Große Hoffnungen hatte der SWR in die Wiederbelebung der TV-Diskussion „Pro & Contra“ gesetzt. Sie haben sich nicht erfüllt, jetzt wird die Sendung für eine „Denkpause“ gestoppt. Was daraus wird, ist offen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war eine ganz normale Ausgabe von „Pro & Contra“, Anfang Juni im SWR-Fernsehen. Knapp 45 Minuten wurde im Studio live über die Streitfrage debattiert, diesmal: Tempolimit 120 auf allen Autobahnen? Dafür plädierte der Filderstädter Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel, dagegen der Mainzer FDP-Minister Volker Wissing; Beistand bekamen die beiden „Anwälte“ jeweils von einem Sachverständigen. Die Diskussion wogte hin und her, vehement wurde über Vor- und Nachteile gestritten. Am Ende durfte das Studiopublikum, das anfangs zu zwei Dritteln eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung abgelehnt hatte, erneut abstimmen. Und siehe da, immerhin zwei Skeptiker waren ins Lager der Befürworter gewechselt.

 

Nur eines fehlte, als sich die Moderatorin Birgitta Weber verabschiedete: der Hinweis auf den nächsten Sendetermin. Es gibt nämlich keinen – zumindest vorerst, vielleicht sogar für immer. „Pro & Contra“ werde mangels Erfolgs eingestellt, verlautet inoffiziell aus dem SWR. Offiziell formuliert das ein Sendersprecher etwas anders: Die Sendung sei „einstweilen ausgesetzt“, man habe sich „eine Denkpause verordnet“. Ohne den Druck eines Folgetermins sollten „neue Ideen und Konzepte“ geprüft werden. Als multimediales Angebot, mit einer Diskussionsplattform auch im Internet, habe „Pro & Contra“ zwar durchaus reüssiert. Allerdings wurde „insbesondere die Fernsehsendung nicht in dem Maße angenommen, wie wir uns das vorgestellt hatten“.

Anknüpfen an eine Erfolgsgeschichte

Große Erwartungen hatte der Südwestrundfunk in der Tat, als er den TV-Klassiker im Herbst 2014 wiederbelebte. Man knüpfe damit an eine „langjährige Erfolgsgeschichte“ an, hieß es. Mehr als drei Jahrzehnte lief „Pro & Contra“ einst im Ersten, geprägt vom Moderator Emil Obermann mit seiner markanten Mecki-Frisur. Dessen Rolle sollten fortan im Wechsel die Mainzer SWR-Frau Weber und das Multitalent Clemens Bratzler aus Stuttgart übernehmen. Sechs- bis achtmal pro Jahr wolle man „regionale und aktuelle Konfliktthemen“ diskutieren, im Studio wie auf der Homepage. Dafür eigne sich das Format hervorragend, „weil die Argumente genau herausgearbeitet werden“, lobte Bratzler. Skeptiker warnten indes schon damals, es drohe eine „Totgeburt“.

Einige der Bedenken haben sich nun offenbar bestätigt. Zum einen ist es gar nicht so einfach, zündende Themen zu finden, die nicht bereits von den jeweiligen Landes-Magazinen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz abgedeckt werden. Die April-Ausgabe über eine „Strafsteuer auf Zucker“ etwa wirkte etwas verzwungen. Zum anderen gelang es nur bedingt, zugkräftige Protagonisten in die Sendung zu locken. Die Quoten – Zahlen werden nicht genannt - ließen jedenfalls zu wünschen übrig.

Aktualität soll verbessert werden

Vor allem zwei Gründe nennt der SWR-Sprecher für die Denkpause. Viele gesellschaftspolitische Fragestellungen, die der Erörterung wert wären, ließen sich nicht einfach auf ein „dafür oder dagegen“ reduzieren – zum Beispiel der VW-Abgasskandal. Anders als früher seien die Erwartungen der Zuschauer zudem „stark aktualitätsgetrieben“. Das Konzept solle so weiterentwickelt werden, dass man künftig schneller auf aktuelle Themen reagieren könne. In jedem Fall, wird beteuert, werde es weiterhin „ein diskursives Gesprächsformat im SWR-Fernsehen geben“.

Darauf dürften auch die bisher nicht informierten Gremien des Senders Wert legen. Mit der Neuauflage von „Pro & Contra“ reagierte die SWR-Spitze nämlich auch auf Kritik am Aus für ein bestehendes Format: Im Zuge der Reform des dritten Fernsehprogramms wurde der Polittalk „2 + Leif“ gestrichen, in dem der Chefreporter Thomas Leif jeweils zwei Gäste eindringlich befragte. Als die Absicht Ende 2013 bekannt wurde, gab es einen kleinen Aufstand im Rundfunkrat; parteiübergreifend lobten vor allem Politiker die Sendung.

SWR: Informationsanteil verdoppelt

Der SWR-Intendant Peter Boudgoust sah sich unversehens in der Defensive. Leider habe die 2009 gestartete Talkrunde „nicht so funktioniert, wie wir es uns versprochen hatten“, rechtfertigte er sich; auch diverse Änderungen hätten wenig gebracht. Man habe zwar „einen langen Atem“, sagte Boudgoust damals, halte aber nicht starrsinnig an bestimmten Formaten fest. Besänftigen ließen sich die Rundfunkräte mit dem Hinweis auf eine geplante neue Diskussionssendung mit dem Arbeitstitel „Das Top-Thema“, aus dem dann die Neuauflage von „Pro & Contra“ wurde.

Hinter dem Protest der SWR-Aufseher stand auch die Sorge, das Dritte biete zu viel Unterhaltung und zu wenig Information. Für den Sendersprecher kann davon keine Rede sein: In den vergangenen Jahren habe man „den Anteil an fiktionalen Inhalten im Programm deutlich reduziert und dafür den Bereich Information und Dokumentation verdoppelt“. Besonders stolz ist der SWR auf die dienstags ausgestrahlte Sendung „Marktcheck“, die unlängst mit 650 000 Zuschauern ihren absoluten Rekord erreicht habe; im Durchschnitt der vergangenen Wochen liege ihr Marktanteil bei beachtlichen 11,3 Prozent. Die Grenzen zwischen Information und Unterhaltung sind bei dem Verbrauchermagazin freilich fließend. Eine Art „Pro & Contra“ gibt es auch dort – zum Beispiel zur Frage, was Sauce Hollandaise aus der Tüte oder dem Tetrapack tauge. Das klare Votum: Selbermachen sei allemal besser.

Seit Ende 2006 steht Peter Boudgoust (61) an der Spitze des Südwestrundfunks. Am kommenden Freitag (8.Juli) stellt er sich als Intendant zum zweiten Mal für fünf Jahre zur Wiederwahl. Seine Bestätigung durch die in Mainz tagenden Gremien gilt als sicher, zumal er der einzige Kandidat ist. In der Tagesordnung ist gleichwohl von der Wahl „der Intendantin / des Intendanten“ die Rede.

„Wir haben vieles angepackt, einiges muss noch zur Vollendung gebracht werden“, hatte Boudgoust seine erneut Bewerbung begründet. Der Jurist und frühere Regierungsbeamte mit CDU-Parteibuch ist seit 1995 für den Sender tätig. Inzwischen ist er außerdem Präsident des deutsch-französischen Kulturkanals Arte.