In der ersten Folge der neuen Thriller-Reihe kämpft die Psychologin Emma (Katja Riemann) gegen einen brutalen Geiselnehmer (Ben Becker) – und ein ziemlich perverses Spiel beginnt.

Stuttgart - Die Titel klingen nach Märchen, und das ist durchaus gewollt. Sind nach der Lehre des Psychoananlytikers C.G.Jung in den zunächst mündlich überlieferten, dunklen Geschichten aus dem Volksmund, die erst im 18. Jahrhunderten von Philologen wie den Gebrüdern Grimm schriftlich fixiert wurden, nicht Archetypen enthalten, die sich immer neu ausdeuten und erzählen lassen, von Aschenbrödel bis zu Schneewittchen, von Hans im Glück bis zu König Drosselbart? Und um Psychologie, um seelische Verletzungen, Verdrängung, Verzweiflung und eventuelle Lösungen soll es hier ja gehen, erstmals wieder im Ersten seit dem legendären „Bloch“, und diesmal mit einer weniger statischen denn überaus beweglichen Analytikerin. „Der Wolf und die sieben Geiseln“ heißt die erste Folge der SWR-Serie „Emma nach Mitternacht“, und tatsächlich sind darin noch ein paar Reste aus dem Schauerstück um die Ziegenkinder enthalten, die von ihrer Mutter allein zuhause zurückgelassen werden, und einem bösartigen Vielfraß zum Opfer fallen, bis auf das listigste, kleinste von ihnen, das die anderen schließlich rettet. Nach Idee und Konzept des Redakteurs Ulrich Hermann hat der Drehbuchautor Wolfgang Stauch einen Thriller geschrieben, in dem es um Schuld, Selbstbetrug, Gerechtigkeit geht – und darum, wie ein einzelner Mensch eine gefährliche, fast aussichtslose Situation drehen kann, durch Einfühlung und die Macht der richtigen Worte.

 

Emma Meyer muss sie sprechen, die Protagonistin des neuen Formats ist Psychologin, und gerade wie ein Wirbelsturm in die nachtschwarzen Räume eines Mannheimer Rundfunksenders eingefallen. Dort findet zu dieser Zeit immer eine Radioberatungsstunde statt, nur leider ist die diensthabende Seelenklempnerin sturzbetrunken, und kann nicht reagieren, als es ernst wird. Ein Mann ruft an, und verkündet, er habe in einer Tankstelle Geiseln genommen, und wolle jetzt den Zuhörern seine Forderungen verkünden. Also übernimmt die gerade aus Marakesch zurückgekehrte Weltenbummlerin, zunächst aus dem Studio, und dann vor Ort, wo sie dem Geiselnehmer ein ziemlich perverses Spiel vorschlägt. Kann sie eine, auf seine Motive bezogene Frage richtig beantworten, lässt er jeweils einen der Gefangenen frei. Und so bringt Emma Meyer am Ende eine Wahrheit ans Licht, von der niemand etwas geahnt hatte.

Als nächstes kommt „Frau Hölle“

Würde sie von irgendjemandem dargestellt, man würde sich vielleicht stören an der nach Wunschträumen von eigenwillig gelebter Weiblichkeit konstruierten Hauptfigur. Aber da sie von Katja Riemann dargestellt wird, einer Schauspielerin mit einer ungeheuren Strahlkraft, die alles um sich herum zu verwandeln scheint, wird man als Zuschauer mitgerissen in eine Welt, die sich mit ihrer Überhöhung der Wirklichkeit durchaus ironisch auseinandersetzt. „Wir wollen doch von vergrößerten Figuren sprechen, nicht von den Leuten nebenan, ich zumindest möchte das“, hat die 52-Jährige gesagt, die sich jetzt erstmals auf das Abenteuer Serie einlässt. Und: „Ich liebe Emma. Sie ist zugewandt und dennoch völlig autark in sich“. Wie man hört, hat die als ebenso liebenswürdig wie eigenwillig geltende Künstlerin an den Dialogen kräftig mitgebastelt, die Autoren haben es sich gefallen lassen, und das schadet dem Ganzen nicht. Ähnlich wie Matthias Brandts Hanns von Meuffels im Münchner „Polizeiruf 110“ ist Riemanns Emma Meyer eine Interesse weckende Person, die sichtlich Geheimnisse hat. Wer ist sie, woher kommt sie, wo liegen die Wunden, die sie bei anderen so gut erkennt, bei ihr selbst, und wie verlief ihr krummer Lebensweg bisher? All das wird man in den kommenden Folgen erfahren, „Frau Hölle“ wird am 8.Juni gesendet, eine dritte Folge ist gerade in Arbeit.

Sehenswert sind die Neunzigminüter auch wegen der starken Gegenspieler, mit denen Katja Riemann als Emma Meyer ringt. Ben Becker spielt in der ersten Folge den brutalen Geiselnehmer mit grauenhafter Verzweiflung, in der zweiten Folge ist Corinna Harfouch als Bauingenieurin, die scheinbar allein den Einsturz einer Schwimmbaddecke zu verantworten hat, zu sehen. Und dann wären da noch Mechthild Grossmann als Helferin, die sich selbst nicht helfen kann, Andreas Schmidt als sich langsam zum mitfühlenden Menschen entwickelnder Redakteur der Sendung, und Karoline Eichhorn als rätselhafte Freundin Barbara zu nennen, allesamt famose Besetzungen. Für die unkonventionellen, wie man eingesteht, „manchmal übergrenzwertigen“ Methoden von Emma steht ein psychiatrischer Fachberater ein, der entgegen den strengen Schulen äußert „Therapie ist heutzutage alles, was hilft“. Für den Alltag an oder auf der Couch sicher kein guter Tipp, für einen Fernsehabend aber: durchaus durchrüttelnd.

Mittwoch, 20.15 Uhr, Das Erste

Serie: „Emma nach Mitternacht“ wird vom SWR in Zusammenarbeit mit der Maran Film für Das Erste in Baden-Baden, Lahr, Mannheim und Umgebung gedreht. Die Serie zeichnet sich durch schnelle Dialoge und faszinierende Bilder aus, Regie führt Thorsten C. Schmitz.

Star: Katja Riemann, Jahrgang 1953, kam nach ihrer Schauspielausbildung schnell vom Theater zum Film und übernahm seither in zahlreichen Kino- und TV-Produktionen die Hauptrolle. Sie tritt immer wieder im Theater auf, geht auch als Musikerin auf die Bühne und wurde 2010 für ihr soziales und politisches Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.