen mit dem Intendanten Peter Boudgoust entschieden, sich nach zehn Jahren als Programmdirektor noch einmal anderen beruflichen Aufgaben zuzuwenden, hieß es in einer Pressemitteilung des Senders. Boudgoust äußerte sein Bedauern und bescheinigte Nellessen „hervorragende Arbeit“. „Es ist ganz wesentlich seiner hohen journalistischen Kompetenz und seiner Führungskraft zu verdanken, dass der SWR mit seinen Programmangeboten in der ARD und im überregionalen Mantel des SWR-Fernsehens so glänzend dasteht“, lobte der Intendant.
Nellessen war rund dreißig Jahre beim SWR. Er hatte beim früheren Südwestfunk (SWF) angefangen, wechselte 1988 zum ZDF und war dort unter anderem Co-Moderator im „Heute-Journal“. 1995 kehrte er als stellvertretender Chefredakteur Fernsehen zum SWF zurück. Nach der Rundfunkfusion stieg er beim SWR zum Chefredakteur Fernsehen auf; seit Mai 2003 ist er Fernsehdirektor. Im Dezember 2006 brachte sich Nellessen als Nachfolger des SWR-Intendanten Peter Voß ins Spiel – der Posten ging an Boudgoust. Der muss nun bis Mitte Juni nicht nur einen Ersatz für Nellessen, sondern auch für drei weitere Posten in der SWR-Führungsriege vorschlagen (die StZ berichtete).
Nellessens überraschender Rückzug
Boudgousts öffentliches Lob nun täuscht freilich nicht darüber hinweg, dass Bernhard Nellessen, wie berichtet, in der Sendeanstalt höchst umstritten ist. Seine Kritiker, die nach StZ-Informationen sowohl in der Belegschaft als auch in den Gremien vertreten sind, werfen ihm vor, für den nach wie vor altbackenen Anstrich des Programms mitverantwortlich zu sein. Die zweitgrößte ARD-Anstalt habe nicht die ihr gebührende Stellung in dem Senderverbund inne, wird moniert, zudem wird auch Nellessens Umgang mit seinen Mitarbeitern kritisiert – sein Führungsstil sei von Freund-Feind-Denken geprägt, war zu hören.
Aus Nellessens überraschendem Rückzug lässt sich nun ablesen, dass sein Rückhalt im Haus tatsächlich schwach gewesen sein muss – und es wohl auch Peter Boudgoust an Unterstützung mangeln ließ. Damit legt diese Personalie die Schwächen des Südwest-Senders schmerzhaft offen. Denn der steht bei weitem nicht so gut da, wie ihn Peter Boudgoust nach außen hin gern verkauft. Angesprochen auf die niedrigen Quoten des SWR Fernsehens, das an vorletzter Stelle der dritten Programme steht, pflegt Boudgoust zu sagen, dass er von dem ständigen Schielen auf die Quotenrankings nicht viel halte – fielen der Zuschauerzuspruch anders aus, würde er vielleicht anders argumentieren. Ansonsten wiederholt er gebetsmühlenartig, dass sein Konzept der Regionalität und Aktualität aufgehe und sich das von ihm sehr wohl angestrebte „Klima der Innovation“ nun mal nicht mit Knalleffekten erzielen lasse.
Knalleffekte braucht es nicht – aber den Mut, auch mal jenseits von notorischer Ländle-Idylle, Häuslichkeit und Heimatkunde Formate und Themen zu entwickeln. Doch was preist der SWR als „neue Entwicklungen“ an? Als eines der Programm-Highlights des Jahres firmiert etwa das Magazin „Tiere der Woche“, das Wissenswertes über exotische und heimische Geschöpfe verklickert. Oder das Quiz „Meister des Alltags“, das die Alltagstauglichkeit von TV-Promis abfragt. Und in der im Herbst anlaufenden Doku-Serie „Der Lebensmittelinspektor“ proben drei Familien im Selbstversuch eine regionale, umweltbewusste Ernährung. Da wundert es wenig, dass der SWR im Gegensatz zu anderen dritten Programmen mit überregionaler Aufmerksamkeit nur spärlich bedacht wird. Traditionelle Trumpfkarten der Zwei-Länderanstalt sind dagegen ihre Historienfilme und die „Tatorte“ – hier wagt man auch mal, wie jüngst beim Lena-Odenthal-Krimi, ein Internet-Experiment. Doch ansonsten scheint man die wirklich jungen, frischen Ideen, die der SWR ja durchaus hervorzubringen imstande ist, dem SWR-Stammpublikum nicht zuzumuten wollen und probiert sie lieber im ARD-Nischenkanal Eins Plus aus.
Mit dem Freiwerden des Programmchef-Postens hat der Sender nun die große Chance, seinen gern betonten Innovationswillen nicht mehr nur als Rhetorik erscheinen zu lassen. Als einer der Favoriten in der Nachfolgefrage gilt der Arte-Programmdirektor Christoph Hauser. Er hat den Ruf, vor Experimenten nicht zurückzuschrecken und traut sich, dem Fernsehpublikum auch Neues, Ungewohntes zuzumuten. Es ist nicht auszuschließen, dass selbst angestammte SWR-Zuschauer über Zumutungen ab und an dankbar sein könnten.